Rezidivangst/Progredienzangst und andere Ängste

Autor:  Barbara Grießmeier, Iris Lein-Köhler, Zuletzt geändert: 28.08.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e260877

Endlich ist die Therapie geschafft, und Ihre Tochter/Ihr Sohn ist von der Krebserkrankung genesen. Bei aller Freude darüber, dass diese anstrengende Zeit nun abgeschlossen ist, wissen Sie und Ihr Kind (wenn es schon etwas älter ist) zugleich, dass jede bösartige Erkrankung wiederkommen kann und dass man dann von einem Rückfall (Rezidiv) oder Fortschreiten (Progression/Progredienz) spricht. Etwa ab dem Grundschulalter verstehen die meisten Kinder, dass manche ihrer MitpatientInnen schon zum zweiten oder gar dritten Mal krank geworden sind und wiederholt behandelt werden mussten.

Die Angst vor einem Rückfall kann verschiedene Aspekte haben: Ganz praktisch kann es darum gehen, dass Kinder Angst haben, wieder in die Klinik zu müssen und alle unangenehmen Dinge noch einmal zu erleben. Dazu gehört häufig Angst davor, erneut nicht mehr in die Schule gehen zu dürfen, von Familie und Freunden getrennt zu sein und eben kein „normales Leben“ führen zu können.

Die Angst vor einem Rückfall kann aber auch bedeuten, dass die PatientInnen fürchten, die Therapie habe versagt und damit vielleicht sie selbst: Sie haben sich so sehr bemüht, alles zu tun, um gesund zu werden. Je älter Kinder und Jugendlichen werden, umso mehr verstehen sie, dass ein Rückfall die Chancen auf Heilung meist deutlich verringert und die Möglichkeit, an der Krankheit zu sterben, realer wird. Einen solch schweren Verlauf haben Sie bei manch anderen PatientInnen direkt oder indirekt miterlebt.

Da die Kinder und Jugendlichen am eigenen Leib erlebt haben, dass sie „aus heiterem Himmel“ von einer sehr schweren Krankheit betroffen waren, ist es gut verständlich, wenn sie Ängste davor entwickeln, dass ihnen selbst oder ihren Familienangehörigen andere schlimme Dinge passieren könnten. Solche Befürchtungen haben nicht nur die Kinder, sondern auch sehr viele Eltern, und diese Ängste können sich gegenseitig verstärken.

Neben Ängsten, die sich auf ihre Gesundheit beziehen, fühlen sich manche Kinder durch andere Dinge bedroht: Sie wollen oder können beispielsweise zunächst nicht alleine schlafen oder alleine zu Hause sein, suchen ständig Sicherheit in der Nähe von Mutter oder Vater. Manche Kinder fühlen sich verfolgt, berichten von Alpträumen oder haben Angst, dass sich ihre FreundInnen nun von ihnen abwenden und sie ihren alten Platz in der Klasse nicht mehr finden.

Sollte Ihr Kind solche Verhaltensweisen entwickeln, machen Sie sich bewusst, dass sich Ihr Kind im Moment in einer Phase des Übergangs befindet und vielleicht vorübergehend mehr Schutz und Sicherheit braucht. Die meisten Kinder lernen nach dem Abschluss der Therapie bald wieder, beispielsweise im eigenen Bett zu schlafen und sich im Alltag sicherer zu bewegen.

Es kommt auch vor, dass Kinder nach dem Ende der Therapie unspezifische Ängste entwickeln, die sich nur schwer beruhigen lassen. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass der eigentliche Prozess der Krankheitsverarbeitung nach dem Ende der Therapie richtig in Gang gekommen ist und die ganzen Erfahrungen sozusagen „verdaut“ werden müssen. „Irrationalere“ Ängste (wie die Angst vor Verfolgung oder Gespenstern) sind oft ein Ausdruck der Bedrohung, der die Kinder ausgesetzt waren und Teil der Verarbeitung dieser Erfahrung. Geben Sie Ihrem Kind die Sicherheit, die es jetzt braucht – auch, wenn Ihre ständige Anwesenheit manchmal anstrengend für Sie sein kann.

Wie können Eltern ihren Kindern helfen, mit solchen Ängsten zu leben? Noch dazu, wo sie viele dieser Ängste nur allzu gut von sich selbst kennen? Einfach gesagt: Es ist möglich, mit den Ängsten oder anderen starken Emotionen umgehen und leben zu lernen – sie also auf ein erträgliches Maß zu verringern.

Es versteht sich von selbst, dass eine Aussage wie „Du brauchst keine Angst zu haben - das passiert ganz bestimmt nicht bei dir.“ auf wackeligen Füßen steht: Wenn Sie die Ersterkrankung nicht verhindern konnten, wie wollen Sie dann sicher sein, dass die Krankheit nicht wiederkommt, auch wenn Sie sich nach dieser Gewissheit sehnen? Kinder verstehen diese „Unlogik“ sehr gut und werden es womöglich künftig vermeiden, Sie durch ihre eigenen Ängste zu beunruhigen und nicht mit Ihnen darüber sprechen.

Hilfreich im Umgang mit Ängsten vor Krankheit und Tod kann es sein, wenn Sie:

  • Ihre Tochter/Ihren Sohn immer wieder an ihre/seine eigenen Stärken erinnern, mit der sie/er die Behandlung gemeistert hat
  • ihr/ihm versichern, dass Sie auch einen Rückfall gemeinsam als Familie bestehen werden
  • keine Versprechungen machen, die Sie nicht halten können
  • Ihrem Kind versichern, dass die Ärzte im Falle eines Redzivs alles tun werden, um ihr/ihm zu helfen
  • Ihrem Kind vermitteln, dass uns Menschen zwar immer wieder schicksalhafte Dinge im Leben „zugemutet“ werden; wir aber auch die Kraft bekommen, diese zu bewältigen

Sollten Ängste Ihr Kind stark belasten, wenden Sie sich an die MitarbeiterInnen des Psychosozialen Teams oder der psychosozialen Nachsorgeeinrichtung, die entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten kennen.