Wieviel Schonung braucht mein Kind?

Autor:  Barbara Grießmeier, Iris Lein-Köhler, Zuletzt geändert: 04.09.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e260889

Der Übergang zurück in das „normale“ Leben ist für die meisten Kinder (und ihre Eltern) mit der Frage verbunden, wie fit (oder belastbar) sie sind. Jüngere Kinder können sich diese Frage natürlich noch nicht selbst stellen, aber sie erleben im Kontakt mit SpielkameradInnen, dass sie manches eben nicht mehr so gut wie vor der Diagnose können. Und diese Erfahrung machen sowohl die meisten Kinder und Jugendlichen, die „nur“ die Nebenwirkungen der Chemotherapie/Bestrahlung verkraften mussten; als auch die Kinder, die tatsächlich mit dauerhaften Einschränkungen leben müssen.

Die Art und Weise, wie die Kinder mit möglichen Defiziten umgehen und wie gut sie wieder ihr altes „Niveau“ erreichen können, wird im Wesentlichen von drei Faktoren bestimmt:

  • Art und Ausmaß der körperlichen Beeinträchtigungen
  • Persönlichkeit des Kindes
  • Reaktionen des Umfelds/der Erwachsenen

Alle drei Faktoren spielen in der Praxis zusammen, und es gibt nicht den einen „richtigen“ Weg für alle, den Sie als Eltern nur herausfinden müssen. Viel wichtiger ist es, einen Weg zu finden, der für Ihre Tochter/Ihren Sohn passend und realistisch ist. Manchmal ist das verbunden mit der Erkenntnis, dass Ihre eigene Erwartung an ein schnelles „Tempo“ der Wiedereingliederung in den Alltag mit Kindereinrichtung/Schule/Ausbildung und Hobbys nicht angemessen ist und Sie manche dieser Erwartungen loslassen sollten. Ob Ihr Kind den Weg zurück in den Alltag eher als Bereicherung oder als Frust erlebt, hängt auch von Ihrer Offenheit für „Neues“ ab: Ihre Bereitschaft, zusammen mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn das Beste aus dieser Situation zu machen, ist eine wichtige Hilfe.

Manche körperlichen Beeinträchtigungen (wie Müdigkeit und Erschöpfung) brauchen einfach Zeit und Geduld; andere (wie motorische Schwierigkeiten) können beispielsweise durch Physiotherapie trainiert werden. Manche Kinder sind von sich aus eher vorsichtig und zurückhaltend oder haben sich an ein Leben ohne nennenswerte Anforderungen von außen gewöhnt. Andere wollen so schnell wie möglich wieder am Leben mit ihren FreundInnen teilhaben und nehmen dabei vielleicht die Grenzen ihrer Belastbarkeit nicht wahr. Manche Eltern (oder auch LehrerInnen) erwarten, dass doch jetzt alles wieder „gut“ sei, andere wiederum wollen ihre Tochter/ihren Sohn noch möglichst lange schonen.

Für Eltern ist es oft nicht leicht, die richtige Balance zwischen Schonung und Überforderung zu finden. Hier folgen einige Tipps, wie der Übergang in die Normalität gelingen kann:

  • Gestehen Sie Ihrem Kind nach dem Ende der Therapie eine Übergangsphase zu Hause zu, bevor es wieder in den Kindergarten/die Schule geht.
  • Planen Sie in dieser Zeit Unternehmungen, die ihre Tochter/ihren Sohn nach und nach mehr fordern (wie etwa den Besuch eines Abenteuerspielplatzes oder Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung).
  • Richten Sie Ihren Blick darauf, was Ihr Kind noch oder wieder kann und weniger auf die Dinge, die (noch) nicht gut funktionieren.
  • Vereinbaren Sie mit Ihrem Kind, wieviel Zeit es täglich an Bildschirmen wie Tablet oder Smartphone verbringt und ermutigen Sie Ihre Tochter/ihren Sohn dazu, in der übrigen Zeit körperlich ausgerichtete Betätigungen zu suchen.
  • Achten Sie darauf, wenn Ihr Kind tagsüber müde oder überfordert wirkt und richten Sie Ruhepausen ein.
  • Achten Sie nachts auf ausreichenden Schlaf.
  • Beginnen Sie damit, eine regelmäßige Tagesroutine mit frühem Aufstehen, regelmäßigen Mahlzeiten und klarer Schlafenszeit einzurichten.
  • Überlegen Sie mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn gemeinsam, ob und wie offen sie/er gegenüber Gleichaltrigen mit ihrer/seiner Krankheit umgehen will und welche Informationen andere erhalten sollen.
  • Wenn Sie bemerken, dass sich Ihr Kind zurückzieht oder soziale Kontakte vermeidet, sprechen Sie dieses Verhalten an und versuchen Sie die Gründe dafür herauszufinden.
  • Wenn Ihr Kind äußerlich sichtbar verändert ist, überlegen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind, wie es diese Veränderungen erklären will.
  • Bereiten Sie Ihr Kind darauf vor, dass Gleichaltrige oder auch Erwachsene manchmal sehr unpassend oder auch verletzend reagieren, wenn sie erfahren, dass ein Kind Krebs hatte. Überlegen Sie mit Ihrem Kind, wie es auf solche Äußerungen reagieren kann und üben Sie das gegebenenfalls im Rollenspiel oder im Dialog mit Puppen/Kuscheltieren.
  • Wenn sich dauerhafte Einschränkungen bemerkbar machen, bagatellisieren Sie diese nicht! Es kann sein, dass Ihr Kind in bestimmten Bereichen nie wieder so leistungsfähig sein wird wie vor der Erkrankung.

Für manche Eltern stellt sich die Frage, wie sie ihr Kind aktivieren können, wenn es von sich aus wenig Neigung zeigt, die „Sofaposition“ zu verlassen. Bei allem Verständnis für Erschöpfung und Müdigkeit ist es wichtig, dem Kind/Jugendlichen zu vermitteln, dass es nicht eines Morgens aufwachen und sich wieder vollkommen fit fühlen wird: Kondition und Fitness müssen „erarbeitet“ werden. Hierfür bietet sich an, dass Sie gemeinsam mit Ihrem Kind kleine „Trainingspläne“ erstellen und die Anforderungen dabei langsam heraufsetzen. Vor allem bei jüngeren Kindern ist es wichtig, dass Eltern gemeinsame Unternehmungen anbieten, die Kindern und Eltern Spaß machen und so einen Anreiz zu mehr Bewegung setzen.

Die Mitgliedschaft in einem Sportverein oder der regelmäßige Besuch Jugendlicher in einem Fitnessstudio können dazu beitragen, mit einem Training zu beginnen, dranzubleiben und gleichzeitig soziale Kontakte zu pflegen. Für ältere Kinder und Jugendliche gibt es beispielsweise Fitness-Uhren und eine Vielzahl von Apps, die den Trainingsfortschritt dokumentieren und ein Mehr an Bewegung unterstützen können. Ermutigen Sie Ihre Tochter/Ihren Sohn außerdem dazu, wieder Aufgaben im Haushalt oder in der Familie zu übernehmen, sich mit FreundInnen zu treffen und viel draußen unterwegs zu sein.

Wenn Sie unsicher sind, was Sie von Ihrer Tochter/Ihrem Sohn verlangen können und wo sie/er Rücksichtnahme und Verständnis braucht, wenden Sie sich an die MitarbeiterInnen des Psychosozialen Teams oder der psychosozialen Nachsorgeeinrichtung, die sie gerne dazu beraten.