Wie geht es den Geschwistern?

Autor:  Barbara Grießmeier, Iris Lein-Köhler, Zuletzt geändert: 28.08.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e261068

Das Ende der Behandlungszeit kann von den Geschwistern eines an Krebs erkrankten Kindes oder Jugendlichen sehr unterschiedlich erlebt werden: Jüngere Kinder können noch nicht „verstehen“, dass die Zeit der ständigen Abwesenheit des kranken Bruders/der kranken Schwester nun wirklich zu Ende sein soll, und vielleicht erinnern sie sich an das Familienleben vor der Erkrankung gar nicht mehr. Etwas ältere Geschwister hoffen, dass jetzt endlich alles wieder wird „wie früher“, Mutter und Vater für alle Kinder gleichermaßen verfügbar sind und die Familie zu den gewohnten Abläufen zurückkehren kann. Für andere Kinder kann es gar nicht so einfach sein, etwa neu erworbene Verantwortlichkeiten wieder abzugeben oder sich wieder verstärkt den elterlichen Erziehungsvorstellungen unterzuordnen. Die Eltern ihrerseits sind erschöpft und können gar nicht so schnell eine „neue Normalität“ gestalten.

Geschwister können sich also sehr unterschiedlich fühlen: erwartungsvoll, wie das neue Familienleben jetzt aussehen wird, ängstlich, weil sie mögliche Veränderungen nicht abschätzen können oder auch erschöpft nach der langen Zeit, in der sie viel Verantwortung übernehmen mussten.

Für alle Geschwister, die in den vergangenen Monaten die Veränderungen ihrer kranken Schwester/ihres kranken Bruders erlebt haben, beginnt nun eine Zeit der erneuten Verunsicherung:

  • Die Schwester/der Bruder sind zwar fast immer zu Hause – aber warum geht sie/er nicht in den Kindergarten/in die Schule?
  • Warum weint die Mama/der Papa so oft oder warum ist sie/er dauernd gereizt und schnell gestresst?
  • Darf ich jetzt wieder ganz normal mit der Schwester/dem Bruder spielen oder warum sagen die Eltern immer noch dauernd, ich muss aufpassen?
  • Warum ist meine Schwester/mein Bruder immer so schnell müde?
  • Wachsen die Haare wieder und wann?
  • Warum kann die Schwester/der Bruder nicht gut laufen?
  • Warum streiten die Eltern so oft?
  • Ist die Schwester/der Bruder jetzt wirklich ganz gesund? Oder kann sie/er auch wieder krank werden?
  • Andere Leute reden schlecht über meine kranke Schwester/meinen Bruder - wie soll ich darauf reagieren?

Mit solchen und ähnlichen Fragen und Gedanken sind viele Geschwister beschäftigt. Es ist für die meisten Eltern nicht leicht, sich diesen Fragen zu stellen und sie kindgerecht zu beantworten, da sie ja selbst in Vielem noch verunsichert sind. Die Gratwanderung zwischen „Gott sei Dank, dass alles vorbei ist.“ und „Hoffentlich wird mein Kind wieder ganz normal.“ überträgt sich auch auf die Geschwister. Wie in vielen anderen Bereichen auch, kann es für Eltern hilfreich sein, die eigene Unsicherheit zu benennen und trotzdem Hoffnung zu vermitteln, dass es jeden Tag ein klein wenig besser werden wird. Für die Eltern und alle ihre Kinder kann es gut sein, sich die kleinen Fortschritte immer wieder vor Augen zu führen – auch wenn diese vielleicht nicht täglich sichtbar sind.

Für Geschwister ist es häufig besonders schwer, diesen „Zwischenzustand“ zwischen „nicht mehr krank“ und „noch nicht (ganz) gesund“ zu verstehen und einzuordnen. Mit ihrer (berechtigten) Forderung nach Normalität spiegeln sie auch die Wünsche der Eltern wieder und fordern diese auch dazu heraus, sich den „guten Seiten“ dieser Übergangssituation zuzuwenden.