Empfehlungen für getrennte Eltern
Autor: Iris Lein-Köhler, Barbara Grießmeier, Zuletzt geändert: 14.02.2022 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e241674
Inhaltsverzeichnis
Auch wenn Eltern getrennt sind und/oder in neuen Partnerschaften leben, bleiben sie doch beide gleichermaßen Eltern der gemeinsamen Kinder. Vielleicht kommt es Ihnen zunächst ganz unmöglich vor, über die mit der Trennung verbundenen Verletzungen im Interesse Ihrer Tochter/Ihres Sohnes hinauszuwachsen und Enttäuschungen oder Ärger hintenan zu stellen.
Für Ihre Tochter/Ihren Sohn ist es wichtig, dass Sie gemeinsam einen Weg finden, wie Sie sich die Versorgung teilen und dabei Ihre Stärken zu ihrem/seinem Wohl einsetzen: In der Zeit der Behandlung braucht Ihre Tochter/Ihr Sohn Sie Beide und will sich auf Sie verlassen können.
Die gemeinsame Botschaft an Ihr Kind sollte lauten: „Wir sind für Dich da. Du bist uns wichtig. Wir begleiten Dich beide so gut wir können.“ Vielleicht haben Sie schon etwas Übung darin, Ihre Elternrolle von der Paarebene zu trennen: Dann wird es Ihnen leichter fallen, gangbare Wege zu finden und sich dieser besonderen Herausforderung zu stellen.
Gemeinsame Sorge
In der Regel sorgen sich beide Eltern um die Tochter/den Sohn und wollen das ihnen Mögliche beitragen, damit die Behandlung gut verlaufen kann. Auch wenn Sie inzwischen als Paar getrennt sind, normalerweise wenig miteinander kommunizieren und sich innerlich weit voneinander entfernt haben, verändert die lebensbedrohliche Erkrankung eines gemeinsamen Kindes sehr viel: Informationen müssen regelmäßig geteilt und die Versorgung des Kindes/der Kinder neu abgesprochen werden.
Meistens besteht nach einer Trennung/Scheidung ein gemeinsames Sorgerecht. Dies bedeutet, dass die Eltern alle Beschlüsse, die den Sohn/die Tochter betreffen, gemeinsam und einvernehmlich fassen müssen. Auch für alle Arztgespräche und medizinischen Entscheidungen bezüglich der Behandlung Ihrer Tochter/Ihres Sohnes werden beide Eltern benötigt. Mutter und Vater müssen mit ihrer Unterschrift den medizinischen Maßnahmen zustimmen.
Wenn Sie weit voneinander entfernt wohnen, lässt sich die Teilnahme an wichtigen Gesprächen über Videokonferenzen ermöglichen oder Sie bekommen alle wichtigen Informationen von den behandelnden Ärzten telefonisch übermittelt. Eine Vollmacht für den Elternteil, der das Kind in die Klinik begleitet, kann Entscheidungen, die sehr schnell getroffen werden müssen, erleichtern: Das setzt allerdings voraus, dass Sie einander soweit vertrauen können, dass er/sie das „Richtige“ tut. In solch eine Vollmacht kann auch beispielsweise folgender Passus aufgenommen werden: „Nach vorheriger telefonischer Information durch den Arzt und mündlicher Zustimmung des nicht anwesenden Elternteils…“. Besprechen Sie ein für alle Seiten passendes Vorgehen mit dem Behandlungsteam.
Vielleicht liegt Ihre Trennung/Scheidung schon eine Weile zurück und der Familienalltag hat sich inzwischen auf das Leben als getrennte Eltern eingespielt. Dann hatten Sie vor der Erkrankung Ihrer Tochter/Ihres Sohnes wahrscheinlich ausgehandelte Regelungen (Umgangsrecht) für die Zuständigkeiten an Wochenenden und in den Ferien. Oder Sie leben ein Wechselmodell (das Kind lebt in einem abgesprochenen Rhythmus bei Mutter und Vater). Die Erkrankung wirft wahrscheinlich auch hier alle Absprachen über den Haufen: Finden Sie gemeinsam praktikable Lösungen unter den Bedingungen der Behandlung. Sie werden wieder häufiger und intensiver miteinander sprechen müssen, um sich im Interesse Ihrer Tochter/Ihres Sohnes abzustimmen.
Fragen, die geklärt werden müssen
Ihre Tochter/Ihr Sohn braucht in dieser schwierigen Zeit den Kontakt zu beiden Eltern: Ihre Fürsorge, Aufmerksamkeit und Begleitung sind unverzichtbar. Deshalb ist jetzt ein offenes, konstruktives Gespräch mit Ihrer ehemaligen Partnerin/Ihrem ehemaligen Partner nötig, um sich auf die neue Situation einzustellen und folgende Fragen möglichst einvernehmlich zu klären:
- Wie werden die medizinischen Informationen übermittelt? Wer kann wann wie mit dem Behandlungsteam sprechen? Wer gibt welche Informationen wann in welcher Form weiter?
- Wer spricht wann worüber mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn (Abstimmung ist hier wichtig, damit keine Verwirrung/Verunsicherung entsteht) und den Geschwistern/Stiefgeschwistern?
- Wer kann wann und in welchem Umfang die Begleitung des erkrankten Kindes in die Klinik zu stationären und ambulanten Aufenthalten übernehmen?
- Wie lassen sich Besuche/regelmäßige Kontakte zum getrennt lebenden Elternteil organisieren?
- Was ist mit dem Stiefelternteil Ihres Kindes? Wie wird dieser involviert oder nicht?
- Wie werden finanzielle Belastungen, die die Erkrankung und ihre Behandlung mit sich bringen, geteilt?
Wenn diese Probleme zu schwer zu lösen sind, können Sie mit den MitarbeiterInnen des Psychosozialen Teams darüber sprechen und sich Unterstützung bei der Klärung holen: Diese können Gespräche moderieren und mit Ihnen gemeinsam an einer Lösung arbeiten.
Wenn das Band zerschnitten scheint
In einigen getrennten Familien lassen sich die Dinge leichter klären und ordnen, während bei anderen Elternpaaren frühere Schwierigkeiten oder bestehende Vorbehalte dazu führen, dass Einigungen nur schwer zu erzielen sind.
Das gilt beispielsweise für folgende Situationen:
Manchmal kommt es vor, dass sich der vom Kind getrennt lebende Elternteil aus dem Kontakt zurückgezogen hat und am Alltag des Kindes kaum beteiligt ist (meldet sich beispielsweise nur zu Festen oder verbringt nur einen Teil des Urlaubs mit der Tochter/dem Sohn). Wenn gemeinsames Sorgerecht besteht, hat er/sie aber einen Anspruch darauf, über die schwere Erkrankung informiert und in Entscheidungen einbezogen zu werden. Gleichzeitig kann es nötig sein, das eigene bisherige Verhalten neu zu überdenken.
Wenn die Trennung nicht einvernehmlich erfolgte und/oder mit emotionalen Verletzungen einherging, ist es oft schwierig, davon innerlich Abstand zu gewinnen, mit der/dem ehemaligen PartnerIn über die Belange des Kindes zu sprechen und jetzt einvernehmliche Entscheidungen zu treffen. Mangelndes Vertrauen in den guten Willen der/des anderen und eine ängstliche Erwartungshaltung in Bezug auf neue Missverständnisse oder Zumutungen können die Verständigung erschweren oder gar verhindern.
Es kann sein, dass Sie bei bisherigen Verständigungsversuchen die Erfahrung gemacht haben, leicht in Streit geraten zu sein und am Ende mit Groll aufeinander und ohne Lösung auseinandergegangen sind. Hier bietet es sich an, eine/n unparteiische/n VermittlerIn einzuschalten: sei es jemand, der/dem Sie beide vertrauen oder eine/n professionelle/n ModeratorIn (beispielsweise aus dem Psychosozialen Team der Klinik oder vom Jugendamt).
Manchmal befinden sich Eltern gerade in einem Sorgerechtsstreit und die Fronten sind so verhärtet, dass es kaum vorstellbar erscheint, einen Schritt zurückzutreten oder aufeinander zuzugehen und die Interessen des erkrankten Kindes an oberste Stelle zu stellen. Sie sollten es unbedingt versuchen und Ihren Teil dazu beitragen, dass sich der Streit nicht weiter hochschaukelt. Die Behandlungszeit ist nicht der richtige Zeitpunkt für Verhandlungen vor dem Familiengericht.
Vielleicht liegt die Trennung schon länger zurück und Ihre Tochter/Ihr Sohn hat inzwischen eine enge Beziehung zu Ihrem neuen Partner/Ihrer neuen Partnerin aufgebaut, den/die sie/er viel eher als Vater oder Mutter wahrnimmt. Es kann irritierend sein, wenn einerseits der leibliche Vater/die leibliche Mutter nach der Diagnose wieder eine größere Rolle im Leben des Kindes spielen soll und andererseits der Stiefelternteil plötzlich an den Rand gedrängt wird.
Suchen Sie nach Regelungen, die für Ihre Tochter/Ihren Sohn größtmögliche Vertrautheit und Verlässlichkeit bieten: Lassen Sie sie/ihn mitentscheiden, wen sie/er wann um sich haben mag.
Möglicherweise lebt ein Elternteil inzwischen in einer neuen Beziehung und die Partnerin/der Partner hat wenig Verständnis dafür, dass das erkrankte Kind jetzt stärker in den Blick genommen wird. Darüber zu sprechen und nach für alle Seiten lebbaren Lösungen zu suchen, ist notwendig.
Wenn nach einer Trennung Verletzungen zurückgeblieben sind, kommt es manchmal vor, dass getrennte Eltern schlecht übereinander reden und das Kind dazwischen steht. In der Regel liebt ein Kind beide Eltern und wird durch negative Äußerungen über Vater oder Mutter schwer belastet. Ersparen Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn die Zerreißprobe zwischen Ihnen, führen Sie Auseinandersetzungen nicht in ihrer/seiner Gegenwart und lassen Sie sie/ihn spüren, dass Sie beide nach besten Kräften für sie/Ihn da sein wollen.
Wenn Sie Kontakt zum Jugendamt haben und vielleicht von dort auch Unterstützungsangebote erhalten (beispielsweise eine sozialpädagogische Familienhilfe) oder es eine Regelung für betreuten Umgang gibt, sollten Sie Ihr Einverständnis dazu geben, dass das Psychosoziale Team mit Ihrem ambulanten Helferteam Kontakt aufnimmt. So kann der Hilfeplan an die neuen Gegebenheiten angepasst werden und Sie erhalten die Unterstützung von Seiten des Jugendamtes, die Sie für die Behandlungszeit brauchen (beispielsweise bei der Geschwisterbetreuung oder der Vermittlung zwischen Ihnen und Ihrem/Ihrer Ex-PartnerIn).
Die Erkrankung Ihrer Tochter/Ihres Sohnes und die mit der Behandlung verbundenen Belastungen erfordern eine möglichst gute Kooperation der Sorgeberechtigten. Weil Ihr Kind jede Unterstützung verdient hat, sollte es Ihnen als erwachsenen Menschen möglich sein, dass Sie Ihrer Verantwortung als Eltern gerecht werden und für Ihr Kind alles tun, was es braucht, um die Behandlungszeit gut zu bestehen.