Umgang mit stressigen Situationen

Autor:  Iris Lein-Köhler, Barbara Grießmeier, Zuletzt geändert: 23.08.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e241425

Im Behandlungsalltag gibt es immer wieder Situationen, die Stress auslösen, weil sie unvorhergesehen, erschreckend oder emotional belastend sind: Sei es, dass es Ihrer Tochter/Ihrem Sohn nicht gut geht, eine Planänderung Ihre Organisation ins Wanken bringt oder Sie in Ungewissheit auf Ergebnisse warten. In allen Krisen stehen Ihnen das Behandlungsteam und die psychosozialen MitarbeiterInnen verlässlich zur Seite.

Natürlich können Sie auch selbst einiges tun, um schwierige Zeiten zu überstehen und sich von Stress zu entlasten:

Nehmen Sie Ihre eigenen Gedanken und Gefühle wahr, machen Sie sich Notizen, schreiben Sie Tagebuch, diktieren Sie Ihre Erfahrungen in Ihr Smartphone. Eine weitere Möglichkeit sind Listen mit Dingen, für die Sie in Ihrem Leben dankbar sind, worauf Sie stolz sind, worauf Sie hoffen und worüber Sie sich heute gefreut haben – es lohnt sich, solche Listen anzulegen und diese an schwierigen Tagen oder immer vor dem Einschlafen anzuschauen und zu ergänzen.

Laute oder leise Selbstgespräche, mit denen Sie sich ermutigen und Ihre Handlungen wohlwollend kommentieren, können Ordnung in Ihre Gedanken bringen und Ihnen dabei helfen, klarer zu spüren, was im Augenblick gerade wichtig ist und wie Sie das hinbekommen.

Überlegen Sie, wem Sie sich anvertrauen können. Schreiben Sie E-Mails an nahestehende Personen, telefonieren Sie mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin und Freunden oder erzählen Sie den psychosozialen MitarbeiterInnen von Ihren Erlebnissen. Einige Eltern finden es hilfreich, über einen Blog aus ihrem Alltag zu berichten und unterstützende Nachrichten zu bekommen, die sie immer wieder nachlesen können, wenn Ermutigung gebraucht wird.

Wahrscheinlich brauchen Sie im Behandlungsverlauf immer wieder Antworten auf medizinische Fragen. Sammeln Sie Ihre Fragen (und die erhaltenen Antworten) in einer Liste, damit Sie nichts vergessen und die Arztkontakte gut nutzen können.

Gleichzeitig tragen Sie Sorge dafür, dass wichtige Aufgaben in der Familie erledigt werden, dass Sie an alles denken, was für Ihr Kind oder Ihre anderen Kinder zu tun ist. Vielleicht möchten Sie bestimmte Dinge mit verschiedenen Personen besprechen (beispielsweise der Partnerin/dem Partner daheim, LehrerInnen, FreundInnen, psychosozialen MitarbeiterInnen): Notieren sich auch diese Themen regelmäßig.

Wenn die To-do-Liste zu umfangreich wird und Sie von der Fülle der Punkte überwältigt zu werden drohen, wählen Sie nur ein oder zwei Dinge für jeden Tag aus, die Sie angehen wollen. Kümmern Sie sich zuerst um das Wichtigste (die Begleitung Ihrer Tochter/Ihres Sohnes) und prüfen Sie, was Sie an wen delegieren können. Sie können nur an einem Ort gleichzeitig sein und manches kann warten (daheim putzen, Post beantworten). Wenn Sie diese To-do-Liste mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin regelmäßig abgleichen, können Sie gemeinsam den Überblick behalten.

Es gibt eine ganze Reihe kleiner Übungen, die Ihnen in akuten Stresssituationen helfen können. Fragen Sie beim Psychosozialen Team nach Atemübungen, Selbstberuhigungstechniken oder Literaturempfehlungen/Anleitungen dazu.

Summen, singen, pfeifen Sie oder schneiden Sie Grimmassen: So entspannen Sie Ihre Gesichtsmuskulatur und die Töne können in Ihrem Körper Spannungen lösen. Vielleicht kennen Sie auch Yoga, Pilates oder Dehnübungen, die Sie überall nutzen können.

Literaturtipps:

Croos-Müller C: Nur Mut! Das kleine Überlebensbuch. Soforthilfe bei Herzklopfen, Angst, Panik & Co, Kösel-Verlag München 2012

Croos- Müller C: Kopf hoch – das kleine Überlebensbuch. Soforthilfe bei Stress, Ärger und anderen Durchhängern. Kösel-Verlag München 2011

Erinnern Sie sich an schöne Erlebnisse mit der Familie: Denken Sie beispielsweise an den letzten Urlaub und schauen Sie sich Urlaubsbilder an – Urlaub ist eine Zeit, in der es allen meistens gut geht. Holen Sie sich für eine kurze Weile diese Stimmung zurück und versetzen Sie sich in Ihrer Fantasie dorthin: Spüren Sie dem nach, was Sie Wohltuendes erlebt haben.

Die meisten Menschen haben zudem einen ganz besonderen Wohlfühlort, den sie sich jederzeit vor ihrem inneren Auge herbeirufen können: Stellen Sie sich vor, was Sie dort fühlen, sehen, riechen hören, schmecken und genießen Sie so eine „Auszeit“.

Es ist normal, sich Sorgen zu machen und das ist auch gar nicht schädlich. Sich Sorgen zu machen heißt, dass man Probleme in Gedanken durchspielt, um zu einer Lösung zu kommen. Wenn Sie aber merken, dass Ihnen das nicht gelingt und Sie sich stattdessen gedanklich im Kreis drehen oder aber von einer Sorge zur nächsten springen, dann sind das Warnzeichen. Sie sollten dann etwas ändern, damit Ihre Sorgen nicht ein Eigenleben führen, das Sie ständig belastet und Ihr Denken lahmlegt.

Wenn unsere Sorgen sich um etwas sehr Schlimmes drehen, dann fühlen wir dabei Angst und Anspannung. Um uns besser zu fühlen, versuchen wir dann ganz schnell, die Sorgen beiseite zu schieben. Das macht die Angst und die Anspannung vorübergehend besser. Das Problem dabei ist, dass dieses Verhalten Anstrengung kostet und verhindert, dass wir uns Lösungen für unsere Probleme ausdenken können. Sorgen, die sich um Themen drehen, auf die wir keinen direkten Einfluss haben (beispielsweise „Wird mein Kind wirklich gesund?“), führen besonders leicht in ein Sorgenkarussell. Auf solche Fragen können wir keine Antworten finden und deshalb ist es nötig, die Gedanken in eine etwas andere Richtung zu schicken: „Wie kann ich das aushalten?“

Häufig kommen Sorgen wie ein Bumerang immer wieder zurück: Wir landen in einer „Sorgenspirale“, in der wir immer wieder ähnliche Gedanken haben oder in einer „Sorgenkette“, bei der wir von einer Sorge zur nächsten springen.

Was können Sie tun?

  • Auslöser erkennen: Oft gibt es bestimmte Dinge, die Ihre Sorgen auslösen/verstärken und wahrscheinlich haben sie mit dem Befinden Ihres Kindes, den Gesprächen mit anderen oder den Informationen aus den Arztgesprächen zu tun.
  • Feste Sorgenzeiten einführen: Sie können zum Beispiel „Sorgenzeiten“ festlegen, an denen Sie sich Sorgen machen dürfen (z.B. morgens von 8.00 - 8.30 Uhr oder abends von 18.00 - 18.30 Uhr, möglichst nicht direkt vor dem Schlafengehen). Dadurch sind Sie für den Rest des Tages von den Sorgen „freigesprochen“ und müssen nicht endlos grübeln.
  • Sorgen bis zum Ende durchdenken: Es ist interessanterweise oft entlastend, einmal bis zum „schlimmstmöglichen“ Fall zu denken, anstatt ständig vergebens Energie dafür aufzuwenden, die Sorge und die damit verbundene Angst zu unterdrücken. Allerdings braucht es dafür einigen Mut. Sie merken dann meistens, dass die absolute Katastrophe doch eher unwahrscheinlich ist. Die realistischeren Szenarien erscheinen dagegen nicht mehr so schlimm und Sie fühlen sich selbst auf „den Ernstfall“ vorbereitet.
  • Informationen, die die Sorge nähren, begrenzen: Besprechen Sie Ihre Sorgen mit dem Behandlungsteam und lassen Sie sich dort gut über alles informieren, was die aktuelle Situation Ihres Kindes betrifft. Informationen aus dem Internet oder von anderen Eltern, deren Kind sehr wahrscheinlich sowohl eine andere Erkrankung als auch seinen eigenen Krankheitsverlauf hat, beschleunigen Ihr Sorgenkarussell und bringen Sie nicht weiter. Die ständige Beschäftigung mit einem sorgenvollen Thema führt dazu, dass Sie nur noch daran denken und Ihre anderen Aufgaben und Anliegen nicht mehr gut wahrnehmen können.
Erste Hilfe bei akutem Stress

Auf belastende Ereignisse und Stressfaktoren reagiert jeder Mensch anders – daher gibt es verschiedene Möglichkeiten der Selbsthilfe, wenn Sie in Anspannung geraten oder sich sehr aufregen. Manchmal wünscht man sich, einen Knopf drücken zu können, der einem den Boden unter den Füßen zurückbringt - ganz so einfach ist es nicht.

Wenn man die körperlichen Vorgänge bei Stress näher unter die Lupe nimmt, zeigt sich, dass bei Stress das periphere Nervensystem (oder der Sympathikus) aktiv ist und Herzschlag und Atemfrequenz erhöht, die Hände kalt werden oder die Knie zittern lässt - während bei Entspannung der Parasympathikus (auch als „Ruhenerv“ bezeichnet) die Oberhand hat. Wenn es gelingt, den Parasympathikus zu aktivieren, kann Stress abgebaut werden.

Tipps zum Stressabbau

  • Atmen Sie bewusst: Zählen Sie beim Einatmen beispielsweise bis 4 und beim Ausatmen bis 6 – wichtig ist, dass die Ausatmung länger ist als das Einatmen.
  • Berühren Sie Ihre Lippen: Nicht umsonst wirken nuckeln, küssen, essen oder rauchen beruhigend.
  • Reagieren Sie Spannung ab: Beispielsweise können Sie mit dem Fuß aufstampfen oder mit der Faust auf ein Kissen schlagen.
  • Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf etwas komplett Anderes: Schauen Sie aus dem Fenster und nehmen Sie bewusst wahr, was Sie dort sehen.
  • Reduzieren Sie zusätzliche Stressquellen: Schalten Sie Fernseher und Telefon aus.
  • Machen Sie eine kurze Pause: Trinken Sie einen Schluck Wasser oder naschen Sie „Nervennahrung“ (Nüsse, dunkle Schokolade) und setzen Sie sich dazu hin.
  • Geben Sie Ihren Sinnen starke Reize: Lassen Sie beispielsweise kaltes Wasser über Ihre Handgelenke laufen oder tauchen Sie Ihr Gesicht hinein; schnuppern Sie an einem Duftöl oder essen Sie etwas Scharfes.
  • Machen Sie etwas, was Sie schon lange vor sich herschieben: Räumen Sie auf und bringen Sie äußerlich Ordnung in den Tag.
  • Bewegen Sie sich: Laufen Sie die Treppen auf und ab oder eine Runde um den Block.
  • Lassen Sie die Tränen laufen: Tränen spülen Stresshormone aus dem Körper und lösen Anspannung.
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Autor: Iris Lein-Köhler, Barbara Grießmeier