Wie wird der Schritt zurück in Kindereinrichtung, Schule oder Ausbildung erlebt?

Autor:  Iris Lein-Köhler, Barbara Grießmeier, Zuletzt geändert: 11.09.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e262298

Kinder/Jugendliche und die Erwachsenen in ihrem Leben machen sich häufig Sorgen darüber, wie die Rückkehr in Kindereinrichtung, Schule oder Ausbildung nach längerer Abwesenheit gelingen kann: Das Leben der SpielkameradInnen, MitschülerInnen und FreundInnen ist weitergegangen und auch in den Einrichtungen hat sich einiges verändert. Je nach Alter der Kinder/Jugendlichen können Erwartungen und Bedenken unterschiedlich ausfallen:

Während der Therapiezeit hatte Ihr Kind wahrscheinlich wenig Kontakt zu Gleichaltrigen und nun muss es sich erst wieder neu (oder erstmals) auf eine ganze Kindergruppe einstellen. Dies kann anfangs sehr herausfordernd sein. Möglicherweise fällt es Ihrer Tochter/Ihrem Sohn noch schwer, sich aus der umfassenden Fürsorge der Eltern, die während der Behandlungszeit stets verfügbar waren, zu lösen: Es gab immer eine direkte Betreuungsperson – nun müssen sich Ihre Tochter/Ihr Sohn darauf einstellen, „eine/einer unter vielen“ zu sein. Daher ist eine (erneute) langsame Eingewöhnung sinnvoll.

Wenn Ihre Tochter/Ihr Sohn noch nicht lange zur Schule ging und die Freundschaften in der Klasse nicht gefestigt waren, können sich diese Beziehungen während ihrer/seiner Abwesenheit verändert haben. Das kann verunsichern und den Neustart belasten. Andererseits freuen sich die meisten Kinder, dass sie wieder in die Schule gehen dürfen und gut vorbereitet kann die Rückkehr sehr positive Erfahrungen bereithalten. Bestenfalls haben Klasse und KlassenlehrerIn während der Erkrankungszeit guten Kontakt gehalten und Ihre Tochter/Ihr Sohn freut sich, alle wiederzusehen.

Wenn Ihre Tochter/Ihr Sohn regelmäßig Unterricht durch Lehrkräfte der Klinikschule und/oder Hausunterricht hatte, ist es ihr/ihm meist gelungen, die Lernfortschritte der Klasse mit zu vollziehen: Das erleichtert den Wiedereinstieg. Wenn Sie Lehrkräfte, BeratungslehrerInnen, Schulsozialarbeit und gegebenenfalls eine Integrationshilfe ins Boot holen, können diese die Rückkehr in die Schule unterstützen.

Ältere Kinder fragen sich oft, wie ihre KlassenkameradInnen ihnen wohl begegnen werden: Die einen fürchten, dass ihnen und ihrer Krankheit zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird – die anderen erwarten, dass sie besondere Beachtung oder Rücksichtnahme erfahren. Sprechen Sie mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn über ihre/seine Erwartungen und Befürchtungen und überlegen Sie gemeinsam, wie sie/er damit umgehen kann und will. Offen über die Erkrankung zu sprechen, ist meist der bessere Weg, damit die „Sensation“, dass eine Schülerin/ein Schüler Krebs hatte, schnell verfliegt.

Oft ist die Sorge vor den Reaktionen „fremder“ Kinder, die nicht Bescheid wissen (beispielsweise in der Pause auf dem Schulhof), besonders groß: „Anmache“, blöde Kommentare zum Aussehen, Hänseleien und Getuschel werden als beschämend erlebt. Es gibt Sicherheit, wenn Sie im Vorfeld mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn darüber reden, wie sie/er sich in solchen Situationen verhalten kann.

Insbesondere in den Nebenfächern sorgen sich die Kinder darum, vielleicht den Anschluss verloren zu haben, da sie während der Behandlungszeit meist nur in den Hauptfächern unterrichtet wurden. Die Sorge, jetzt sehr schnell sehr viel nachholen zu müssen und den schulischen Anforderungen nicht gerecht werden zu können, kann belastend sein.

Viele Jugendliche wollen einerseits schnellstmöglich wieder mit Gleichaltrigen in Kontakt kommen, und andererseits auch ein neues Gefühl für „Normalität“ bekommen. Allerdings haben sie möglicherweise auch Angst davor, viel Stoff nachholen oder vielleicht ein Schuljahr wiederholen zu müssen.

Einige möchten möglicherweise nicht schnell zur Schule zurück, weil sie anders aussehen oder weil sich während ihrer langen Abwesenheit vieles verändert hat und sie ihren Platz in der Klasse nicht so einfach wieder einnehmen können. Im Freundeskreis und in der Freizeit kann es enttäuschend sein, frühere Aktivitäten (beispielsweise Sport) noch nicht wieder aufnehmen zu können. Manche Jugendliche trauen sich zu wenig zu und verhalten sich eher zögerlich bei der Ausweitung ihrer Aktivitäten; andere wollen „zu schnell zu viel“ und hadern damit, dass manches schwerer fällt als gedacht.

Wenn Jugendliche während der Abschlussprüfungen, kurz vor oder nach ihrem Schulabschluss erkrankt sind, bedeutet die ungewisse Zukunft eine hohe Belastung:

  • Werde ich meinen Abschluss bekommen?
  • Kann ich meinen Ausbildungsplatz behalten?
  • Kann ich meinen Traumberuf noch ausführen?

Oft brauchen sie Zeit, um sich neu zu orientieren und zu prüfen, wie es für sie weitergehen kann. Nach einer genauen Besprechung ihrer aktuellen gesundheitlichen Situation (Belastbarkeit, anhaltende Beeinträchtigungen, weiterhin notwendige therapeutische Maßnahmen), kann eine berufliche Orientierungsphase sinnvoll sein.

Die mögliche Trauer über den Verlust erhoffter Zukunftsperspektiven oder die Regeneration („verpasstes“ Leben nachholen wollen) können eine gewisse Zeit dauern: Manchmal kann der Blick erst allmählich wieder nach vorn gerichtet werden.

Ermutigen Sie Ihre Tochter/Ihren Sohn dazu, Beratungsangebote der psychosozialen Nachsorge in Anspruch zu nehmen, die bei der Krankheitsverarbeitung unterstützen und außerdem Wegweiser für eine Schullaufbahn- oder Berufsberatung sein können.

Einige Jugendliche, die zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung gerade eine Ausbildung begonnen hatten oder schon mitten in einer Berufsausbildung waren, können diese nahtlos fortsetzen und erhalten Unterstützung seitens der Ausbildungseinrichtung. Andere müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit die Ausbildung fortgesetzt werden kann und ob eine Neuorientierung/Umorientierung notwendig ist.

Manche fühlen sich den Anforderungen im Lehrbetrieb oder der Berufsschule (noch) nicht gewachsen und fürchten um ihren Ausbildungsplatz. Hier kann das berufliche Eingliederungsmanagement (BEM) im Lehrbetrieb eine wichtige Anlaufstelle sein.

Sollte aus gesundheitlichen Gründen die Rückkehr an den Ausbildungsplatz nicht ohne weiteres möglich sein, beraten das Psychosoziale Team oder die MitarbeiterInnen der psychosozialen Nachsorge zu den weiteren Schritten. Außerdem gibt es an einigen Standorten in speziellen Projekten („Jugend und Zukunft“) Ansprechpersonen für junge Menschen, die weiterhelfen können.

Die Rückkehr ihres Kindes in Kindereinrichtung, Schule oder Ausbildung kann auch für Eltern emotional sein: Häufige Sorgen sind beispielsweise, dass ihr Kind eine Infektion bekommen oder dass die Rückkehr für Tochter oder Sohn überfordernd sein könnte. Sie wollen ihr/ihm vielleicht Enttäuschungen ersparen. Nach der Behandlungszeit, in der Mütter und/oder Väter sehr eng mit ihrem Kind verbunden waren, kann das Loslassen eine große Herausforderung sein.

Wieder Zutrauen in die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Tochter/des Sohnes zu gewinnen und sie/ihn bei eigenen Schritten zu unterstützen, ist ein längerer Prozess für Eltern, in dem sie ihre eigenen Sorgen und Ängste von denen ihrer Töchter/Söhne unterscheiden lernen und so nach und nach die „richtige“ Unterstützung anbieten können.

Wenn die Erwachsenen in den Einrichtungen, in die die Kinder/Jugendlichen zurückkehren, während der Behandlungszeit keinen Kontakt zu Ihrer Tochter/Ihrem Sohn hatten oder sie/ihn (noch) gar nicht kennen, sind sie meist unsicher, wie sie mit ihnen umgehen und was sie ihnen zutrauen können.

Da Krebserkrankungen im Kindesalter selten sind, haben die wenigsten Menschen Erfahrungen damit: Manche wollen die Kinder/Jugendlichen nach einer Krebserkrankung besonders schonen, andere stellen an sie die gleichen Anforderungen wie an Gesunde und zeigen wenig Verständnis dafür, dass sich die SchülerInnen in einem Neu-Anpassungsprozess befinden, der Zeit und Geduld braucht.

Vielleicht machen sie sich auch Sorgen darüber, wie die anderen Kinder/Jugendlichen oder Eltern darauf reagieren, dass ein von einer Krebserkrankung genesenes Kind in die Gruppe/Klasse kommt und sind sich unsicher, wie offen sie die Erkrankung ansprechen sollen.

Einen guten Überblick und Hilfestellungen bietet die folgende Broschüre:

Deutsche Kinderkrebsstiftung: "Wenn ein Schüler Krebs hat", Leitfaden für Lehrer (kostenloser Download, im Downloadbereich zu finden)