Was können Eltern für ihre Kinder tun?
Autor: Iris Lein-Köhler, Barbara Grießmeier, Zuletzt geändert: 19.01.2022 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e240994
Viele Eltern fürchten, Sie könnten eigentlich „nichts“ tun, um für ihr Kind hilfreich zu sein - doch das stimmt so nicht: Sie als Eltern sind wichtigste Stütze, Ansprechperson und unverzichtbare/r BegleiterIn durch die Therapiezeit. Kinder und Jugendliche können alles schaffen, was unumgänglich ist, und haben es umso leichter, wenn sie sich auf ihre Bezugspersonen verlassen können.
Im Folgenden finden Sie Beispiele dafür, worauf es ankommt und was Sie Ihrem Kind geben können.
Kurz nach einer Krebsdiagnose oder bei auftauchenden Schwierigkeiten/Komplikationen während der Therapie ist es manchmal schwierig, die Hoffnung auf Genesung und all die aufkommenden Ängste auszubalancieren. Natürlich hoffen Sie, dass die Behandlung Ihrer Tochter/Ihres Sohnes erfolgreich sein wird, dass sie/er diese Zeit bewältigen und danach in das Leben zurückkehren kann, das durch die Erkrankung unterbrochen wurde. Aber gleichzeitig befürchten Sie auch, dass etwas schiefgehen könnte. Es ist normal, dass Sie, ebenso wie Ihr Kind und andere Mitglieder Ihrer Familie, zwischen Angst und Hoffnung hin und her schwanken.
Kinder beobachten ihre Eltern genau, um zu erspüren, ob diese daran glauben, dass sie geheilt werden können. Es ist wichtig, sich selbst und Ihr Kind immer wieder daran zu erinnern, dass die Mehrzahl der krebskranken Kinder gesund wird. Manchmal möchte Ihre Tochter/Ihr Sohn, dass Sie diese Information ihr/ihm gegenüber oft wiederholen. Ebenso wollen Kinder und Jugendliche häufig hören, dass Beschwerden vorübergehen.
Träumen Sie gemeinsam von besseren Zeiten und malen Sie sich aus, wie es sein wird, wenn die Behandlung geschafft ist und/oder was Sie als erstes tun werden, wenn Sie wieder nach Hause kommen.
Vielleicht ist es manchmal schwer, die Hoffnung hoch zu halten – besonders wenn es schlechte Nachrichten gab. Sie brauchen dann möglicherweise eine Auszeit, um sich zu sammeln und eine/n GesprächspartnerIn, eine/n FreundIn oder eine vertraute Person im Behandlungsteam, auf die/den Sie sich stützen können, um sich wieder hoffnungsvoller zu fühlen. Danach können Sie die nächsten Schritte in den Blick nehmen und Ihrer Tochter/Ihrem Sohn wieder Mut machen.
Je mehr Sie die üblichen Regeln Ihres Familienlebens aufrechterhalten können, desto besser: Dies hilft insbesondere kleineren Kindern. Jedes Familienmitglied fühlt sich sicherer, wenn auf Gewohntes und Vertrautes auch weiterhin Verlass ist – natürlich ist trotzdem manches ganz anders als vorher.
Prüfen Sie, welche Rituale und Abläufe durch die Behandlungszeit fortgeführt werden können und welche Familienregeln weiterhin Gültigkeit haben, um allen Sicherheit und Orientierung zu geben.
Damit sich Ihre Tochter/Ihr Sohn auf Sie verlassen kann, ist es notwendig, wirklich verlässlich zu sein. Das heißt, dass Sie einerseits nichts versprechen sollten, was Sie nicht halten können oder gar nicht in Ihrer Macht steht („Das tut gar nicht weh.“) und andererseits Verabredetes auch wirklich einhalten.
Ihre Anwesenheit bei Ihrem Kind wird eine verlässliche Quelle des Trostes sein. Wenn Ihr Kind im Krankenhaus ist (insbesondere weit von zu Hause entfernt), möchten Sie gern mit ihm zusammen sein - aber auch die daheimgebliebenen Familienmitglieder haben Wünsche und Bedürfnisse. Natürlich können Sie nicht an zwei Orten gleichzeitig sein und wahrscheinlich werden Sie ihre übrige Familie genauso vermissen, wie Sie von ihr vermisst werden. Vielleicht können Sie sich mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner oder den Großeltern in der Klinik abwechseln und so auch Zeit mit den Geschwistern daheim verbringen.
Ihre Tochter/Ihr Sohn braucht weiterhin Regeln und klare Grenzen, um zu wissen, welches Verhalten in Ordnung ist und welches nicht. Die Erkrankung führt vielleicht dazu, dass Sie Ihre Erwartungen herunterschrauben (beispielsweise mehr Medienkonsum erlauben als üblich).
Bisher hat sich Ihr Kind möglicherweise rundum verwöhnen lassen, wenn es einmal krank war. Diesmal ist es anders: Die Krebsbehandlung dauert lange und es ist wichtig für das Wohlbefinden Ihres Kindes, dass Sie neue, angemessene Erwartungen und Grenzen für akzeptables Verhalten festlegen – dabei kann es natürlich Ausnahmen für Tage oder Zeiten geben, in denen sich Ihr Kind körperlich sehr krank fühlt.
In Zeiten, in denen es Ihrer Tochter/Ihrem Sohn gut geht, können und sollten Sie klar besprechen, was Sie erwarten und welche Grenzen für ihr/sein Verhalten gelten.
Wenn auf einmal alles erlaubt ist und Sie zu nachgiebig sind, vermittelt das Ihrem Kind möglicherweise, dass es besonders schlimm um seine Gesundheit steht. Zudem ist es schwierig, später wieder zur Normalität zurückzukehren, wenn Sie jetzt in zu vielen Punkten von den vertrauten Familienregeln abweichen. Immer dann, wenn sich das Leben gravierend verändert, testen Kinder meistens sehr genau aus, ob Eltern Regeln und Grenzen auch durchsetzen. Seien Sie also nicht überrascht, wenn Ihre Tochter/Ihr Sohn Sie zu Konsequenz und Klarheit herausfordert.
- Klare Verhaltensanforderungen und Grenzen stärken das Gefühl der Normalität trotz aller Veränderungen im Leben des Kindes: Wenn Ihre Tochter/Ihr Sohn zum Beispiel mit einem Geschwister spielt, muss es immer noch lernen, zu teilen.
- Bei älteren Kindern ist es wichtig, dass Verpflichtungen (wie Hausaufgaben oder kleine Hilfen im Haushalt) aufrechterhalten werden, dass sie anderen Menschen weiterhin respektvoll begegnen und die Familienrollen gewahrt bleiben.
Vielen Eltern ist es unangenehm, dass das Behandlungsteam und anderen Eltern in der Klinik genau mitbekommen, wie Sie mit Ihrem Kind umgehen. Auseinandersetzungen mit dem Kind/Jugendlichen finden quasi öffentlich statt und manche sorgen sich, dass ihr Erziehungsverhalten negativ beurteilt werden könnte oder schämen sich dafür, dass ihre Tochter/ihr Sohn „nicht funktioniert“: Vielleicht wehrt sich Ihr Kind gegen Behandlungsmaßnahmen, mag die Medikamente nicht einnehmen oder weint, wenn jemand vom Behandlungsteam ins Zimmer kommt.
In einer Kinderklinik sind alle damit vertraut, dass Kinder Zeit brauchen, sich an die neue Situation zu gewöhnen, und haben Verständnis für Familien in dieser schwierigen Situation. Erlauben Sie sich und Ihrer Tochter/Ihrem Sohn, zu zeigen, wie es gerade ist.
Was heißt eigentlich Erziehung?
- Jedes Kind ist anders und etwas ganz Besonderes! Schon Babys sind ganz verschieden und sie verfeinern ihre Besonderheiten im Laufe ihrer Entwicklung immer mehr.
- Aber auch Eltern sind verschieden! Die Vorstellungen über und die Haltungen zur Erziehung unterscheiden sich zwischen Familien je nach Herkunft, Erfahrungen der Eltern und kultureller Prägung.
- Weil Eltern mit ihren Kindern ganz unterschiedlich umgehen und sich darin unterscheiden, was sie für gut und richtig halten, kann es keine allgemeingültigen Erziehungsregeln für alle geben.
- Je besser es Eltern gelingt, sich auf die Bedürfnisse und Eigenheiten ihrer Kinder einzustellen, desto besser werden diese sich entwickeln. Erziehungsschwierigkeiten entstehen meist dann, wenn die Vorstellungen der Eltern nicht mit den Bedürfnissen und Eigenheiten ihrer Kinder übereinstimmen.
- Es ist unbedingt notwendig, das Verhalten des Kindes genau zu beobachten, sich in seine Gefühlslagen hinein spüren zu lernen und zu verstehen, welche Entwicklungsschritte es gerade bewältigt, damit die Eltern sich dazu passend verhalten können.
- Kinder lernen so von ihren Eltern nahezu „nebenbei“, was wichtig ist im Leben.
- Alle Kinder wünschen sich, gesehen zu werden: Eltern sollten sich dafür interessieren, was ihr Kind gerade spannend findet.
- Alles, was Erwachsene Kindern abnehmen, können diese nicht lernen: Sie brauchen „Training“ ihrer Fähigkeiten, auch wenn das anstrengend und nicht sofort von Erfolg gekrönt ist.
- Wenn Eltern sich zu sehr in den Dienst der Wünsche ihrer Kinder stellen und sich selbst „klein“ machen, sind sie nicht die Respektspersonen, die den nötigen Halt und Sicherheit geben können.
Ihre Tochter/Ihr Sohn steht im Behandlungsalltag vor sehr vielen Herausforderungen – von unangenehmen medizinischen Maßnahmen bis zu heftigen Nebenwirkungen. Auch wenn Sie das nur zu gern tun würden: Sie können ihr/ihm das nicht abnehmen. Aber Sie können für Ihr Kind die wichtigste Rückenstärkung sein: GesprächspartnerIn, „Klagemauer“, HaltgeberIn, MutmacherIn.
Trauen Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn zu, dass sie/er eigene Wege durch die Behandlung finden kann und helfen Sie dabei, die jeweils nächsten Schritte zu gehen. Ihre unbedingte Liebe ist die wichtigste Hilfe: Aus ihr wächst die Kraft, Ihrem Kind nach bestem Wissen beizustehen.
Kinder sind stark und jedes einzelne Kind ist auf seine Art besonders. Es kommt darauf an, genau herauszufinden, was Ihr Kind konkret braucht, um seine eigenen Stärken bestmöglich einzusetzen - Lösungen der Erwachsenen passen dabei nicht immer.
Setzen Sie Ihre Kräfte dafür ein, einerseits vorzuleben, wie Sie selbst mit schwierigen Situationen umgehen und andererseits Ihre Tochter/Ihren Sohn in seiner Art des Zurechtkommens zu bestärken.
Eltern können ihrem Kind beistehen, indem sie:
- öfter mal an die eigene Kindheit zurückdenken, um ihr Kind besser zu verstehen.
- Äußerungen ihres Kindes immer ernst nehmen, ihm eine eigene Meinung zugestehen, ohne dass es immer „nach seinem Kopf“ geht.
- Anteil nehmen an allem, was ihr Kind tut, denkt und fühlt, ohne es auszuforschen.
- die Sicherheit vermitteln, dass es bei den Eltern immer Verständnis und Geborgenheit finden kann.
- lernen, immer mehr loszulassen und das Kind nicht aus der eigenen Sorge heraus zu sehr einzuschränken, damit es eigene Wege findet und wachsen kann.
- Erfolge des Kindes konkret anerkennen und das Kritisieren von Misserfolgen kleinhalten.
- konsequent zu ihren Entscheidungen und Anforderungen stehen und diese gleichzeitig der konkreten Situation anpassen, damit sie so verlässlichen Halt und Orientierung geben.
Die täglichen Herausforderungen der Behandlung sind für Ihre Tochter/Ihren Sohn gewaltig und manchmal ist sie/er davon auch überfordert. Kinder brauchen dann das Zutrauen ihrer Eltern, dass sie den nächsten Schritt meistern und auch nach Misserfolgen/Rückschlägen den Mut zum Weitermachen aufbringen können.
Erkennen Sie die Leistung Ihres Kindes bei allem an, was es schon geschafft hat und zeigen Sie Ihren Stolz darauf, dass es jeden Tag sein Bestes gibt und dazulernt.
Ein gutes Gespür für die eigenen Möglichkeiten und Grenzen zu entwickeln, gehört zu einem gesunden Selbstbewusstsein. Dazu braucht Ihr Kind Ihre aufrichtigen Rückmeldungen und die Erlaubnis, nach körperlich anstrengenden Therapiezeiten, auch einmal müde, schlapp und lustlos sein zu dürfen.
Kleine Aufmerksamkeiten als Anerkennung für gutes Mitmachen, durchgestandene Schwierigkeiten oder Belohnungen für einen bewältigten Behandlungsabschnitt, sind gute Möglichkeiten, Ihr Kind immer wieder zu motivieren. Wählen Sie dafür kleine Dinge aus, die zu den aktuellen Interessen Ihrer Tochter/Ihres Sohnes passen: eine gemeinsame Unternehmung oder neues Material für eine Beschäftigung sind dafür oft das Richtige.
Vielleicht möchten Sie die ganze Zeit mit Ihrem Kind zusammen sein und am liebsten nicht von seiner Seite weichen. Insbesondere für ältere Kinder und Jugendliche ist es eine große Herausforderung, dass sie in der Klinik wenig Privatsphäre haben und ein Elternteil ständig anwesend ist. Einerseits müssen sie vielen Menschen Zugang zu ihrem Körper gestatten (Blutentnahmen, Abführen, körperliche Untersuchungen), was peinlich sein kann - anderseits brauchen sie Rückzugsmöglichkeiten, wenn sie mit ihren Freunden sprechen, sich umziehen oder manchmal einfach nur für eine Weile allein und ungestört sein wollen.
Respektvoller Umgang miteinander muss unter Klinikbedingungen neu ausgelotet werden.
In manchen Familien wollen Eltern, Verwandte, Freunde und Bekannte dem erkrankten Kind/Jugendlichen eine Freude machen und gern etwas Besonderes schenken. Kleine Aufmerksamkeiten, die zeigen, dass man an jemanden denkt (Briefe, bunte Karten, Zeichnungen von Geschwistern und Freunden, kleine Spiele oder Rätselhefte), sind willkommene Abwechslungen im Klinikalltag.
Teure, große Geschenke als „Entschädigung“ sind weniger hilfreich. Prüfen Sie, wie sonst auch, was Ihre Tochter/Ihr Sohn gerne mag und jetzt gerade braucht, aber lassen Sie nicht zu, dass sie/er mit Dingen überhäuft wird: Zum einen können sich dabei die Geschwister zurückgesetzt fühlen und zum anderen lässt sich bei einem Zuviel die Freude nicht richtig auskosten. Das Leid der Krankheit kann nicht durch Materielles „entschädigt“ werden.