Chemotherapie

Autor:  Dr. med. habil. Gesche Tallen, Redaktion:  Julia Dobke, Freigabe:  Prof. Dr. med. U. Creutzig, Zuletzt geändert: 25.01.2019 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e159043

Die Chemotherapie ist neben der Strahlentherapie und der Operation eine der drei großen Säulen der Krebsbehandlung bei Kindern und Jugendlichen. Chemotherapie bedeutet Behandlung mit zellwachstumshemmenden Medikamenten, so genannten Zytostatika.

Die ersten Erkenntnisse bezüglich der wachstumshemmenden Wirkung von Zytostatika stammen aus Erfahrungen mit künstlich hergestellten Substanzen, die Alkylantien genannt werden.

Ende der 40er Jahre wurden die ersten Krankheitsrückbildungen (Remissionen) nach Behandlung von akuten lymphoblastischen Leukämien mit Zytostatika beschrieben. Gegenwärtig werden über 30 verschiedene Zytostatika aus unterschiedlichen Substanzgruppen bei der Behandlung von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter eingesetzt. Besonders die Behandlung mit zwei Substanzgruppen erhöhen das Risiko, später ein Zweitmalignom zu entwickeln.

Alkylantien

Alkylantien gehören zu den wirksamsten und deshalb am häufigsten eingesetzten Zytostatika bei der Standardbehandlung von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Sie werden auch regelmäßig zur Vorbereitung (Konditionierung) einer hämatopoetischen Stammzelltransplantation verabreicht. Zu den Alkylantien zählen zum Beispiel Ifosfamid, Cyclophosphamid, Dacarbazin, Procarbazin, Lomustin, Temozolomid, Melphalan, Busulfan und Thiotepa (siehe auch "Zytostatika-Substanzgruppen").

Alkylierende Substanzen bestehen unter anderem aus Molekülen mit verschiedenen Kombinationen aus Kohlen- und Wasserstoffatomen, den so genannten Alkylgruppen. Alkylantien wirken zellschädigend (zytotoxisch), indem sie ihre Alkylgruppen in das Erbgut (DNA) von gesunden wie bösartigen Zellen einbauen. Dadurch kommt es dort zu einer Schädigung, die entweder zum Zelltod führt oder gleich repariert wird. Sie kann aber auch bei der nächsten Zellteilung an die Tochterzellen vererbt werden, so dass diese sich später bösartig verändern. Besonders anfällig gegenüber solchen bösartigen Veränderungen sind die Vorläuferzellen von Blutzellen.

Die häufigste Zweitkrebserkrankung nach einer Alkylantientherapie ist die so genannte therapiebedingte "akute myeloische Leukämie", kurz t-AML.

Topoisomerasehemmer

Die Gruppe der Topoisomerasehemmer beinhaltet zahlreiche Zytostatika mit großer Wirksamkeit gegen viele verschiedene Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Zu den Topoisomerasehemmern gehören folgende Substanzgruppen:

Topoisomerase-I-Hemmer

  • Topotecan
  • Actinomycin D

Topoisomerase-II-Hemmer

  • Anthrazykline: Doxorubicin (Adriamycin), Daunorubicin, Idarubicin, Epirubicin und andere
  • Anthracendione: Mitoxantron und andere
  • Epipodophyllotoxine: Etoposid, Teniposid und andere

Wie die Alkylantien (siehe oben) sind Topoisomerasehemmer in Kombination untereinander und mit anderen Zytostatikagruppen wichtige Bestandteile zahlreicher standardisierter Therapieprotokolle in der Kinderkrebsheilkunde, sowohl bei der Behandlung von Leukämien und Lymphomen als auch von soliden Tumoren.

Wie ihr Name bereits andeutet, wirken Topoisomerasehemmer, indem sie das Enzym Topoisomerase I beziehungsweise Topoisomerase II hemmen. Dadurch entstehen bei der Zellteilung Brüche in den DNA-Strängen, die entweder zum Zelltod oder zu schwerwiegenden Chromosomenveränderungen führen und in der Folge zur Entstehung einer neuen Krebserkrankung beitragen können.

Die bisher am häufigsten beobachteten Zweitkrebserkrankungen nach Behandlung mit Topoisomerasehemmern sind:

  • therapiebedingte akute myeoloische Leukämie (t-AML, siehe oben), insbesondere nach Behandlung verschiedener Ersterkrankungen mit Etoposid und Teniposid sowie Anthrazyklinen
  • solide Zweitkrebserkrankungen nach Behandlung von Knochentumoren mit Etoposid

Allgemeine Informationen

Das Zweitkrebs-Risiko nach einer Behandlung mit Alkylantien oder Topoisomerasehemmern steigt mit zunehmender Gesamtdosis der verabreichten Medikamente an. Das Risiko erhöhte sich auch, wenn bestimmte Zytostatika miteinander und/oder mit einer Strahlentherapie kombiniert werden. Basierend auf diesen Erfahrungen wird im Rahmen aktueller Therapieoptimierungsstudien für Kinder und Jugendliche mit Krebs darauf geachtet, hohe Gesamtdosen von Alkylantien oder Topoisomerasehemmern sowie gewisse Kombinationsbehandlungen zu vermeiden.

Da Alkylantien und Topoisomerasehemmer bei Kindern und Jugendlichen so gut gegen Krebs wirken, möchte man jedoch nicht komplett auf die Behandlung mit diesen Zytostatika verzichten. Im Rahmen aktueller Forschungsprojekte wird daher nach bestimmten Markern gesucht, die dabei helfen können, das individuelle Zweitkrebs-Risiko abzuschätzen. Auf diese Weise sollen die Voraussetzungen für eine Behandlung geschaffen werden, die durch die Wahl und Dosierung der Zytostatika die persönliche Anfälligkeit eines Patienten für Spätschäden wie Zweitkrebs zwar berücksichtigt, jedoch gleichzeitig weiterhin eine maximale Vernichtung der Krebszellen gewährleistet.

Anmerkung: Neben Alkylantien und Topoisomerasehemmern spielen möglicherweise auch noch andere Zytostatika (zum Beispiel Platinsubstanzen, L-Asparaginase, 6-Mercaptopurin) bei der Zweitkrebs-Entstehung eine Rolle. Die aktuelle Datenlage ist aber noch nicht ausreichend, um diesbezüglich endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen.