Sorgen Sie für sich selbst

Autor:  Iris Lein-Köhler, Barbara Grießmeier, Zuletzt geändert: 18.07.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e241310

Viele Eltern stellen aus Sorge um ihr Kind die eigenen Bedürfnisse hintenan – das lässt sich aber nicht lange durchhalten. Ihre Tochter/Ihr Sohn braucht Sie als möglichst ausgeglichene Begleitung und das können Sie nur leisten, wenn Sie auch gut auf sich selbst achten: Das beginnt bei den grundlegenden Dingen, die Ihre Gesundheit erhalten und Ihre Durchhaltefähigkeit stärken.

Jeder Mensch hat verschiedene Kraftquellen, die sie/er für sich nutzen kann, und die gerade in schweren Zeiten besonders wichtig sind. Dazu gehören alle gesundheitsförderlichen, schützenden und stärkenden persönlichen Reserven auf allen Ebenen: Die Befriedigung der körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Grundbedürfnisse ist Voraussetzung für Ausgeglichenheit, Zufriedenheit und Wohlbefinden – auch und gerade in schweren Zeiten.

Der erste Einwand von Eltern gegen die Aufforderung zur Selbstfürsorge ist oft, dass sie „keine Zeit und keinen Nerv“ dafür hätten. Aber das stimmt so nicht: Entdecken Sie die Lücken im Tagesablauf, in denen sie etwas für sich selbst tun oder in Anspruch nehmen können und raffen Sie sich dazu auf, auch wenn es schwerfällt. Nutzen Sie beispielsweise Zeiten, in denen Ihr Kind schläft, Übungen mit den PhysiotherapeutInnen macht, mit den PädagogInnen (Angebote im Spielzimmer, Unterricht) beschäftigt ist oder Besuch hat.

Oft sind es schon Kleinigkeiten, die Entlastung bringen können und Aufatmen möglich machen:

  • Gönnen Sie sich kleine Pausen zum Durchatmen (etwas trinken, kurz an die frische Luft oder auch nur vor die Zimmertür gehen).
  • Machen Sie tagsüber ein Nickerchen, wenn die Nacht unruhig war oder schlafen Sie mit, wenn Ihr Kind schläft.
  • Nehmen Sie sich Zeit für die eigene Körperpflege: Gehen Sie in Ruhe zum Duschen und cremen Sie sich danach mit einer duftenden Lotion ein.
  • Kuscheln Sie mit Ihrem Kind oder Ihrer Partnerin/Ihrem Partner und spüren Sie, wie gut der Körperkontakt tut.
  • Trinken oder essen Sie eine Kleinigkeit und setzen Sie sich dazu hin.
  • Suchen Sie das Gespräch über alltägliche Dinge mit anderen Eltern oder dem Klinikpersonal und halten Sie ein „Schwätzchen zwischendurch“, das aufbaut und stärkt.

Sorgen Sie für Ihre körperlichen Bedürfnisse

Um anstrengende Zeiten gut durchzustehen und belastbar zu bleiben, muss man auch körperlich möglichst fit sein. Viele Eltern berichten, dass sie in der Behandlungszeit zunehmen, weil sie zu viel zwischendurch naschen, ihre Mahlzeiten nicht regelmäßig einnehmen oder sich der Kalorienbedarf durch weniger Bewegung verändert hat. Gehen Sie freundlich mit sich um: Jetzt ist nicht die Zeit für Diäten oder umfangreiche Sportprogramme.

Hier finden Sie einige Vorschläge zur Verbesserung Ihres körperlichen Befindens: Suchen Sie sich die Punkte heraus, die für Sie passend sind:

Achten Sie auch für sich selbst auf regelmäßige, gesunde Mahlzeiten (viel Obst und Gemüse) und nutzen Sie die Möglichkeiten Ihrer Klinik, sich über das Krankenhausessen hinaus gut zu versorgen (etwas liefern zu lassen; eigene Lebensmittel im Kühlschrank zu lagern). Genießen Sie das gemeinsame Essen mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn oder anderen Familien und bauen Sie gemeinsame Mahlzeiten in den Tagesablauf ein. Wenn Ihre Tochter/Ihr Sohn aber aus medizinischen Gründen nichts essen darf/kann (beispielsweise vor einer Punktion), dann passt es vielleicht besser, dass Sie zum Essen in einen anderen Raum gehen oder auf die gemeinsame Mahlzeit warten.

Sorgen Sie dafür, dass Sie Ihren Lieblingskaffee oder -tee dabeihaben und bereiten Sie sich regelmäßig davon zu. Meist gibt es in der Klinik frei verfügbare Getränke: Trinken Sie regelmäßig ein Glas Wasser – das stabilisiert Ihren Kreislauf.

Aufputschende Getränke oder Suchtmittel wie Alkohol, Nikotin oder Drogen können zwar kurzfristig Erleichterung bringen, schaden aber Ihrer Gesundheit. Allerdings gelingt es in der Behandlungszeit selten, Gewohnheiten zu verändern und beispielsweise mit dem Rauchen aufzuhören.

Gute Ernährung stärkt Ihren Körper.

Wenn die Tage aufregend oder anstrengend sind, brauchen Sie Gelegenheiten zu Entspannung und Regeneration. Machen Sie sich bewusst, was Ihnen normalerweise dabei hilft, herunterzukommen und nach Zeiten der Anspannung Ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Vielleicht können Sie ein Hobby wie Malen oder Stricken auch in der Klinik ausüben, vielleicht Ihre Lieblingsmusik hören. Viele Angebote der ErzieherInnen zum Basteln, Spielen oder kreativen Gestalten können auch von den Begleitpersonen genutzt werden, um im Klinikalltag gemeinsam mit den Kindern und/oder anderen Eltern einen Ausgleich zu finden.

Möglicherweise kennen Sie sich aus mit einer Entspannungstechnik wie Autogenes Training, Selbsthypnose oder Progressive Muskelentspannung aus: Nutzen Sie diese Techniken und bauen Sie sie verstärkt in Ihren Alltag ein. Oft kann auch entspannende Musik hilfreich sein.

Hier finden Sie beispielhaft zwei einfache Entspannungsübungen, die manche Eltern hilfreich finden. Wenn Ihnen so etwas gut tut, können Sie das Ihrem Kind oder anderen Familienmitgliedern beibringen.

Entspannungsübung „Bauchatmen“

Tiefes Atmen oder „Bauchatmen“: Setzen Sie sich bequem an einen Ort, an dem Sie einige Minuten Zeit für sich haben können. Atmen Sie langsam und tief durch die Nase ein - Ihr Bauch sollte sich wie ein Ballon mit Luft füllen. Machen Sie eine Pause und atmen Sie dann langsam durch den Mund aus - Ihr Bauch sollte nach unten gehen, als würden Sie langsam die Luft aus einem Ballon lassen. Versuchen Sie, Ihre Muskeln beim Ausatmen entspannen zu lassen. Manche Menschen finden es entspannend, beim Ein- und Ausatmen langsam zu zählen (1-2-3-4) oder an Worte wie „ruhig“, „loslassen“ oder „entspannen“ zu denken.

Entspannungsübung „Mein Wohlfühlort“

Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um an einem ruhigen Ort zu sitzen. Schließen Sie Ihre Augen und versuchen Sie sich vorzustellen, dass Sie sich an einem Ort befinden, den Sie kennen oder sich ausdenken und den Sie wirklich als entspannend oder tröstlich empfinden. Was sehen Sie? Was hören Sie? Wonach riecht es? Können Sie in der Fantasie etwas berühren? Versuchen Sie, alle Ihre Sinne zu nutzen, um sich in Ihrer Vorstellung an diesen entspannenden Ort zu versetzen. Lassen Sie Ihren Körper entspannen, während Sie ein paar Minuten dort verbringen. Wenn Sie die Übung „Mein Wohlfühlort“ regelmäßig machen, wird es Ihnen mit der Zeit immer leichter fallen, in Ihrer Vorstellung dorthin zu gehen und aufzutanken.

Die MitarbeiterInnen des psychosozialen Teams werden Sie gern beraten, mit Ihnen gemeinsam nach Ihren persönlichen Vorlieben zur Entspannung suchen und erarbeiten, wie diese in der Kliniksituation genutzt werden können.

Entspannung hilft bei der Regeneration.

Wenn möglich, bewegen Sie sich tagsüber viel, damit Sie die Anspannung loswerden, körperlich fit bleiben und besser schlafen können: Gehen Sie vor dem Krankenhaus spazieren, begleiten Sie Ihr Kind beim Bobbycar-Fahren, indem Sie den Infusionsständer hinterher schieben oder nehmen Sie die Treppe statt des Fahrstuhls. In manchen Kliniken gibt es Sportgeräte, die Sie abends benutzen können (Ergometer, Tischtennisplatte). Eine Matte für Dehnübungen, Yoga, Pilates oder Tai Chi und eine ruhige Ecke, solche Übungen zu machen, lässt sich fast überall finden.

Wenn Sie zu Hause sind, bitten Sie eine/n Freund/in, eine Weile bei Ihrem Kind/Ihren Kindern zu bleiben und prüfen Sie, ob Sie sich so Zeit nehmen können, um ins Fitnessstudio, zum Joggen oder schwimmen zu gehen.

Sport und Bewegung helfen Ihnen, sich besser zu fühlen und besser zu schlafen.

Viele Eltern berichten davon, dass sie insbesondere in der Klinik schlechter schlafen. Das ist einerseits den besonderen Umständen dort geschuldet (ungewohntes Bett, häufige Störungen), kann aber andererseits dazu führen, dass Sie Ihrem kranken Kind weniger aufmerksam zur Verfügung stehen oder gereizter, frustrierter und ungeduldiger werden (gegenüber Ihrem Kind, dem Behandlungsteam oder Ihrer Familie).

Es kann hilfreich sein, mit den MitarbeiterInnen des Psychosozialen Teams über Ihre Schlafprobleme zu sprechen: Sie können Ihnen dabei helfen, besser zu verstehen, was Ihren Schlaf beeinträchtigt und Ideen zu entwickeln, was Sie tun können, um Ruhe zu finden.

Wenn Sie meditieren, Musik hören oder sich einen entspannenden Ort vorstellen, können Sie sich entspannen und leichter einschlafen.

Manchmal befürchten Eltern, dass sie zu tief schlafen und nicht mitbekommen, wenn es ihrem Kind nicht gut geht oder wenn sie angerufen werden (beispielsweise, wenn sie in einem Elternzimmer übernachten). Besprechen Sie das mit der für Ihre Tochter/Ihren Sohn zuständigen Pflegeperson, die dann regelmäßig nach ihr/ihm schauen kann. Wenn Sie wissen, dass jemand bei Bedarf für Ihr Kind verfügbar ist, fühlen Sie sich vielleicht besser in der Lage, den Schlaf zu bekommen, den Sie brauchen.

Wenn Ihre Tochter/Ihr Sohn schon alt genug und mit den Klinikbedingungen vertraut ist, um allein zu schlafen, nutzen Sie die Möglichkeit, in einem Elternzimmer/einer Elternwohnung ruhiger zu schlafen oder fahren Sie nachts nach Hause zu Ihrem eigenen Bett, wenn Sie in Kliniknähe wohnen.

Nutzen Sie die Zeiten daheim, um sich auszuschlafen und wechseln Sie sich nach Möglichkeit mit anderen Bezugspersonen Ihres Kindes in der Klinikbetreuung ab, damit Sie mindestens alle paar Nächte ohne Krankenhausgeräusche besser schlafen können.

Wenn Sie an einer chronischen Krankheit leiden (beispielsweise Migräne, Diabetes, Bluthochdruck) achten Sie darauf, dass Sie Ihre Medikamente regelmäßig einnehmen und beraten Sie sich mit Ihren ÄrztInnen, ob Ihre Medikation in der aktuellen Situation angepasst werden muss, um möglichst beschwerdefrei zu sein.

Wenn Sie Arzttermine haben, nehmen Sie diese wahr (in dieser Zeit kann Ihr Kind von jemandem aus dem Behandlungsteam beaufsichtigt werden) oder verschieben Sie diese nur wenig nach hinten, um kein Risiko für die eigene Gesundheit einzugehen.

Wenn körperliche Beschwerden neu auftreten (wie beispielsweise Rückenbeschwerden), schieben Sie die Abklärung nicht auf „die lange Bank“: Je eher Sie wissen, was los ist und Sie sich behandeln lassen, umso schneller können Sie wieder ganz für Ihr Kind da sein.

Sollten Sie selber akut krank werden (Infekte), kurieren Sie sich aus und organisieren sie die Betreuung Ihres Kindes neu: Durch eine Infektionskrankheit könnten Sie die immunsupprimierten Kinder auf der Station gefährden.

Genießen Sie mit allen Sinnen Gutes.

Oft sind es kleine Dinge, die zum Wohlbefinden beitragen, über alle Sinne wahrgenommen werden und einfach gut tun: beispielsweise ein leckeres Essen; eine heiße Tasse Tee in Ihren Händen; ein angenehmer Duft; die Lieblingsmusik; bequeme Kleidung; eine Massage; eine heiße Dusche oder ein warmes Bad; der Blick in einen sonnigen Tag; ein anregendes Buch.

Gönnen Sie sich Anregungen für die Sinne, die Ihnen gut tun.

Sorgen Sie für Ihre seelischen Bedürfnisse

Auf dem Weg durch die Behandlung werden Sie immer wieder Aufs und Abs erleben: Tage, an denen es Ihrer Tochter/Ihrem Sohn gut geht; Lachen über eine witzige Situation; Gespräche, die wohltun – aber auch erneute Verunsicherung; plötzliche Planänderungen; schlechte Nachrichten oder Tage, an denen Ihr Kind leidet.

Sie sind Mutter oder Vater eines kranken Kindes/Jugendlichen und Sie lieben Ihre Tochter/Ihren Sohn – Eltern können alles schaffen, was wirklich nötig ist. Die meisten Eltern mobilisieren Kräfte, von denen sie nicht wussten, dass sie sie haben.

Es ist zudem immer möglich, positive Erfahrungen zu machen, die der Psyche gut tun: beispielsweise Momente, die Sicherheit und Geborgenheit vermitteln oder einfach das Gefühl, angenommen zu werden. Sie können dies im Kontakt und im Gespräch mit Menschen erleben, die Ihnen nahe sind und wohl tun. Für sich selbst gut zu sorgen kann beispielsweise so gelingen:

Je mehr Sie gegen Ihre Lage ankämpfen und je mehr Sie sich darüber ärgern, dass es Ihre Familie treffen musste - je mehr Sie sich dafür verurteilen, dass Sie sich so fühlen, wie Sie sich fühlen - je mehr Sie von sich verlangen, stärker und zuversichtlicher sein zu müssen, umso länger dauert es, bis Sie gangbare Wege durch die aktuelle Krise finden.

Wie würden Sie mit einer/m Freund/in sprechen, die/der sich in einer ähnlichen Lage befindet wie Sie? Sie würden mit ihr/ihm vermutlich liebevoll, verständnisvoll und rücksichtsvoll umgehen, oder? Stellen Sie sich vor, Sie würden sich selbst so in den Arm nehmen wie es Ihre beste Freundin/Ihr bester Freund mit Ihnen macht.

Gehen Sie mit sich selbst rücksichtsvoll um und zeigen Sie Selbstmitgefühl für Ihre Lage.

Wenn man Menschen danach fragt, was ihnen für die Bewältigung von Krisen Kraft gegeben hat, dann nennen sie an erster Stelle oft die eigene positive Grundeinstellung. Ihre Verzweiflung, Sorge und Angst sind umso größer, je schlimmer Sie eine Situation bewerten und umso weniger Sie an eine Besserung glauben. Gedanken wie: "Das halte ich nicht aus.", rufen Verzweiflung und Mutlosigkeit in Ihnen hervor. Dagegen helfen hoffnungsvolle Gedanken wie beispielsweise:

  • Krebs ist eine behandelbare Krankheit. Die meisten krebskranken Kinder werden geheilt. Die Behandlung von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert und die Forschung macht unablässig weitere Fortschritte.
  • Meine Tochter/Mein Sohn wird wunderbar betreut. Sie/er versteht sich gut mit den Pflegenden, ÄrztInnen, TherapeutInnen und hat Freude an den psychosozialen Angeboten. Wenn es ihr/ihm gut geht, ist sie/er fast „die/der Alte“.
  • Wir sind in einem großartigen Krankenhaus und kämpfen alle für dasselbe Ziel.
  • An unserer Klinik wurden schon viele Kinder und Jugendliche erfolgreich behandelt.
  • Anderen Familien ging es ganz ähnlich wie uns und sie haben diese Zeit auch bewältigt. Es gibt immer Hoffnung.
  • Es ging bisher immer irgendwie weiter.

Das Wissen, im Leben schon viele Herausforderungen gemeistert zu haben, gibt Kraft und Selbstvertrauen für die Bewältigung der aktuellen Belastungssituation. Ganz sicher haben Sie in Ihrem Leben schon viele Probleme überwunden und sich Herausforderungen erfolgreich gestellt.

Rufen Sie sich diese Zeiten und Erfolge ins Gedächtnis und machen Sie sich klar, dass die Kräfte zur Überwindung von Schwierigkeiten in Ihnen stecken und Sie diese wieder aktivieren können. Dabei können Ihnen folgende Fragen hilfreich sein:

  • Was hat mir damals Kraft gegeben?
  • Was habe ich mir damals an aufmunternden Worten gesagt?
  • Wen habe ich um Unterstützung gebeten?

Vielleicht hat Sie damals Ihr Glaube getragen oder Ihnen hat ein Buch weitergeholfen, in dem andere Betroffene davon erzählen, wie sie eine ähnliche Situation überwunden haben. Oder gute Freunde haben Sie durch die schwere Zeit begleitet. Manchen Menschen hilft es, Ihre dunklen Gedanken und Gefühle einem Tagebuch anzuvertrauen; andere suchen entlastende Gespräche beispielsweise mit MitarbeiterInnen des Psychosozialen Teams. Einige notieren sich jeden Abend drei Dinge, für die sie heute dankbar sind.

Um sich auf andere Gedanken zu bringen, sich neue Sichtweisen und Lösungswege zu erschließen oder um sich Mut zu machen, können Sie sich auch in ein Buch vertiefen. Manche Menschen lesen in psychologischen Ratgebern oder Biographien, andere dicke Fantasy-Schmöker, Gedichte oder in der Bibel.

Manchmal fühlen wir uns so überwältigt, dass wir uns nicht vorstellen können, noch länger diesen Schmerz oder diese Angst aushalten zu können. Das Ringen mit der Vergangenheit oder die Gedanken an die Zukunft und die Überzeugung, dass es nie mehr „gut“ werden wird, machen Angst und lassen uns hoffnungslos fühlen. Versuchen Sie, stattdessen im „Hier und Jetzt“ zu leben. Konzentrieren Sie sich immer wieder neu darauf, was heute wichtig ist.

Stoppen Sie Gedanken darüber, wie morgen, übermorgen und Ihr weiteres Leben aussehen werden. Ein Tag ist überschaubar und der Schmerz ist auch einen Tag lang aushaltbar. Morgen kommt ein neuer Tag. Wer weiß, wie er aussehen wird? Und wenn er so schwierig wie der heutige sein wird, dann konzentrieren Sie sich wiederum nur auf diesen Tag.

Manchmal wird alles zu viel und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten schwindet. Machen Sie sich an diesem Punkt bewusst, was alles schon geschafft ist und holen Sie sich beim Behandlungsteam und Ihrem Familien- und Freundeskreis Rückhalt und Anerkennung für das, was Sie täglich leisten. Lernen Sie, sich selbst dafür zu loben, dass Sie durchhalten, auch wenn Ihnen das „selbstverständlich“ erscheint.

Wenn Sie von neuen, unvorhersehbaren Wendungen aus dem Gleichgewicht gebracht werden, sprechen Sie mit psychosozialen MitarbeiterInnern darüber und lernen Sie Ihre eigenen Möglichkeiten kennen, wie Sie Gelassenheit, Hoffnung und Stärke zurückgewinnen können.

Vielleicht fühlen Sie sich durch das Korsett der Behandlung und der Klinikregeln in Ihrer Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit eingeschränkt: Sie sind wichtige/r Partner/in im ständigen Austausch mit dem Behandlungsteam Ihres Kindes, das für die Genesung Ihrer Tochter/Ihres Sohnes kämpft. Sie können beharrlich nachfragen und sich weiter informieren, bis Sie zum nächsten Behandlungsschritt „ja“ sagen können.

Je jünger Ihre Tochter/Ihr Sohn ist, desto mehr lebt sie/er im „Hier und Heute“: sobald Kinder und Jugendliche sich besser fühlen, widmen sie sich wieder ihren Interessen und wenden sich Aktivitäten zu. Während Ihr Kind nach einer überstandenen schwierigen Zeit schon wieder Lebensfreude versprüht, brauchen Erwachsene oft länger, um sich von einer Aufregung zu erholen.

Es ist vollkommen normal, wenn Sie als Eltern den Eindruck haben, dass bei Ihnen Ereignisse im Behandlungsverlauf noch nachwirken. Erst, wenn Ihr Kind eine gefährliche oder herausfordernde Situation überstanden und gemeistert hat, können Sie in Ihrer Anspannung nachlassen und das Erlebte „verdauen“. Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihr Befinden nicht immer mit dem Ihres Kindes übereinstimmt. Geben Sie sich Zeit, lassen Sie die „Nachwehen“ abklingen und bleiben Sie wohlwollend gegenüber sich selbst, wenn Sie an eigene (Belastungs-)Grenzen stoßen.

So pflegen Sie Ihr seelisches Wohlbefinden
  • Gehen Sie achtsam mit sich selbst um: Welche Bedürfnisse haben Sie? Welche Gefühle nehmen Sie wahr? Was brauchen Sie gerade jetzt?
  • Üben Sie, Grenzen zu setzen: Dazu gehört auch, manchmal „Nein“ zu sagen.
  • Schenken Sie sich selbst Wertschätzung: Wenn Sie sich wieder einmal dabei ertappen, sich schlecht zu machen - fragen Sie sich, ob Sie so auch mit einer guten Freundin/einem guten Freund sprechen würden.
  • Hinterfragen Sie Grundannahmen über sich selbst: Negative Grundannahmen können sehr belastend sein und Stress verursachen („Ich bin ungeschickt.“; „Ich bin keine gute Mutter.“). Es lohnt sich, diese hin und wieder zu hinterfragen. Dabei kann man sich auch überlegen, ob es neue „Glaubenssätze“ gibt, die mittlerweile passender sind oder das Wohlbefinden fördern könnten („Komme, was will – ich kriege das hin.“).
  • Entdecken Sie genussvolle Momente: Was riechen, schmecken, sehen, fühlen und hören Sie?
  • Stellen Sie sich Problemen: Wenn Sie eine Schwierigkeit erkannt haben, versuchen Sie, etwas dagegen zu tun oder holen Sie sich Hilfe.
  • Nutzen Sie Ihre kreative Ader: Auch, wenn Sie glauben, dass Sie zwei linke Hände haben - bestimmt gibt es auch für Sie etwas Kreatives, das Ihnen Freude macht (wie Malen, Basteln, Schreiben, Musik).
  • Holen Sie sich bei Bedarf Unterstützung: Es gibt viele Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen - zum Beispiel, wenn man einmal nicht weiter weiß, einem alles zu viel wird oder einfach, um eine andere Sichtweise zu hören. Zögern Sie nicht, sich Unterstützung zu organisieren: Das ist kein Zeichen der Schwäche. Im Gegenteil, es erfordert Mut und zeugt von aktiver Problem- und Stressbewältigung.

Es können schon Kleinigkeiten sein, die den Alltag leichter machen – wie „sich etwas von der Seele reden“ oder auf ausreichend Erholung achten. Es ist nicht notwendig, auf einen besonderen Moment zu warten, um die Seele zu „pflegen“ und „auf sich zu schauen“.

Sorgen Sie für Ihre sozialen Bedürfnisse

Den meisten Menschen fällt es schwer, über ihre Sorgen, Ängste und Trauer zu sprechen: Es ist ihnen unangenehm, vor anderen die Fassung zu verlieren und zu weinen. Deshalb ziehen sie sich zurück, meiden Kontakte in ihrem sozialen Umfeld, streiten mit ihrer Partnerin/ihrem Partner oder meinen, dass sie nur von Menschen verstanden werden können, die etwas Ähnliches erlebt haben.

Wenn Sie in einer Partnerschaft leben, ist diese Gemeinschaft für Sie wahrscheinlich der wichtigste Halt: Informationen dazu, was die Konfrontation mit der lebensbedrohlichen Erkrankung eines Kindes für die Partnerschaft (aber auch für Eltern, die kein Paar mehr sind) bedeutet, finden Sie auf der Seite "Partnerschaft".

Wir alle sind in Familien, Freundes- und Bekanntenkreise eingebunden, die uns das Gefühl von Zugehörigkeit geben und auch jetzt unverzichtbar sind. Viele Eltern von Kindern und Jugendlichen mit einer Krebserkrankung machen die Erfahrung, dass sich einerseits manche Beziehungen in schweren Zeiten vertiefen, sie andererseits aber auch Enttäuschungen erleben: Wahre Freunde erkennt man in der Not.

Freunde oder Familienmitglieder können in Krisenzeiten sehr viel Kraft für die Bewältigung der Krise geben, wenn Sie sich erlauben, sich ihnen anzuvertrauen. Finden Sie heraus, wer besonders hilfreich ist (Sie fühlen sich nach Gesprächen mit solchen Menschen leichter und besser), halten Sie den Kontakt oder bitten Sie diejenige/denjenigen um häufige Kontakte.

Manchmal steigern wir uns in eine Situation, die wir als bedrohlich erleben, so stark hinein, dass wir nur noch die Probleme sehen und unfähig sind, unseren Blick auf potentielle Lösungen zu richten. Menschen, die aufmerksam zuhören, mitfühlen, eine Schulter zum Ausweinen bieten und keine vorschnellen Ratschläge geben, können dazu beitragen, dass sich der Blick für die nächsten Schritte öffnet. Personen, die Sie gut kennen, können würdigen, was Sie leisten, Ihnen den Rücken stärken oder praktische Hilfe leisten. In den schlimmsten Zeiten finden Sie heraus, wer es verdient, in künftigen guten Zeiten an Ihrer Seite zu sein.

Es tut gut, sich auszusprechen. Manchmal gibt es gerade niemanden in Ihrem Umfeld, mit dem Sie sprechen können oder es fällt Ihnen mit „Profis“ leichter: Bitten Sie die Psychologin/den Psychologen des Psychosozialen Teams um Gesprächstermine und nehmen Sie diese Möglichkeit, sich zu entlasten, regelmäßig in Anspruch.

Möglicherweise sind Sie auch unsicher, wie Sie ihren FreundInnen, ArbeitskollegInnen oder FreizeitpartnerInnen begegnen sollen und fürchten, dass diese zu wenig Verständnis für Ihre Situation haben. Außenstehende fühlen sich oft hilflos und überfordert, wenn sie Ihnen begegnen: Sie wissen nicht, was sie sagen sollen. Wenn Sie selbst möglichst konkret mitteilen, ob und wie Sie auf die Erkrankung Ihres Kindes angesprochen werden wollen oder von selbst erzählen, wie es gerade steht, erleichtern Sie den Kontakt und die anderen überraschen Sie vielleicht mit ihrem Verständnis und Mitgefühl.

Wahrscheinlich werden Sie auch auf Menschen treffen, die Ihnen aus ungeschickter Solidarität Geschichten von anderen Krebskranken erzählen oder aus falsch verstandener Hilfsbereitschaft, ungebetene Ratschläge (beispielsweise zu alternativen Behandlungsmethoden) geben. Überlegen Sie im Vorfeld, wie Sie solche Begegnungen begrenzen.

Insbesondere, wenn Sie im ländlichen Raum leben, wo jeder jeden kennt und über jede/n gesprochen wird, lohnt es sich, vertrauenswürdige Nachbarn oder den/die Ladeninhaber/in, bei der Sie immer einkaufen, gut zu informieren: So entstehen weniger Gerüchte.

Menschen, denen etwas an Ihnen und Ihrer Familie liegt, werden vielleicht erwarten, dass sie regelmäßig informiert werden, wie es Ihrem Kind und Ihnen geht. Überlegen Sie, wie Sie das handhaben wollen: Wählen Sie sorgfältig aus, von wem Sie sich anrufen lassen oder mit wem Sie sich über soziale Medien vernetzen. Vielleicht können Sie eine/n „InformationsministerIn“ bestimmen, die/der sich darum kümmert, alle auf dem Laufenden zu halten.

Wenn Sie sich regelmäßig mitteilen und Kontakte pflegen, können Sie darauf hoffen, dass Sie die Unterstützung bekommen, die Sie brauchen: Es ist fabelhaft, wenn Sie sich auf Leute verlassen können, die in Ihrem Leben „für Sie da” sind. Umarmungen, kleine Aufmerksamkeiten und Momente der geteilten Stille können wärmen und erfüllen, wenn Sie sich erschöpft und leer fühlen.

Nehmen Sie sich, wann immer möglich, Zeit dafür, mit Menschen im Kontakt zu sein, die Sie gut kennen, Ihnen den Rücken stärken oder einfach mal über etwas anderes als die Krankheit reden. Nehmen Sie die Hilfe an, die Ihnen angeboten wird: ein offenes Ohr; Hilfe im Haushalt oder für die Geschwister; eine kleine gemeinsame Unternehmung (beispielsweise ein Treffen im Café oder ein Spaziergang).

Falls Sie glauben, keinen haltgebenden Freundeskreis zu haben und trotzdem den Mut aufbringen, sich anderen anzuvertrauen, werden Sie vielleicht überrascht sein, wer Ihnen unerwartet Zuwendung schenkt und Hilfe anbietet.

Für viele Eltern ist es tröstlich und macht Mut, Menschen zu treffen, die in einer ähnlichen Situation waren und diese überwunden haben. Halten Sie Ausschau nach Familien, die die Therapiezeit schon hinter sich haben: Nehmen Sie Kontakt zur Elterninitiative an Ihrem Klinikstandort auf oder bitten Sie eine/n MitarbeiterIn des Psychosozialen Teams, einen Kontakt zu vermitteln.

Auch im Austausch mit anderen Eltern auf der Station können Sie voneinander und miteinander lernen, wie Sie am besten zurechtkommen.

Wenn Sie sich unglücklich fühlen oder durch die Organisation des Alltags mit Ihrem kranken Kind gestresst sind, sehen Sie sich vielleicht manchmal nicht in der Lage, an sozialen Aktivitäten teilzunehmen.

Es kann aber sehr entlastend und belebend sein, mit einer Freundin einen Kaffee zu trinken, dem Fußballspiel eines Ihrer gesunden Kinder zuzuschauen und wenn irgend möglich, Ihr Hobby zu pflegen: beispielsweise im Chor zu singen, einen Mannschaftssport zu betreiben, zum Elternstammtisch zu gehen. Eine Pause von der Fürsorge für Ihre Tochter/Ihren Sohn zu machen, kann ablenken und dabei helfen, neue Kräfte zu sammeln.

Häufig wird ein Elternteil in der Behandlungszeit weiter seiner Arbeit nachgehen (müssen), um den Familienunterhalt zu sichern. Bereiten Sie sich auf die Rückkehr zur Arbeit vor: Besprechen Sie im Vorfeld mit Ihrer/m Vorgesetzten und/oder der Kollegin/dem Kollegen Ihres Vertrauens, ob und wie Sie auf die Krankheit Ihres Kindes angesprochen werden wollen.

Wenn Ihre KollegInnen wissen, unter welchem Druck Sie stehen und welche Last Sie tragen, werden Ihnen die meisten mit Verständnis begegnen: Eltern berichten immer wieder, dass Ihre KollegInnen Ihnen Arbeit abgenommen haben, kurzfristig für sie einspringen oder sogar Urlaubstage schenken.

Wenn Sie sich ärgern, etwas nicht verstehen oder von jemandem enttäuscht werden – suchen Sie das Gespräch. Viele Konflikte und Missverständnisse können ausgeräumt werden, wenn man sie anspricht. Tragen Sie die Last von Fragen oder Irritationen nicht mit sich herum, sondern gehen Sie auf das Behandlungsteam, andere Eltern oder Menschen Ihrer nahen Umgebung zu, wenn Sie etwas beschäftigt oder belastet.

Sorgen Sie für Ihre spirituellen Bedürfnisse

Vielen Menschen ist ihr Glaube oder ihre spirituelle Praxis Halt und Hilfe in schweren Zeiten. Einige geraten aber gerade dann in spirituelle Krisen, weil sie sich fragen, wie Gott es zulassen kann, dass sie so etwas Schlimmes erleben müssen oder den Eindruck haben, dass ihre Gebete nicht erhört werden.

Suchen Sie den Kontakt zu Ihrer Gemeinde und/oder lassen Sie zu, dass Ihre Seelsorgerin/Ihr Seelsorger Sie und Ihre Familie besucht: Gemeinsame Rituale, das Beten und Singen sowie das Erleben der Zugehörigkeit zu Ihrer Glaubensgemeinschaft können einen Beitrag dazu leisten, dass Sie sich in etwas Größerem aufgehoben fühlen.

An den Kliniken arbeiten KlinikseelsorgerInnen, die Sie kontaktieren können, um über ihre Situation und spirituelle Fragen zu sprechen. Die SeelsorgerInnen können Besuche machen, mit Ihnen und Ihrer Tochter/Ihrem Sohn beten oder Rituale (beispielsweise die Krankensalbung) feiern.

Vielleicht kann auch die Klinikkapelle ein Ort der Stärkung und des Trostes sein: Bleiben Sie beispielsweise für eine Weile in der Stille des Raumes, zünden Sie eine Kerze an oder nehmen Sie an Andachten/Gottesdiensten teil.