Was tun, wenn sich Ihr Kind ungewöhnlich verhält?

Autor:  Iris Lein-Köhler, Barbara Grießmeier, Zuletzt geändert: 24.01.2022 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e241228

Im Laufe der Therapiezeit werden Sie und Ihre Familie wahrscheinlich eine Vielzahl von Emotionen und Reaktionen erleben: Diese Gefühle und Verhaltensweisen können von Familienmitglied zu Familienmitglied sehr unterschiedlich sein. Es ist wichtig zu verstehen, dass sich jeder Mensch in schwierigen Zeiten so verhält, wie es ihr/ihm möglich ist. Hilfe zum Verständnis des Verhaltens Ihrer Familienmitglieder und Ihres krebskranken Kindes finden Sie nicht nur auf dieser Website, sondern auch, indem Sie sich mit allen Ihren Fragen und Beobachtungen an das Psychosoziale Team wenden.

Wenn Kinder und Jugendliche gestresst und überfordert sind, verhalten sie sich anders als sonst. Versuchen Sie also zuerst zu verstehen, was genau die Stressreaktion auslöst, ob und wie die Situation so beeinflussbar ist, dass Ihr Kind mehr Handlungsspielraum gewinnen kann. Finden Sie dann gemeinsam mit Ihrer Tochter/ihrem Sohn heraus, was das Aushalten und Durchhalten erleichtern könnte und was sie/er sich von Ihnen wünscht, um besser zurechtkommen zu können.

Im Folgenden werden einige Verhaltensweisen beschrieben, die Sie so vielleicht von Ihrer Tochter/Ihrem Sohn nicht kennen und über die Sie sich Sorgen machen könnten:

Es ist normal, dass ein Kind/ oder ein/e Jugendliche/r im Verlauf der Behandlung und besonders vor noch unbekannten Situationen zumindest für eine Weile Angst hat, nach schlechten Nachrichten deprimiert ist oder nach anstrengenden Therapiephasen Erholung braucht. Ihre Tochter/Ihr Sohn möchte dann vielleicht nicht viel mit Ihnen oder dem Behandlungsteam reden, sondern in Ruhe gelassen werden.

Ältere Kinder wollen möglicherweise vor allem mit ihren Freunden in Kontakt bleiben, zumindest mit einem besten Freund oder einer engen Freundin sprechen. Dies kann jedoch auch schwierig sein, weil Ihre Tochter/Ihr Sohn fürchtet, nicht verstanden zu werden, wenn sich ihre/seine aktuellen Erfahrungen zu sehr von dem unterscheiden, was sie/er normalerweise mit ihren/seinen Freunden teilt. Ermutigen Sie trotzdem dazu und bieten Sie die nötige Ungestörtheit dafür.

Ohne zu drängen, zeigen Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn, dass Sie bereit sind, mit ihr/ihm zu reden, wann immer sie/er möchte. Bieten Sie an, zuzuhören, wenn Ihre Tochter/Ihr Sohn zum Sprechen bereit ist. Sie können auch sagen, dass es normal ist, Angst zu haben. Gleichzeitig ist es wichtig, die Zuversicht zu stärken, dass sie/er in der Klinik gut aufgehoben ist und dass die Ärztinnen mit aller Kraft daran arbeiten, die bestmögliche Behandlung durchzuführen.

Kranke Kinder wollen niemandem wehtun, aber sie können auf die Tatsache, dass sie krank sind und keinen normalen Alltag haben, wütend reagieren. Vielleicht drücken sie ihren Zorn und ihre Ohnmacht dadurch aus, dass sie mit Gegenständen werfen, etwas zerstören oder um sich schlagen. Dies mag sich vom gewohnten Verhalten unterscheiden: Die Krankheitserfahrung kann das Schlimmste sein, was Ihrer Tochter/Ihrem Sohn jemals passiert ist.

Sie/Er hat das Recht, wütend zu sein. Wenn Ihre Tochter/Ihr Sohn überfordert und gestresst ist, weiß er/sie sich möglicherweise gerade nicht anders zu helfen, als Ungeduld, Missmut und Ärger aggressiv zu äußern. Bleiben Sie ruhig und verständnisvoll, sorgen Sie dafür, dass niemand zu Schaden kommt und warten Sie, bis der Gefühlssturm vorüber ist.

Anstatt das Verhalten zu bestrafen, sich für das Verhalten des eigenen Kindes zu schämen und sich auf die Wutausbrüche zu konzentrieren, kann es hilfreich sein, zu fragen, was Ihre Tochter/Ihr Sohn fühlt und wie Sie helfen können. Wenn aggressives Verhalten länger anhält, sprechen Sie mit dem Psychosozialen Team und lassen Sie sich beraten, wie Sie Ihr Kind in solchen Situationen am besten unterstützen können, damit es sich beruhigen und wieder angemessen verhalten kann.

Wann immer möglich, ermutigen Sie Ihr Kind dazu, aufzustehen, am Tisch zu essen und sich möglichst viel zu bewegen. Aktivität trägt dazu bei, dass der Kreislauf gefordert wird und die Muskulatur erhalten bleibt. Es wird Tage geben, an denen es Ihrer Tochter/Ihrem Sohn zu schlecht geht und sie/er sich nur ausruhen möchte. Kleinere Kinder bewegen sich meist von selbst wieder mehr, sobald es ihnen besser geht.

Jugendliche versuchen manchmal die Krankenhauszeit möglichst im Bett „zu verschlafen“ – das ist eine nachvollziehbare Strategie, die stationären Aufenthalte möglichst unbehelligt hinter sich zu bringen („Augen zu und durch“). Ermutigen Sie dann insbesondere zu Hause zu Bewegung und Aktivität.

Während der Klinikaufenthalte kann Physiotherapie verordnet werden und vielerorts gibt es Sport- und Bewegungsangebote. Ermutigen Sie Ihr Kind dazu, an den Angeboten teilzunehmen. In den ambulanten Zeiten, wenn die Kinder vom Infusionsständer befreit sind, sollte gemeinsame Bewegung an der frischen Luft zur täglichen Routine gehören.

Vermehrte Streitigkeiten zwischen Geschwistern können ganz verschiedene Ursachen haben: Manchmal sind Geschwister einfach sauer, dass das kranke Kind so viel Aufmerksamkeit bekommt oder das kranke Kind ärgert sich und beneidet Bruder oder Schwester darum, dass sie gesund sind und ein verhältnismäßig normales Leben führen können.

Versuchen Sie nicht zu schnell zu schlichten und den/die Verursacher/in eines Streits zu finden. Sprechen Sie mit allen Beteiligten darüber, wie schwierig es für alle ist, wenn sich das Familienleben aufgrund einer schweren Krankheit verändert. Geschwister möchten vielleicht die Gewissheit, dass der Fokus nicht ständig auf dem kranken Kind liegt und dass es in Ordnung ist, eifersüchtig oder wütend zu sein; aber sie sollten auch deutlich erfahren, dass sie gewisse Rücksichten nehmen müssen. Das kranke Kind muss möglicherweise lernen, dass die Situation auch für seine Schwester/seinen Bruder nicht einfach ist und dass auch die Geschwister Aufmerksamkeit brauchen.

Wahrscheinlich ist Ihre Tochter/Ihr Sohn nicht begeistert, wenn sie/er geplant oder ungeplant wieder in die Klinik fahren muss. Manche Kinder wehren sich und wollen nicht ins Auto steigen, andere weinen und möchten sich nicht schon wieder vom vertrauten Zuhause verabschieden.

Bleiben Sie gelassen, aber konsequent. Planen Sie genügend Zeit ein, ehe Sie in die Klinik starten und sorgen Sie während der Fahrt für Abwechslung. Achten Sie darauf, dass alle für Ihr Kind wichtigen Dinge auch bestimmt in der Kliniktasche bereitliegen und dass insbesondere Trostgeber (wie das Lieblingskuscheltier) stets dabei sind.

Wenn Sie angenehme Seiten und erfreuliche Erlebnisse in der Klinik in den Vordergrund stellen („Vielleicht sehen wir wieder den Hubschrauber landen.“; „Wir können im Spielzimmer Kicker spielen.“; „Heute kommt die Musiktherapeutin.“), fällt es Ihrer Tochter/Ihrem Sohn möglicherweise leichter, in die Klinik zurückzukehren. Auch die Aussicht auf ein besonderes gemeinsames Erlebnis oder eine kleine Belohnung nach dem nächsten bewältigten Behandlungsabschnitt kann die Kooperationsbereitschaft stärken.

Den meisten Kindern fällt es nicht leicht, ihre Medikamente zu nehmen. Finden Sie möglichst bereits während der stationären Aufenthalte heraus, wie Ihre Tochter/Ihr Sohn ein bestimmtes Medikament am besten einnehmen kann. Lassen Sie sich vom Behandlungsteam dazu beraten, welche Möglichkeiten es gibt, die Einnahme zu erleichtern (Schluckhilfen, bestimmte Schlucktechniken). Entwickeln Sie gemeinsam mit Ihrem Kind Rituale, damit die regelmäßige Medikamentengabe eine vertraute und gut schaffbare Routine werden kann.

Während der Behandlungszeit kann es immer wieder starke Schwankungen des Appetits geben. Manche Medikamente verursachen Heißhunger, andere Übelkeit. Chemotherapie kann den Geschmack oder Geruch verändern, sodass Ihre Tochter/Ihr Sohn manches gar nicht und anderes ausschließlich essen mag. Berücksichtigen Sie die Essenswünsche Ihres Kindes und schauen Sie dabei trotzdem ein wenig durch die „Brille der gesunden Ernährung“.

Es macht vielen Eltern Sorgen, wenn ihr Kind stark zu- oder abnimmt. Das Behandlungsteam wird das Gewicht Ihres Kindes regelmäßig überprüfen und Maßnahmen in die Wege leiten, die Ihr Kind dabei unterstützen, sein Gewicht zu stabilisieren.

Literaturtipps:

Schlafstörungen bei einem Kind, das mitten in einer Krebsbehandlung ist, können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise:

  • Ängste vor dem, was kommt
  • fremde, unbekannte Umgebungsgeräusche in der Klinik oder Störungen der Nachtruhe durch medizinische Routinen (Geräte piepsen, Nachtschwestern kommen ins Zimmer)
  • Mangel an Aktivität tagsüber
  • Medikamente

Wenn Ihr Kind nicht ausreichend schläft, wird es vielleicht gereizter, weniger ansprechbar, frustrierter, gelangweilt oder unglücklicher sein. Möglichst guter Schlaf und ein gut strukturierter Tag mit Bewegung sind enorm wichtig.
Sprechen Sie bei anhaltenden Schlafproblemen und nach besonders unruhigen Nächten mit der/dem für Sie zuständigen psychosozialen MitarbeiterIn und überlegen Sie gemeinsam, was Ihrer Tochter/Ihrem Sohn helfen könnte, sich besser zu entspannen und leichter einzuschlafen.

So können Sie Ihrem Kind beim Schlafen helfen:
  • Machen Sie das medizinische Personal darauf aufmerksam, wenn Sie den Eindruck gewinnen, dass Ihr Kind schlecht schläft. Fragen Sie danach, ob eines der Medikamente, die Ihr Kind einnimmt, den Schlaf erschwert.
  • Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber, warum es wichtig ist, einen Weg zu finden, wie es besser schlafen kann. Bitten Sie Ihre Tochter/Ihren Sohn, sich Dinge auszudenken, die ihm das Einschlafen erleichtern.
  • Versuchen Sie, eine Technik zu entwickeln, die Ihrem Kind hilft, mit Sorgen umzugehen und diese vor dem Schlafengehen abzulegen: beispielsweise Sorgenpuppen, „Sorgenfresser“ oder eine „Kiste für schwere Gedanken“.
  • Sprechen Sie mit anderen Eltern darüber, wie sie mit Schlaflosigkeit bei sich und ihren kranken Kindern umgehen.
  • Überlegen Sie, wie Sie Ihrem Kind für die Nacht mehr Sicherheit bieten können: beispielsweise durch vertraute Bettwäsche, ein Einschlafritual oder Kuscheltiere.
  • Erkundigen Sie sich nach Bewegungsprogrammen, Physiotherapie oder Sporttherapie, die Kindern dabei helfen können, zu einer angemessenen Zeit müde genug für das Bett zu sein.
  • Besprechen Sie mit dem Behandlungsteam, ob es naturheilkundliche oder andere Mittel gibt, die den Schlaf unterstützen und fördern.
  • Erstellen Sie mit Ihrem oder für Ihr Kind eine Playlist mit entspannender Musik, die es zum Einschlafen hören kann und die die Krankenhausgeräusche übertönt.
  • Achten Sie darauf, dass mindestens eine Stunde vor dem Einschlafen Fernseher, Tablet oder Handy ausgeschaltet werden und besprechen Sie dies auch mit der Familie, die mit Ihnen das Zimmer teilt.