Musik- und Kunsttherapie

Autor:  Gerd Kappelhoff, Barbara Grießmeier, Juliana Ortitz, Zuletzt geändert: 11.07.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e227543

Musik- und Kunsttherapie sind in fast allen kinderonkologischen Zentren ein wichtiger Teil der psychosozialen Versorgung krebskranker Kinder und Jugendlicher. Diese Therapieformen tragen dazu bei, Ressourcen zu stärken und so den PatientInnen zu helfen, mit der Krankheitserfahrung und den Belastungen der medizinischen Behandlung besser umgehen zu können. Diese Therapien unterstützen die Kinder und Jugendliche dabei, Halt und Sicherheit während der Zeit der Erkrankung aufzubauen und das Wohlbefinden zu fördern. Viele Menschen verbinden mit diesen Therapieformen etwas, das Kindern besondere Freude macht und so einen Gegenpol zu den oft negativ erlebten Erfahrungen in der Klinik bietet. Entsprechend hoch ist meist auch ihr Stellenwert bei Kindern, Jugendlichen und Eltern.

Wo findet das statt?

Kunst- und Musiktherapie finden im Rahmen offener Gruppenangebote und in Einzelbegegnungen statt. In manchen Kliniken gibt es dafür eigens vorgesehene Räume. Oft arbeiten die TherapeutInnen auch „mobil“, das heißt sie besuchen die Kinder beispielsweise mit einem Instrumentenwagen oder mit ihren Malutensilien am Krankenbett.

Die Kontakte können sowohl in stationären als auch in ambulanten Behandlungszeiten stattfinden. In der Kinderonkologie wird Kunst- oder Musiktherapie nicht „verordnet“, sondern die TherapeutInnen gehen nach Absprache mit dem psychosozialen und dem medizinischen Team oder auch auf Wunsch der Eltern auf die Patienten zu und bemühen sich, den Kontakt während der ganzen Behandlungszeit aufrecht zu erhalten. Dauer und Häufigkeit richten sich nach den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen, sind aber oft auch abhängig von den Terminen des Behandlungsplanes.

Möglichkeiten und Ziele der Kunst- und Musiktherapie können sehr vielfältig sein: Das Spektrum reicht von Stimmungsaufhellung, Ablenkung von Übelkeit und Schmerz, Ausdruck und Bewältigung von Gefühlen wie Angst, Wut oder Trauer bis hin zur Entwicklung individueller kreativer Projekte. Die Kinder und Jugendlichen können ohne Worte mit der/dem TherapeutIn in einen Dialog treten oder schwer Sagbares mitteilen. Die Förderung von Motorik, Aktivierung, aber auch Entspannung durch Sinneserfahrung finden hier ebenfalls ihren Platz.

Musiktherapie

In der Musiktherapie werden meist einfach zu spielende Musikinstrumente benutzt, für die keine Vorkenntnisse nötig sind. So wird man selten eine Geige finden, dafür aber unterschiedliche Perkussionsinstrumente wie Trommeln, Xylophone und verschiedene Rasseln oder auch einfache Saiteninstrumente und selbst gebaute "Klangkörper". Diese Instrumente sind meist sehr einladend, sodass Kinder und Jugendliche damit ganz unbefangen umgehen und ausprobieren, welche Töne und Geräusche sie damit produzieren können. Ziel ist dabei nicht, ein Instrument zu erlernen oder bestimmte Musik „richtig“ zu spielen, sondern mit diesen Instrumenten Klänge zu erzeugen, die Stimmungen oder Gefühle zum Ausdruck bringen und für andere hörbar machen. Dazu ist Sprache nicht unbedingt notwendig, denn die meisten Menschen können beispielsweise anhand einer Melodie oder Tonfolge erkennen, ob diese eher fröhlich oder eher traurig klingt oder ob sich ein Trommelspiel eher zaghaft oder selbstbewusst anhört.

MusiktherapeutInnen gestalten gemeinsam mit einem oder mehreren Kindern musikalische Dialoge, in denen sie über die Musik miteinander in Beziehung treten und sich im gemeinsamen Tun ausdrücken und selbst erleben können. Bereits Säuglinge reagieren auf Klänge und Töne und auch Jugendliche und junge Erwachsene haben zumeist irgendeinen Zugang zu Musik. Deshalb gibt es für den Einsatz von Musiktherapie keine Altersbegrenzung nach unten oder oben.

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Miteinander Musik machen

Folgende Einsatzmöglichkeiten von Musiktherapie finden sich in der Kinderonkologie:

Auf vielen Kinderkrebsstationen, auf denen MusiktherapeutInnen arbeiten, finden regelmäßige, offene Musik- oder Singrunden statt, bei denen Kinder und Eltern einen ersten Zugang zur Musik und den TherapeutInnen finden können. Meist werden hier bekannte (oder auch weniger bekannte) Kinderlieder gesungen und mit einfach zu spielenden Instrumenten begleitet, manchmal werden auch musikalische Spiele angeleitet. Dabei entsteht fast immer eine entspannte und lebendige Atmosphäre. Auch Kinder, die zunächst eher schüchtern oder zurückhaltend sind, können hier ihren Platz finden und trauen sich nach und nach, mitzumachen. Es ist nicht nötig, die deutsche Sprache zu sprechen oder zu verstehen. Oft werden die Texte bekannter Lieder auch umgedichtet und an die Situation angepasst – oder es entwickeln sich ganz spontan neue, improvisierte Lieder. So entsteht Gemeinschaft, die Kinder, Eltern und StationsmitarbeiterInnen als sehr hilfreich erleben.

In der musiktherapeutischen Begleitung von Kindern und Jugendlichen entsteht eine intensive Beziehung, die über die gesamte Dauer der Behandlung zu einer wichtigen Unterstützung werden kann. Die Methoden können dabei sehr unterschiedlich sein und im Verlauf variieren:

  • Manche Kinder entwickeln mit Hilfe der Instrumente musikalische „Geschichten“, in denen sie Aspekte ihrer Krankheit direkt oder auf einer eher symbolischen Ebene thematisieren.
  • Andere Kinder wollen lieber vertraute Lieder singen und spielen, die sie aus der Zeit vor der Krankheit kennen und die ihnen Halt und Sicherheit geben.
  • Manche Jugendliche wollen ein Instrument – oder zumindest ein bestimmtes Musikstück – „richtig“ spielen lernen und andere ihre eigene Musik „erfinden“ und vielleicht sogar aufnehmen.
  • Wenn Kinder körperlich stark eingeschränkt sind (beispielsweise durch einen Hirntumor) und sich nur wenig bewegen können, treten MusiktherapeutInnen mit einfachen Klängen oder einzelnen Tönen mit ihnen in Kontakt und gestalten auch mit minimalen Bewegungsäußerungen einen nonverbalen Dialog, in dem die Kinder sich gehalten und aufgehoben fühlen können.
  • Für viele Jugendliche ist das Hören bestimmter Musik eine wichtige Ressource, die sie in ihrem Alltag ständig begleitet. MusiktherapeutInnen können beispielsweise gemeinsam mit dem PatientInnen Playlists erstellen, die dann in bestimmten Situationen zum Einsatz kommen können.

Durch die ständig wechselnde Zusammensetzung der Kinder und Jugendlichen auf der Station ist die Arbeit in einer festen Gruppe nur sehr selten möglich. Ab und zu gibt es dennoch Situationen, in denen mehrere Kinder oder Jugendliche gemeinsam mit der MusiktherapeutIn einen musikalischen Prozess gestalten, zusammen spielen oder Musik produzieren.

Die meisten Menschen empfinden in Situationen, in denen es ihnen nicht gut geht, Musik als tröstlich oder entspannend. MusiktherapeutInnen können Kindern und Jugendlichen nach Wunsch auch Musik vorspielen, die eine bestimmte Stimmung zum Ausdruck bringt, beruhigt oder entspannt. Auch hier werden sie versuchen, mit den PatientInnen in einen Dialog zu treten, ihre/seine Wünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu einer angenehmen Atmosphäre beizutragen.

Selbstverständlich können beispielsweise auch gemeinsam Playlists erstellt werden oder Mütter und Väter erhalten Unterstützung dabei, wie sie selbst für ihr Kind singen können.

Dank der Weiterentwicklung digitaler Medien ist es heute relativ leicht möglich, eigene Lieder oder andere Musik ohne großen Aufwand auf vergleichsweise hohem Niveau zu „produzieren“ und so für andere hörbar zu machen. In manchen Kliniken finden regelmäßig entsprechende Projekte statt und MusiktherapeutInnnen sind gerne bereit, bei der Umsetzung zu helfen.

Kunsttherapie

In der Kunsttherapie können die PatientInnen sehr unterschiedliche Materialien und Medien nutzen. Ziel ist in erster Linie die Stärkung der eigenen Ressourcen zur emotionalen Stabilisierung und Entspannung. Dabei werden Alter und Entwicklungsstand des Kindes sowie die hygienischen Anforderungen einer kinderonkologischen Station berücksichtigt. Es gibt eine vielfältige Auswahl an Papieren, Pappen, Leinwänden, Stiften und Farben. Dreidimensionales wie Karton, Modelliermasse oder Sand, aber auch medizinisches Material wie Verbände oder Pflaster können gestalterisch eingesetzt werden, um eigene innere Themen in eine sichtbare und greifbare Form zu bringen und die Krankheitsverarbeitung zu unterstützen.

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Die KunsttherapeutIn bietet einen geschützten Raum, in dem Kinder und Jugendlichen der „Boss“ sind und ihre gesunden Fähigkeiten zum Vorschein kommen dürfen.

Dabei geht es in der Kunsttherapie in erster Linie um den kreativen Prozess an sich, in dem die Kinder und Jugendlichen dazu angeregt werden, ihren persönlichen Ausdruck (gemeinsam) mit der KunsttherapeutIn so zu entfalten, dass das Werk ihren eigenen Vorstellungen entspricht. Es soll also nicht unbedingt ein konkretes Ergebnis entstehen, das andere als „schön“ oder „gut“ empfinden.

Um an der Kunsttherapie teilzunehmen, sind keine besonderen künstlerischen Fähigkeiten oder Vorkenntnisse notwendig. Nach dem Motto: „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ können der kunsttherapeutische Prozess und das entstandene Werk dazu dienen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Damit ist Kunsttherapie auch besonders für jüngere PatientInnen geeignet, die sich noch nicht mit Worten ausdrücken können oder auch für PatientInnen, die über keine oder nur wenig Sprachkenntnisse verfügen.

Die meisten Kinder lieben es, selbst etwas zu gestalten und werden dazu durch die KunsttherapeutIn angeregt. So kann die eigene Wahrnehmungsfähigkeit erweitert werden und die TeilnehmerInnen können neue Perspektiven entwickeln. Viele können im Umgang mit Farben oder anderen Materialien ganz aufgehen und in einen Zustand geraten, in dem sie ihr Umfeld und ihre Situation für eine gewisse Zeit ganz vergessen und ganz in der Gegenwart sind.

Der Alltag auf einer Kinderkrebsstation ist geprägt von Unterbrechungen, medizinischen Maßnahmen und mangelnder Privatsphäre. Wenn Kinder selbst etwas gestalten, kann daraus ein Gegenpol zu möglichen Gefühlen von Ohnmacht, Trauer und Irritation entstehen. Die Möglichkeit, ein eigenes, für den Moment passendes Bild oder Symbol zu erschaffen, kann Ablenkung und Freude bringen, sowie darüber hinaus Selbstvertrauen vermitteln und das Gefühl stärken, selbst etwas bewirken zu können.

Über Kunsttherapie auf kinderonkologischen Stationen:

Als ergänzendes (supportives) therapeutisches Angebot findet die stationäre Kunsttherapie zwar kontinuierlich, jedoch oftmals nur tage- oder stundenweise statt, je nach personeller Ausstattung der jeweiligen Einrichtung. Sie richtet sich an PatientInnen aller Altersgruppen sowie deren begleitende Angehörige. Je nach Möglichkeit findet die Kunsttherapie im speziellen Kunsttherapiezimmer, in einem Mehrzweckraum oder direkt am PatientInnenbett statt.

Die Kunsttherapie mit einzelnen Kindern hängt stark vom Alter der PatientInnen ab. Eine möglichst geschützte und vertrauensvolle Atmosphäre ist hilfreich, um den individuellen und freien Ausdruck zu unterstützen. Das Entstandene kann (muss aber keineswegs) anderen gezeigt werden. Dies darf die PatientIn stets selbst bestimmen. Durch die Isolierung vom eigenen sozialen Umfeld kann es aber gerade förderlich sein, die PatientInnen in Kleingruppen bis zu 4 Personen (MitpatientInnen, Familienmitglieder) zusammenzubringen und entweder gemeinschaftlich an einem Gruppenbild, einem Thema oder auch für sich, aber in Gemeinschaft, zu arbeiten. Dabei steht der Austausch der Teilnehmenden untereinander im Mittelpunkt.

Als nächste Bezugspersonen verbringen die Eltern viel Zeit am Krankenbett und sind somit die wichtigste Unterstützung für die Kinder. In der akuten Belastungssituation fehlen häufig eigene Ideen, wie man sich als Mutter oder Vater mit dem Kind beschäftigen kann. Die gemeinsame Teilnahme an der Kunsttherapie kann Anregungen geben und einfache dialogische Übungen vermitteln, die auch in der Familie außerhalb der Klinik angewendet werden können. Nicht nur die PatientInnen, sondern auch deren Eltern können mit einer Kombination aus familien- und kunsttherapeutischen Methoden ihre kreativen Ausdrucksmöglichkeiten verbessern und auf diesem Wege emotionale Entlastung und Entspannungssituationen erleben.

Die gemeinsame künstlerische Betätigung von Eltern, Kindern und anderen Angehörigen, sowie der Austausch über entstandene Werke stärken das Gefühl der Zusammengehörigkeit und helfen dabei, miteinander ins Gespräch zu kommen und mehr voneinander zu erfahren.

In manchen Kliniken gibt es die Möglichkeit, dass die/der KunsttherapeutIn zu den PatientInnen nach Hause kommt. Dies kann insbesondere bei Kindern, die eine lange Therapie vor sich haben und von ihrem sonstigen sozialen Umfeld isoliert sein müssen, eine wertvolle Ressource sein. Teilweise gibt es dieses Angebot auch für Geschwister krebskranker Kinder, um sie in ihrer besonderen Situation zu unterstützen, untereinander in Kontakt zu bringen und eine gesunde Entwicklung zu fördern.

In manchen Situationen kann es sinnvoll sein, die Werke aus der Kunsttherapie auszustellen und beispielsweise Bilder in PatientInnenzimmern, Klinikfluren oder anderen öffentlichen Räumen zu zeigen. Dies führt oftmals zu positiver Resonanz und kann den Selbstwert der PatientInnen steigern. Mancherorts werden Bilder aus der Kunsttherapie auch als Vorlagen für Kalender, Postkarten und Ähnliches verwendet. So verständlich der Wunsch auch ist, Öffentlichkeitsarbeit und das Sammeln von Spendengeldern mit Bildern von Kindern zu unterstützen, sollte dabei doch bedacht werden, dass diese Werke ursprünglich einen sehr persönlichen und manchmal intimen kreativen Prozess abbilden, der nicht ungeprüft und nur nach Einwilligung der UrheberInnen einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollte.

Der Gestaltung eines Bildes liegt eine intensive Auseinandersetzung mit bewussten, aber auch unbewussten Themen zugrunde. Es empfiehlt sich, die während der Kunsttherapie entstandenen Bilder zu datieren und gebündelt aufzubewahren.

So können die Bilder zu einem späteren Zeitpunkt gesichtet werden und erlauben ein aktives Erinnern an die Umstände ihres Entstehens. Das Nutzen der Bilder als Zeitzeugnisse kann sich positiv auf die Krankheitsverarbeitung auswirken und somit möglichen seelischen Spätfolgen vorbeugen.