Was brauchen Kinder für ihre Entwicklung, auch unter den Bedingungen der Erkrankung?
Autor: Iris Lein-Köhler, Barbara Grießmeier, Zuletzt geändert: 12.07.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e241044
Inhaltsverzeichnis
- Säuglinge: „Ich bin, was man mir gibt“ – 1. Lebensjahr
- Kleinkinder: „Ich bin, was ich will“ – 2. und 3. Lebensjahr
- Kindergartenkinder: „Ich bin, was ich mir vorstellen kann.“ – 3. bis 6. Lebensjahr
- Grundschulkinder: „Ich bin, was ich lerne.“ – 7. bis 11. Lebensjahr
- Teenager: „Ich bin, was ich bin.“ – 12. bis 14. Lebensjahr
- Ältere Jugendliche: „Wir sind, was wir lieben.“ – ab dem 15. Lebensjahr
Jedes Kind, das an Krebs erkrankt, steht unabhängig von der Erkrankung an einem bestimmten Punkt seiner Entwicklung. Es hat Fähigkeiten erlernt, Vorlieben entwickelt und Beziehungen aufgebaut. Auch wenn die Diagnose das Leben durcheinanderbringt, geht die kindliche Entwicklung weiter. Die gute Nachricht ist, dass sich Ihr Kind unter den Bedingungen der Behandlung in vielen Bereichen ganz normal weiterentwickeln wird. Auf Gebieten, die durch die Behandlung eingeschränkt werden (beispielsweise motorische oder soziale Entwicklungsschritte), holt Ihr Kind im Anschluss an die Therapiezeit schnell auf.
Einige erkrankungsbedingte Einschränkungen (Bettlägerigkeit, Operationsfolgen, Nebenwirkungen) können dazu führen, dass Kinder scheinbar Rückschritte machen: Vielleicht wollte Ihr Kleinkind gerade laufen lernen und verweigert nun vorübergehend das Gehen, weil es Schmerzen in den Beinen hat. Dafür können Sie vielleicht beobachten, dass es schnell lernt, mehrteilige Puzzles zusammenzusetzen. Die soziale und emotionale Entwicklung Ihrer Tochter/Ihres Sohnes kann unter der besonderen Situation in der Klinik manchmal sogar weiter oder schneller vorankommen.
Der Kontakt zu Gleichaltrigen ist während der Behandlungszeit meist erheblich eingeschränkt und durch diese Isolation wird die soziale Entwicklung der Kinder/Jugendlichen beeinträchtigt. Ermöglichen Sie in der Klinik und im häuslichen Umfeld Kontakte zu anderen Kindern und behalten Sie dieses Thema im Blick, wenn Ihr Kind in Kindergarten oder Schule zurückkehren kann: Vielleicht braucht Ihre Tochter/Ihr Sohn dann etwas Zeit, um sich wieder auf einen Alltag mit anderen Kindern einzustellen.
Einige Erkrankungen (beispielsweise Hirntumore) und ihre Behandlung können hingegen dazu führen, dass die Entwicklung Ihrer Tochter gestört/behindert wird und Ihr Kind besondere Förderung braucht (Physio-; Ergo-, Logo-, neuropsychologische Therapie) oder langfristig mit Einschränkungen leben lernen muss.
Der folgende Abschnitt zeigt, in welchem Lebensalter welche natürlichen Entwicklungsaufgaben von Ihrem Kind gemeistert werden und wie Sie Ihre Tochter/Ihren Sohn darin unter den Bedingungen der Behandlung bestmöglich unterstützen können. Diese Anregungen sollen es Ihnen leichter machen, einerseits Ihrem Kind zuzutrauen, dass es die Behandlung gut meistern wird und andererseits Ideen dafür zu finden, welche Angebote zur gemeinsamen Beschäftigung Sie Ihrem Kind im Klinikalltag seinem Alter und Entwicklungsstand entsprechend machen können.
Für alle Kinder ist das Spielen die Art und Weise, wie sie die Welt erkunden und sich in sie hinein entwickeln. Dabei sind sie besonders interessiert an Dingen, die sie gerade noch nicht können, aber demnächst lernen werden. Indem Sie sich als SpielpartnerIn anbieten, den Klinikalltag abwechslungsreich mitgestalten, gemeinsame Aktivitäten und Aufenthalte im Spielzimmer und an der frischen Luft fördern, unterstützen Sie Ihr Kind bei allen neuen Erfahrungen am besten.
Säuglinge: „Ich bin, was man mir gibt“ – 1. Lebensjahr
Für Säuglinge ist wichtig, dass sie lernen, Nahrung gut aufzunehmen und ihren Schlaf-Wach-Rhythmus zu stabilisieren. In das erste Lebensjahr fallen große Fortschritte in der motorischen Entwicklung (Kopf halten, greifen, drehen, sitzen, krabbeln, laufen).
Die wesentlichen Basiserfahrungen im Säuglingsalter sind:
- Das Baby kann sich auf seine Bezugspersonen verlassen: Sie sind bei ihm und reagieren sofort, wenn es sich bemerkbar macht.
- Das Baby lernt, dass es etwas bewirken kann: Es beobachtet, was passiert, wenn es Gegenstände berührt, in den Mund steckt, bewegt, fallen lässt.
- Das Baby erkundet seine unmittelbare Umgebung und lernt, sich sicher zu fühlen.
- Das Baby reguliert körperliche und psychische Spannungen (Stress) durch Nuckeln, Daumenlutschen, Kuscheltiere und durch den Körperkontakt zu seiner Bezugsperson.
Babys interessieren sich in erster Linie für die Erkundung des eigenen Körpers und spielen mit greifbaren Objekten. Sie haben sichtbar Freude an Körperbewegungen, ihnen überlassenen Gegenständen, sowie vielfachen Wiederholungen.
Stellen Sie sich darauf ein, dass Ihr Baby, wenn es wach ist, Ihre volle Aufmerksamkeit wünscht und sich immer wieder versichert, dass Sie mit ihm im Kontakt stehen.
Sie können ein Mobile, Greifspielzeug, Spieluhren und ähnliches anbieten und brauchen Geduld und Gelassenheit für die vielfachen Wiederholungen im Spiel.
Wenn Säuglinge gestresst sind, weinen sie mehr und haben möglicherweise Schwierigkeiten beim Stillen, Füttern oder Schlafen. Versuchen Sie, den gewohnten Tagesrhythmus weitestgehend aufrechtzuerhalten. Trösten Sie Ihr Baby, indem Sie es tragen, schaukeln, streicheln, beruhigend mit ihm sprechen oder ihm etwas vorsingen.
Was Säuglinge von ihren Eltern brauchen
Die Feinfühligkeit der Eltern ist das Wichtigste, damit ein Baby in seinem Alltag (auch mit der Behandlung) gut zurechtkommt und eine sichere Bindung zu seinen Bezugspersonen aufbauen kann. Alle Eltern verhalten sich normalerweise intuitiv feinfühlig, indem sie:
- den Wachheits- und Erregungszustand des Kindes durch Beobachtung und Berührung wahrnehmen und das Baby durch rhythmische Bewegungen beruhigen oder anregen
- durch Rufen und rhythmische Laute erreichen, dass das Kind sich ihnen zu-wendet und sie direkten Blickkontakt aufnehmen und halten können (optimale Distanz 25 cm)
- echte Kommunikationssituationen aufbauen: Durch Sprechen, Lächeln, übertriebene Mimik und Wiederholen entstehen kleine Dialoge.
- alle Sinne anregen (hören, sehen, fühlen, riechen, schmecken) und sich auf die Gefühlslage des Babys einstimmen.
- Dinge der aktuellen Umwelt immer wieder benennen.
Kleinkinder: „Ich bin, was ich will“ – 2. und 3. Lebensjahr
Wichtige Entwicklungsschritte im Kleinkindalter sind das Erlernen der Sprache (es gibt Worte für bestimmte Dinge), das Erlernen von Sauberkeit und das Einüben vielfältiger Bewegungsmuster. Zwei- bis Dreijährige entwickeln ein erstes Bild von sich selbst (erkennen sich im Spiegel) und erproben ihre Autonomie („selber machen“). Durch Trotz und Auseinandersetzung mit ihrem Gegenüber entwickeln sie ihre Persönlichkeit in einem Wechselspiel von Ablösung und Wiederannäherung. Kleinkinder verstehen die Welt, in die sie sich jetzt aktiv hinein bewegen, durch ihre Sinne (Berühren, Sehen, Hören, Schmecken).
Finden Sie sichere Möglichkeiten, wie Ihr Kind die Welt der Klinik spielerisch erkunden kann und begleiten Sie es dabei. Die Spielpädagoginnen/Erzieherinnen werden Ihnen und Ihrem Kind dabei zur Seite stehen.
In diesem Alter haben Kinder noch kein Verständnis für Gesundheit und Krankheit, drücken ihr aktuelles Befinden unmittelbar aus und können sich noch nicht in andere hineinversetzen. Dies kann sich dadurch zeigen, dass sie noch nicht verstehen, dass die BehandlerInnen ihnen helfen wollen - gerade wenn etwas weh tut oder unangenehm ist. Möglicherweise wehren sie sich gegen medizinische Maßnahmen und machen scheinbar nicht gut mit. Beziehen Sie sich direkt auf die Situation Ihres Kindes und suchen Sie gemeinsam mit dem Behandlungsteam nach Wegen zur Verbesserung der Kooperation. Fragen Sie beim Psychosozialen Team nach altersgemäßen Bilderbüchern und passendem Anschauungsmaterial bezüglich der Erkrankung, bestimmter Untersuchungen und der Behandlung, um Ihr Kind gut vorzubereiten.
Kombinieren Sie einfache Erklärungen mit dem Spiel. Komplexe Erklärungen werden noch nicht verstanden – stellen Sie sich darauf ein und sprechen Sie in kurzen Sätzen.
Im Kleinkindalter erkennen Kinder, dass Dinge auch da sind, wenn sie sie nicht sehen – deshalb lieben die Kinder Versteckspiele. Außerdem üben sie spielerisch die Ausführung alltäglicher Handlungen, ahmen Situationen, Personen, Laute und Bewegungen nach. Die Kinder fertigen außerdem aus verschiedenen Materialien und/oder mit Hilfe von ersten Werkzeugen neue Objekte (bauen, basteln, schneiden, Essen mit Besteck). Sie interessieren sich ansatzweise auch schon für andere Kinder – kooperatives Zusammenspiel mit Gleichaltrigen ist jedoch noch nicht wirklich möglich.
Das Zeitverständnis von Kleinkindern ist noch nicht ausgeprägt. Deshalb können sie mit Angaben wie „Es dauert eine Woche“ noch nichts anfangen und machen sich vielleicht Sorgen, dass sie „für immer“ im Krankenhaus bleiben müssen. Das Gute am noch mangelnden Bewusstsein für Zeit ist, dass Unangenehmes durch Trost und Beruhigung schnell vergessen wird und die Kinder sich noch keine Sorgen darüber machen, was als nächstes geschehen wird. Sie leben ganz im Hier und Jetzt.
Verwenden Sie einen Bilder-Kalender mit Stickern, der die Tage symbolisiert und entwickeln sie Rituale, wie sie gemeinsam erleben können, dass wieder ein Tag „geschafft“ ist.
Kleinkinder haben Angst vor Schmerzen und Unbekanntem. Bleiben Sie ehrlich, verständnisvoll, aber konsequent, was die Beschreibung unangenehmer Untersuchungen angeht.
Entwickeln Sie Rituale (beispielsweise ein „Zauberpflaster“ für Blutentnahmen), die ablenken und den Ablauf vorhersehbar und beeinflussbar machen. Versichern Sie immer wieder, dass Sie da sind und da bleiben.
Kleinkindern gelingt es auch noch nicht so gut, sich selbst zu beruhigen. Hier sind wahrscheinlich weiterhin Schnuller, Kuscheltiere und Körperkontakt zu den wichtigsten Bezugspersonen gefragt, um ihnen zu helfen, sich nach Aufregungen schnell wieder zu entspannen.
Kindergartenkinder: „Ich bin, was ich mir vorstellen kann.“ – 3. bis 6. Lebensjahr
Im Vorschulalter entwickelt sich die feinmotorische Geschicklichkeit besonders schnell. Kindergartenkinder malen, basteln, schneiden und werken gerne. Sie lernen sich in verschiedenen sozialen Gruppen zu bewegen und erfahren so, dass andere Personen andere Bedürfnisse, Gedanken und Interessen haben als sie selbst. Sie können nun zwischen eigenen und fremden Gefühlen besser unterscheiden, lernen komplexere Gefühle (wie beispielsweise Stolz und Scham) kennen und sind zunehmend in der Lage, Situationen und Reaktionen bei sich und anderen vorauszusehen und entsprechend zu handeln (wie etwa: Unangenehmes vermeiden).
Vorschulkinder bekommen ein immer klareres Bild von sich selbst, zeigen ihre Vorlieben und erproben ihre Talente. Sie sind zunehmend besser in der Lage, Ereignisse und Eindrücke zu ordnen und können erste Zusammenhänge verstehen. Die unaufhörliche Frage: „Warum?“ kann Erwachsene ziemlich herausfordern, sollte aber geduldig beantwortet werden.
Vorschulkinder lieben Phantasie- und Rollenspiele („So-tun-als-ob“: Arzt, Kaufladen, Playmobil-Szenarien), die zunehmend komplexer werden und für die alle Mitspielenden (Erwachsene, andere Kinder) genaue „Regieanweisungen“ erhalten („Wenn ich das sage, musst Du das machen.“). Sie verstehen Regelspiele immer besser und lernen auch, zu verlieren. Die Kinder denken sich Geschichten aus, schauen gern Bücher an und mögen es, wenn etwas vorgelesen wird.
Ermutigen Sie Ihr Kind dazu (auch wenn es gerade nicht aus dem Bett darf), zu spielen und auch im Krankenhaus normalen Aktivitäten nachzugehen. Bieten Sie Ablenkung, Abwechslung und ermöglichen Sie möglichst viel Bewegung.
Bilderbücher anschauen, Vorlesen und gemeinsames Singen sowie Bewegungsaktivitäten (Bobby-Car-Fahren, Laufrad, Ballspiele) sind gute Möglichkeiten für gemeinsame Beschäftigungen in der Klinik.
Probieren Sie im Spielzimmer aus, was gerade von besonderem Interesse ist und/oder lassen Sie sich von den Pädagoginnen beraten und anleiten.
Kinder im Vorschulalter können nur begrenzt verstehen, was Krankheit bedeutet und da sie glauben, mit ihrer Fantasie alles bewirken zu können, befürchten manche, dass sie an einer Verschlechterung ihres Befindens oder der Erkrankung selbst schuld sind.
Vermitteln Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn, dass sie/er nichts falsch gemacht hat und die Erkrankung keine „Strafe“ ist.
Die bunte Fantasiewelt dieser Altersgruppe kann auch besondere Ängste heraufbeschwören („Monster unterm Bett“). Die Kinder wollen an so einem „unheimlichen“ Ort wie dem Krankenhaus vielleicht nicht allein bleiben und lassen ihre Begleitperson dann kaum ungestört zur Toilette gehen.
Erproben Sie mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn, was sie/er braucht, um damit zurechtzukommen, dass Sie auch mal eine Auszeit brauchen und nicht ununterbrochen bei ihr/ihm sein können. Sorgen Sie für einen guten Kontakt zu den PädagogInnen und nutzen Sie die Zeiten, wenn Ihr Kind beschäftigt und beaufsichtigt ist, für sich selbst.
In der Therapiezeit haben die Kinder bei vielen Maßnahmen keine Wahl: Sie sind nicht begeistert von Medikamenten, Blutdruckmanschetten, Pflasterwechseln oder dem Katheterspülen. Bieten Sie kleine, umsetzbare Auswahl- und Mitmachmöglichkeiten an, die sich nicht auf das „ob“, sondern das „wie“ einer Prozedur beziehen („Magst Du Deine Medizin lieber mit Wasser oder mit Saft einnehmen?“; „Möchtest Du den Rand vom Pflaster selber ablösen oder soll ich das machen?“) und beschränken Sie die Wahl auf wenige Punkte, damit sich Ihr Kind leichter entscheiden kann.
Achten Sie darauf, dass Sie nichts vorschlagen oder versprechen, was nicht umsetzbar ist oder Sie nicht halten können.
Vorschulkinder fürchten Schmerzen und brauchen für unangenehme Prozeduren gute Vorbereitung, wahrheitsgemäße Ankündigungen, sowie Rituale, die ihnen das Mitmachen erleichtern. Dabei ist es besonders wichtig, verständlich mitzuteilen, WANN etwas geschehen wird („morgen nach dem Aufwachen“; „wenn wir das Buch fertig angeschaut haben“).
Holen Sie sich Rat beim Behandlungsteam und erproben Sie gemeinsam mit Ihrem Kind im Spiel, wie es die Herausforderungen bewältigen kann. Benutzen Sie dazu den Doktorkoffer und medizinische Gegenstände wie Pflaster oder Plastikspritzen.
Kinder im Vorschulalter brauchen ihre Bezugspersonen, die ihnen helfen, mit beängstigenden und stressigen Erfahrungen umzugehen. Sie benötigen Anleitung und Ermutigung, um eigene Bewältigungsmöglichkeiten zu finden und ihre Gefühle kennenzulernen.
Vermitteln Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn, dass Sie verlässlich da sein werden und dass sie/er wieder nach Hause gehen wird.
Grundschulkinder: „Ich bin, was ich lerne.“ – 7. bis 11. Lebensjahr
Nach dem Schuleintritt steht das Aneignen von Wissen und das Erlernen neuer Fertigkeiten im Vordergrund. Dabei entwickeln Grundschulkinder Ausdauer, Konzentration, Genauigkeit und Selbständigkeit. Der normalerweise stark ausgeprägte Bewegungsdrang treibt die Entwicklung ihrer Motorik voran und oft entstehen zu dieser Zeit sportliche Hobbies. In der Klasse und bei Freizeitspielen zeigt sich das innere Wertesystem, in dem Fairness, Dazugehören, Regeln und das Einhalten von Normen wichtig sind, sowie Konflikt- und Kompromissfähigkeiten eingeübt werden.
Der Kontakt zu Freunden und zur Klasse, sowie die Teilhabe am Lernfortschritt der MitschülerInnen (durch Klinik- und Hausunterricht) sind besonders wichtig.
Schulkinder sind von ihrer geistigen und sozialen Entwicklung her in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen. Daher können sie die helfende Rolle des Behandlungsteams immer besser verstehen und profitieren auch von Erfahrungen anderer Kinder, denen sie in der Klinik begegnen. Das bedeutet auch, dass sie auf positive Vorerfahrungen zurückgreifen können und eigene Beziehungen zu Personen in ihrem Umfeld aufbauen und pflegen. Dabei können sie ihre Gefühle immer besser steuern und kennen sich mit sozialen Regeln aus: Ihre emotionalen und sozialen Kompetenzen wachsen rasant.
Nun ist es besonders wichtig, gegebene Versprechen zu halten und mit Argumenten zu überzeugen, statt zu überreden.
Im Grundschulalter werden die Rollenspiele komplexer und bei Regelspielen denken die Kinder strategisch und verhalten sich kooperativ. Spiele in der Gruppe sind sehr beliebt, bei denen sich die eigenen Fähigkeiten mit denen anderer messen lassen. Es entsteht das Bedürfnis, etwas Sinnvolles/Nützliches zu tun und dafür Anerkennung zu erhalten. Dabei wissen die Kinder schon einiges über ihre Talente und setzen diese gern kreativ ein (Basteln, Werken, Musizieren).
Unterstützen Sie Ihre Tochter/Ihren Sohn beim Ausleben seiner Interessen und bieten Sie der Wissbegier durch passende Bücher und gemeinsame Recherche „Futter“.
Insbesondere dann, wenn ein anderes Familienmitglied an Krebs gestorben ist, ist es hilfreich, den Unterschied zwischen Krebs im Alter und Krebs bei Kindern deutlich zu machen.
Sprechen Sie über die verschiedenen Arten von Krebs und ermutigen Sie Ihr Kind, alle Fragen zu stellen und auch das Behandlungsteam um Erklärungen zu bitten.
Um einen Eindruck davon zu bekommen, wie es in der Behandlung vorangeht, benutzen Sie einen Kalender mit Stickern, der die Behandlungsphasen und/oder die Tage des aktuellen stationären Aufenthalts abbildet. Bauen Sie kleine Belohnungen ein: beispielsweise ein „Tag-5-Eis“ oder ein „Chemoblock-geschafft-Rätselheft“. Die PädagogInnen im Psychosozialen Team sind Ihnen dabei gern behilflich.
Nutzen Sie Therapietagebücher wie die Mutperlenkette und kleine Aufmerksamkeiten für Meilensteine, um das Vorankommen zu veranschaulichen.
Teenager: „Ich bin, was ich bin.“ – 12. bis 14. Lebensjahr
In der Pubertät wird die Identität geschärft („Wer bin ich?“, „Was kann ich?“, „Was will ich?“) und die Zugehörigkeit zur Gruppe der Gleichaltrigen hat einen hohen Stellenwert. So entwickelt sich das Selbstbild mit einer eigenen Meinung. Dieser Prozess kann aber auch (vorübergehend) zu Verunsicherung und Rückzug führen. Der Körper, das Körperbild und die Körperwahrnehmung verändern sich enorm, was bei vielen Jugendlichen zu verstärkter Selbstbeobachtung und einem vorübergehend herabgesetzten Selbstwertgefühl beiträgt. Deshalb sind krankheits- und therapiebedingte körperliche Veränderungen besonders schwerwiegend.
Die hormonellen Umstellungen der Pubertät führen zu Stimmungsschwankungen, der Wachstumsschub zu vorübergehender grobmotorischer Unbeholfenheit und die Neuvernetzung im Hirn zu zeitweisen Schwierigkeiten bei Impulskontrolle und Handlungsplanung (Worte und Handlungen vor dem Nachdenken).
Konzentrieren Sie sich bei der „Kontrolle“ auf die wichtigsten Dinge (Medikamenteneinnahme, Einhaltung der Basishygiene) und erlauben Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn, Eigenverantwortung für anderes zu übernehmen (Filmauswahl, Kleidung).
Das eigene Image ist Jugendlichen sehr wichtig und Veränderungen des Aussehens werden als besonders einschneidend erlebt. Teenager nutzen Soziale Medien, um den Kontakt zu ihren Freunden zu halten und leiden darunter, wenn durch die Erkrankung die Teilhabe am Alltag der vertrauten Gruppen nicht oder nur erschwert möglich ist.
Ermutigen Sie Ihre Tochter/Ihren Sohn dazu, Freunde zu kontaktieren und ermöglichen Sie im häuslichen Umfeld Begegnungen mit wichtigen Bezugspersonen außerhalb der Familie.
Eigene Interessen und Vorlieben (Musik, Bücher, Handyspiele) werden unabhängiger von den Eltern gelebt. Ermöglichen Sie „private“ Zeiten und lassen Sie auch Langeweile zu. Bieten Sie sich als GesprächspartnerIn für Diskussionen und MitspielerIn an - respektieren Sie aber auch, wenn sich Ihre Tochter/Ihr Sohn andere Ansprechpersonen sucht. Das ist dann eine gute Gelegenheit, sich auch um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern.
Möglicherweise können Sie nicht als Begleitperson mit aufgenommen werden und/oder können nicht ohne Weiteres Ihrer Arbeit für längere Zeit fernbleiben: Klären Sie dann mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn, wer wann zu Besuch kommt und verbringen Sie die Nächte nur ausnahmsweise an ihrer/seiner Seite. Die Jugendlichen sind inzwischen recht selbständig und finden es oft unnatürlich, wenn ständig jemand bei ihnen ist: Sie können sich kontrolliert und eingeengt fühlen.
Insbesondere wenn Ihr Kind vor der Erkrankung regelmäßig Sport getrieben hat, ein Instrument lernt oder einem anderen Hobby intensiv nachging, kann das alles in der Behandlungszeit sehr fehlen.
Überlegen Sie gemeinsam, was vielleicht trotzdem möglich ist und begegnen Sie der Trauer um die Verluste mit Aufmerksamkeit und Verständnis.
Vielleicht will Ihre Tochter/Ihr Sohn (mit Ihnen oder dem Behandlungsteam) nicht über seine Erkrankung sprechen. Auch das ist in Ordnung. Ermutigen Sie dazu, über Gefühle/Erfahrungen zu sprechen, zu schreiben oder sie kreativ auszudrücken, aber drängen Sie nicht.
Ältere Jugendliche: „Wir sind, was wir lieben.“ – ab dem 15. Lebensjahr
Ältere Jugendliche/junge Erwachsene haben gute Fähigkeiten zum abstrakten Denken entwickelt, aber noch wenig Lebenserfahrung im Umgang mit komplexen Problemen und sie haben meist Vorstellungen davon, wie ihr Leben in Zukunft aussehen soll. Deshalb machen sie sich oft Sorgen darüber, wie die Erkrankung sich auf ihre Ziele und Träume (Schule, Berufswunsch) auswirken wird.
Ihr Alltag findet normalerweise zum großen Teil ohne die Eltern und zusammen mit Gleichaltrigen statt. Die massiven Einschränkungen in Freizeit, Sport und Schule können deshalb schwer belasten und für Verunsicherung sorgen. Häufig vertrauen Jugendliche den Meinungen ihrer Peer Group mehr als den Eltern. Akzeptanz durch die Gruppe und Zugehörigkeit sind besonders wichtig.
Jugendliche haben ein gutes Vokabular für ihre Emotionen, das sich manchmal auch in drastischen Formulierungen der „Jugendsprache“ zeigt. Viele wollen ihre Gedanken und Gefühle ungern mit Erwachsenen teilen und einige versuchen auch, ihre Eltern zu schützen. Viele Heranwachsende bauen enge eigene Beziehungen zu bestimmten Personen im Behandlungsteam auf und holen sich dort selbständig Rat und Unterstützung.
Die meisten Gedanken machen sich Jugendliche in Bezug auf ihr Aussehen (Haarverlust, Gewichtsveränderungen, Bewegungseinschränkungen), die Fortführung ihrer Aktivitäten, den stabilen Kontakt zu Freunden und ihre Zukunft.
Sich an Regeln der Behandlung, der Hygiene und der Station zu halten, fällt jugendlichen PatientInnen nicht immer leicht. Einige neigen sogar zu Risikoverhalten (beispielweise Suchtmittelmissbrauch) während der Therapiezeit und/oder danach. Wenn Jugendliche ihr Fehlverhalten nicht einsehen, ist es wichtig, dies nicht einfach zu verbieten. Lassen Sie sich auf Diskussionen ein und erkunden Sie wohlwollend die Hintergründe.
Versuchen Sie, mit den Jugendlichen zu besprechen, was genau ihnen schwerfällt und bieten Sie an, gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Jugendliche geben ihre erreichte Autonomie ungern auf und die Gestaltung der elterlichen Fürsorge in der Krankheitszeit kann für beide Seiten eine Herausforderung sein, die immer wieder neu ausbalanciert und gemeinsam entschieden werden sollte.
Manchmal sind Eltern versucht, ihren großen Töchtern und Söhnen alles Lästige abzunehmen (beispielsweise Haushaltspflichten) oder alles für sie zu regeln. Es kratzt stark am jugendlichen Selbstbewusstsein, plötzlich seinen Alltag nicht mehr selbst bestimmen zu können oder bei einigen Verrichtungen auf Hilfe angewiesen zu sein. Zeigen Sie Ihre Zuneigung auch dadurch, dass Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn vertrauen, ihr/ihm etwas zutrauen und loten Sie gemeinsam aus, welche Unterstützung gewollt ist.
Machen Sie sich bewusst, dass Sie es mit einem Menschen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden zu tun haben und Ihre Tochter/Ihr Sohn dafür auch ihre/seine Selbständigkeit und Autonomie entwickeln will.
Ältere Jugendliche leben erste Partnerschaften und entdecken ihre Sexualität. Dafür ist Privatsphäre notwendig - ebenso wie Eltern, die respektieren, dass sie nicht in alle Überlegungen und Aktionen ihrer langsam erwachsen werdenden Töchter und Söhne einbezogen werden.