Geschwister haben an Selbständigkeit gewonnen

Autor:  Barbara Grießmeier, Iris Lein-Köhler, Zuletzt geändert: 04.09.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e261075

Die meisten Eltern waren zu Beginn der Therapie Ihres Kindes in großer Sorge, dass sie den Geschwistern nun weniger Aufmerksamkeit widmen können und dass diese „zu kurz kommen“ werden. Und rein „rechnerisch“ ist das ja auch der Fall: Es ist nicht möglich, einem oder mehreren Geschwistern die gleiche „Menge“ an Zeit und Aufmerksamkeit zu geben, wie sie für das kranke Kind aufgebracht werden muss. Geschwister haben diese ungleiche Verteilung der elterlichen Zuwendung sehr wohl wahrgenommen, auch wenn sie mehr oder weniger gut „verstehen“, warum dies so sein muss.

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Geschwister haben Bezugspersonen hinzugewonnen.

Da Kinder während der anstrengenden Zeit der Therapie zugleich auch spüren, dass die Krankheit der Schwester/des Bruders eine sehr ernste Angelegenheit ist und die Eltern sich tatsächlich nicht „aufteilen“ können, werden viele Geschwister in dieser Zeit fast automatisch selbständiger und unabhängiger von der ständigen Aufmerksamkeit durch die Eltern. Sie lernen oft, sich und ihren Tagesablauf selbst zu strukturieren, kleine Tätigkeiten im Haushalt zu übernehmen, ihre Hausaufgaben selbständig zu erledigen oder andere Erwachsene um Hilfe zu bitten, wenn nötig. Viele Geschwister erfahren in dieser Zeit, dass sie selbst viel mehr „können“ als sie bisher dachten, oder als die Eltern ihnen zugetraut haben.

Auch wenn dieser Gewinn an Autonomie oder Selbständigkeit nicht unbedingt freiwillig erworben wurde, so profitieren die Kinder/Jugendlichen doch meist sehr davon. Für manche Eltern kann es am Ende der Therapie nicht so leicht sein, zu spüren, wie „groß“ die gesunden Geschwister inzwischen geworden sind und sie müssen vielleicht sogar schmerzhaft erleben, dass diese Kinder auch ohne die ständige Anwesenheit ihrer Eltern ganz gut zurechtgekommen sind. Viele Kinder reagieren dann entsprechend verunsichert oder irritiert, wenn Eltern nun „zurück“ zu ihrer früheren Erziehungshaltung gehen und den Geschwistern etwa erworbene kleine Freiheiten wieder „abnehmen“ wollen. Hier ist Fingerspitzengefühl und eine gute Einfühlung in die veränderten Bedürfnisse der Geschwister nötig. Die Kinder genießen es meist sehr, wenn die Eltern ihre neu erworbenen Fähigkeiten würdigen können und sie in ihren Fortschritten bestärken.