Wie können Sie Ihr Kind bei konkreten Herausforderungen der Behandlung unterstützen?
Autor: Iris Lein-Köhler, Barbara Grießmeier, Zuletzt geändert: 12.07.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e241127
Inhaltsverzeichnis
Ihre Tochter/Ihr Sohn hat ihre/seine eigenen Stärken und ihre/seine eigene Art, sich mit den Herausforderungen zu arrangieren. Achten Sie darauf, was Ihr Kind wie macht und unterstützen Sie es in seinen Bewältigungsbemühungen, die sich durchaus von Ihren eigenen Strategien unterscheiden können. Ihr Kind ist in mancherlei Hinsicht auf Sie angewiesen, aber es lebt nicht allein von Ihrer Kraft und Ihrer Stärke. Am ehesten helfen Sie Ihrem Kind, wenn Sie selbst die Bedingungen der Behandlung als „normal“ anerkennen, sich darauf einstellen und Ihrer Tochter/Ihrem Sohn darin Vorbild sind, wie die Anforderungen des Alltags mit der Erkrankung und ihrer Therapie gut verkraftet werden können.
Sie können am leichtesten VermittlerIn, ÜbersetzerIn und BeschützerIn für Ihr Kind sein, wenn Sie selbst lernen, sich in der medizinischen Welt zurechtzufinden. Aber auch Ihre Tochter/Ihr Sohn lernt immer besser, wie es im Krankenhaus ist und baut eigene Beziehungen zum Behandlungsteam auf. Ermutigen Sie dazu, Fragen zu stellen, Gefühle zu äußern und den Tag möglichst abwechslungsreich zu gestalten. Wenn Ihr Kind Ihren Beistand braucht oder mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert wird, können Sie viel dazu beitragen, dass die Behandlung möglichst unaufgeregt bewältigt werden kann. Wie viel Eigenständigkeit, Unterstützung oder elterliches Eingreifen notwendig ist, entscheidet sich an den Fähigkeiten Ihrer Tochter/Ihres Sohnes und ist ein Balanceakt, bei dem Sie mit Ihrem Kind und dem Behandlungsteam sehr eng zusammenarbeiten und sich abstimmen.
Im Folgenden sind einige besondere Herausforderungen näher beschrieben.
Helfen Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn mit Veränderungen des Aussehens umzugehen
Besprechen Sie mit dem Behandlungsteam immer wieder, welche Nebenwirkungen zu erwarten sind und mit welchen Herausforderungen Ihr Kind als nächstes konfrontiert sein wird. Manches, was Sie für ein kleines, vorübergehendes Problem halten, kann für Ihre Tochter/Ihren Sohn schwerwiegend sein und umgekehrt. Informieren Sie sich gut und bereiten Sie sich und Ihr Kind auf die nächsten Schritte vor. Insbesondere ältere Kinder und Jugendliche können sehr sensibel sein, was ihr Äußeres und mögliche Reaktionen anderer darauf angeht. Das Wichtigste bleibt, dass sich Ihre Tochter/Ihr Sohn von Ihnen geliebt fühlt.
Sie können Ihre Tochter/Ihren Sohn unterstützen, indem Sie zu einem geeigneten Zeitpunkt über den bevorstehenden Haarausfall sprechen:
- wenn sie/er danach fragt
- wenn die ersten Haare ausgehen
- wenn der Arzt das schon angekündigt hat
Lassen Sie die Trauer um den Verlust der Haare zu (Ihre eigene und die Ihrer Tochter/Ihres Sohnes) und begleiten Sie liebevoll. Dann können Sie gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, wie Ihre Tochter/Ihr Sohn damit umgehen will: Manche wollen ihre Haare früh abschneiden und sich so vorbereiten; andere nutzen die Gelegenheit, einmal eine ungewöhnliche Farbe oder einen speziellen Schnitt auszuprobieren. Immer wieder gibt es auch Mädchen oder Jungen, die jedes Haar einzeln verabschieden und aus den verbleibenden Strähnen einen Zopf flechten oder finden, dass sie jetzt „die gleiche Frisur wie Opa“ haben. Unterstützen Sie Ihre Tochter/Ihren Sohn darin, ihren/seinen eigenen Weg und ihr/sein eigenes Tempo zu finden.
Natürlich gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, die haarlose Zeit zu überbrücken: Perücken (die zum Teil die Krankenkasse bezahlt, wenn ein Rezept vorliegt), Schals, Tücher oder Kappen. Oft benutzen die Kinder und Jugendlichen Perücken jedoch nur in Situationen, wo man ihnen ihr Kranksein nicht ansehen soll und lernen, sich mit ihrem „Glatzkopf“ wohlzufühlen.
Einige Behandlungen können zu Gewichtszunahme oder Gewichtsverlust führen. Lassen Sie sich vom Behandlungsteam beraten, welche Speisen Sie anbieten können und nehmen Sie das Angebot einer Ernährungsberatung wahr. Lassen Sie ihr Kind bei der Auswahl der entsprechenden Kleidung mitbestimmen – ein neues cooles T-Shirt kann die Stimmung heben und Gewichtsveränderungen kaschieren.
Manchmal werden glatzköpfige oder anders aussehende Kinder und Jugendliche angestarrt oder sehen sich mit sehr persönlichen Fragen von Fremden konfrontiert. Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn, wie sie/er darauf reagieren möchte (antworten oder ignorieren).
Geben Sie Halt bei heftigen Gefühlsreaktionen
Obwohl sich die meisten Kinder und Jugendlichen gut an die Behandlungssituation und ihre Herausforderungen anpassen, kann es immer wieder Zeiten geben, in denen sie sich ängstlich, traurig, enttäuscht, wütend, gestresst oder unwohl fühlen.
Sprechen Sie darüber, wie Ihre Tochter/Ihr Sohn sich fühlt und was sie/er braucht, um mit diesen Emotionen klarzukommen. Nehmen Sie die Gefühle ernst und unterstützen Sie dabei, Gefühle zuzulassen, auszudrücken und zu regulieren. Je nach Alter können bewährte Strategien wie Ablenkung, In-Ruhe-gelassen-werden-wollen oder kreative Verarbeitung (malen, spielen, schreiben) hilfreich sein oder neue Bewältigungsmöglichkeiten ausprobiert und gelernt werden.
Einige Medikamente führen zu Stimmungsschwankungen und erschweren es Ihrer Tochter/Ihrem Sohn, zu verstehen, was los ist und warum sie so empfindlich reagieren. Insbesondere kleinere Kinder können beispielsweise unter der Kortison-Therapie unausgeglichen, reizbar oder weinerlich sein. Bleiben Sie gelassen und machen Sie sich klar, dass diese Phase vorübergehen wird, wenn das Medikament abgesetzt ist. Die MitarbeiterInnen des Psychosozialen Teams bieten auch spezielle Materialien zum Umgang mit Gefühlen an und erarbeiten mit Ihnen und Ihrer Tochter/Ihrem Sohn geeignete Strategien.
Wenn Sie Stimmungs- oder Verhaltensänderungen bei Ihrer Tochter/Ihrem Sohn wahrnehmen, informieren Sie Ihr Behandlungsteam darüber: Möglicherweise muss die Dosis bestimmter Medikamente angepasst werden.
Kinder und Jugendliche spüren auch, wie es ihren Bezugspersonen geht. Gefühle können ansteckend sein. Verbergen Sie Ihre Gefühle nicht, aber leben Sie vor, wie Sie selbst damit umgehen und holen Sie sich gegebenenfalls Rat bei der Psychologin/dem Psychologen der Station.
Wie Sie eine konstruktive Auseinandersetzung mit Gefühlen fördern können
- Lassen Sie alle Gefühle zu (positive und negative) und bleiben Sie gelassen, wenn Ihr Kind weint, laut oder wütend wird.
- Seien Sie im Umgang mit Emotionen Vorbild. So schaffen Sie ein offenes Familienklima und Ihr Kind kann lernen, dass auch hefige Gefühle vorübergehen und nichts Schlimmes passiert, wenn man sie ausdrückt.
- Sprechen Sie mit Ihrem Kind über Gefühle und nehmen Sie diese immer ernst: Es gibt keine „schlechten“ Gefühle und alle dürfen offen gezeigt werden. Hinter dem Gefühl steckt ein Bedürfnis, beispielsweise nach Sicherheit oder Zuwendung. Finden Sie gemeinsam heraus, wie Ihr Kind damit fertig werden kann (aushalten, vorübergehen lassen, Abhilfe schaffen).
- Reden Sie Gefühle nicht klein, beschwichtigen Sie nicht und vermeiden Sie Druck, wenn Ihr Kind von seinen Emotionen überfordert ist. Nehmen Sie Ihr Kind in den Arm und begleiten Sie es bei seinem Bemühen, sich zu beruhigen, bis der Gefühlssturm vorüber ist.
- Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, (gewaltlose) Möglichkeiten zum Regulieren seiner Gefühle zu finden und geben Sie Hilfestellung dazu, Emotionen angemessen auszudrücken.
- Schulen Sie die Selbstwahrnehmung Ihres Kindes, benennen Sie Ihre eigenen und die Gefühle Ihrer Tochter/Ihres Sohnes richtig. Es gibt verschiedene thera-peutische Materialien zum Umgang mit Gefühlen – fragen Sie bei beim Psychosozialen Team danach.
- Ermöglichen Sie Kontakt zu Gleichaltrigen, damit Ihre Tochter/Ihr Sohn lernen kann, sich in andere hineinzuversetzen und die Gefühlslage anderer Personen zu entschlüsseln.
Ermutigen Sie zur Kontaktaufnahme mit Freunden
Vielen Kindern fehlen ihre Freunde, Sport- und SpielkameradInnen. Insbesondere Jugendliche vermissen den Kontakt zu ihrer Peer Group und den Austausch mit Freundinnen und Freunden über Alltägliches. Manchmal melden sich die „alten“ Freunde nicht oder sind unsicher, wie sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn jetzt begegnen können. Dann ist es hilfreich, wenn Ihr Kind den ersten Schritt macht und Sie im häuslichen Umfeld direkte Kontakte ermöglichen, die erleben lassen, dass Freundschaften Bestand haben. Sprechen Sie im Vorfeld mit den Eltern der FreundInnen ihres Kindes/Jugendlichen und bereiten Sie ein erstes Treffen vor.
Ermutigen Sie Ihre Tochter/Ihren Sohn, Kontakte zu Freunden, Klassen- und SportkameradInnen aufrechtzuerhalten. Vielleicht dürfen Freunde auch Besuche in der Klinik machen.
Umgang mit Zeiten von Langeweile und Unwohlsein
Manchmal vergehen die Tage in der Klinik quälend langsam - besonders dann, wenn sich Ihre Tochter/Ihr Sohn nicht wohl fühlt. Vielleicht braucht sie/er dann einfach Ruhe. Manchmal ist es aber einfach schwierig, sich zu irgendetwas aufzuraffen: Bewegung, aus dem Bett aufstehen und Aktivitäten im Spielzimmer können ablenken - gelegentlich brauchen die Kinder dazu einen „Schubs“, um es auszuprobieren. Wenn Ihre Tochter/Ihr Sohn das Zimmer aus medizinischen Gründen nicht verlassen darf und die Bewegungsmöglichkeiten dadurch begrenzt sind, hilft ein „Stundenplan“, um dem Tag Struktur zu geben (Unterricht, Essenszeiten, Termine mit Physio-, Sport- oder KreativtherapeutInnen) und ihn gut zu bewältigen.
Langeweile ist für die meisten Kinder der Raum, in dem Kräfte gesammelt und eigene Ideen entwickelt werden. Sehen Sie solche Zeiten positiv und lassen Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn Zeit, aus solchen Phasen wieder herauszufinden. Ablenkung und schnelle Abhilfe sind nicht immer nötig. Häufig werden solch „zähe“ Zeiten mit verstärktem Medienkonsum überbrückt. Allerdings helfen Fernsehen, Handy, Tablet und Co kaum dabei, sich wirklich zu entspannen.
Prüfen Sie gut, wie viel Medienkonsum Sie unter den Bedingungen von Erkrankung und Behandlung zulassen wollen und beraten Sie sich dazu mit dem Psychosozialen Team.
Die Empfehlungen für Regeln im Umgang mit Fernsehen und digitalen Medien behalten ihre Gültigkeit, auch wenn Ausnahmesituationen Ausnahmen nahelegen oder erfordern: Kinder unter drei Jahren sollten besser noch nicht fernsehen; einfache Spiele am Tablet sind frühestens für Vierjährige geeignet. Für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren wird eine Maximaldauer der Beschäftigung mit digitalen Medien von 30 Minuten täglich, für Kinder ab 6 Jahren höchstens 60 Minuten empfohlen. Nutzen Sie die Angebote der PädagogInnen und regen Sie gezielt zu anderen Aktivitäten an: Vorlesen, Geschichten erzählen, gemeinsames Spielen und Basteln können den Tag bunt und abwechslungsreich machen.
Empfehlungen zum Umgang mit Medien
- Vereinbaren Sie Regeln für den Medienkonsum, die auch eingehalten werden. (diese können sich für stationäre Aufenthalte und daheim unterscheiden).
- Schauen Sie gemeinsam Fernsehen oder DVDs - so können Sie hinterher noch über das Gesehene und Erlebte sprechen.
- Leiten Sie Ihr Kind im Umgang mit Handy oder Tablet an.
- Seien Sie Vorbild und gönnen Sie sich selbst Zeiten, in denen Sie das Handy ausschalten.
Wenn Sie selbst Auszeiten für sich brauchen (und diese scheinbar nur über den verstärkten Medienkonsum Ihrer Kinder bekommen können), ist es hilfreich, auch hier nach Alternativen zu suchen: Lassen Sie sich bei der Betreuung, wenn möglich, durch andere Bezugspersonen, PflegeschülerInnen oder die PädagogInnen des Psychosozialen Teams ablösen.
Hier finden Sie Tipps und Anregungen zum Umgang mit Medien:
Umgang mit Stress
Sowohl der Körper Ihrer Tochter/Ihres Sohnes, als auch die Psyche werden durch die Behandlung selbst und die Umstände enorm beansprucht. Dabei werden Stresshormone ausgeschüttet, die dazu führen, dass sich Ihr Kind angespannt und in seinem Befinden beeinträchtigt fühlt, überdreht oder erschöpft wirkt. Stress entsteht immer dann, wenn Anforderungen nur mit höchster Anstrengung bewältigt werden können oder man davon (noch) überfordert ist. Dies zeigt sich bei Kindern oft in ungewöhnlichem Verhalten: Sie werden beispielsweise schnell wütend, wollen nicht aus dem Bett aufstehen oder ziehen sich zurück.
Um dem entgegenzuwirken, sind immer wieder Zeiten der Erholung und Entspannung nötig. Dafür können körperliche Bewegung, Ausruhzeiten und ablenkende Lieblingsbeschäftigungen hilfreich sein. Finden Sie gemeinsam mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn heraus, was Anspannung und Unruhe mildert und wie sie/er von den Anstrengungen der Behandlung immer wieder Abstand gewinnen kann (beispielsweise: Geschichten oder Musik hören, Kuscheln, Schlafen, sich austoben).
Die MitarbeiterInnen des Psychosozialen Teams zeigen Ihnen gern einfache, dem Alter Ihres Kindes entsprechende Entspannungsübungen, die Ihrer Tochter/Ihrem Sohn dabei helfen können, Stressreaktionen abzubauen und zur Ruhe zu kommen. Außerdem können beim Psychosozialen Team Entspannungs-CDs und ähnliches ausgeliehen werden. So können sich Körper und Psyche regelmäßig regenerieren, um den nächsten Anforderungen gut gewachsen zu sein.
Anregungen finden Sie hier:
„Bewegung macht Spaß – Bewegung macht fit“; Broschüre der Kinderkrebsstiftung
Sabine Seyffert „Heute Regen, morgen Sonne“ – Entspannungsgeschichten für Kinder, Arena-Verlag