Meilensteine der Geschichte psychosozialer Versorgung in der Kinderonkologie

Autor:  Barbara Grießmeier, Iris Lein-Köhler, Redaktion:  Ingrid Grüneberg, Zuletzt geändert: 06.12.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e269685

Die Entwicklung psychosozialer Versorgung vollzog sich in den letzten 40 Jahren von einem Angebot, das zunächst nur wenigen Kindern konsiliarisch zur Verfügung stand, hin zu einem integralen Bestandteil der Behandlung krebskranker Kinder und ihrer Familien. Diese Erfolge gehen zurück auf das gemeinsame Engagement von ÄrztInnen, betroffenen Eltern, verschiedenen VertreterInnen der Gesundheitspolitik und schließlich psychosozialen MitarbeiterInnen selbst, die über Jahre hinweg dieses neue Arbeitsgebiet professionalisierten und so dafür sorgten, dass neben Medizin und Pflege eine „dritte Säule“ der Behandlung entstand.

Die folgende Aufstellung umfasst wichtige Meilensteine dieser Entwicklung:

1978: In Hamburg beantragte Frau Prof. Dr. Hedwig Wallis, Leiterin der psychosomatischen Abteilung der Universitätskinderklinik am UKE beim Tumorzentrum Hamburg, die Förderung eines Projekts zur „psychosozialen Versorgung leukämiekranker Kinder und ihrer Familien im Rahmen der somatischen Versorgung“. Ab 1979 arbeiteten am UKE zwei Psychologen im Rahmen dieses Projekts in enger Kooperation mit der Kinderonkologie.

1980: erste Tagung zur psychosozialen Versorgung in der Kinderonkologie in Heidelberg: 24 TeilnehmerInnen diskutierten 3 Tage lang die Arbeitssituation. Demnach arbeiteten erst wenige Kolleginnen direkt auf den onkologischen Stationen, die meisten wurden noch konsiliarisch hinzugezogen.

1981: Veröffentlichungen der ersten Studienergebnisse zu psychosozialen Belastungen krebskranker Kinder und ihrer Familien (Ebeling A, 1981) und zur Problematik des leukämiekranken Kindes und seiner Familie (Richter, R 1981)

1984: Gründung der „Psychosozialen Arbeitsgruppe in der Pädiatrischen Onkologie“ auf Initiative des Vorstands der GPO in Frankfurt

1986 bis 1989: Modellprojekt „Psychosoziale Versorgung in der Pädiatrischen Onkologie und Hämatologie“, beantragt von der GPO und gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Bewilligt wurden in 28 Kliniken insgesamt 50 Stellen. Vor dem Modellprojekt gab es an 21 deutschen Zentren lediglich 3 Planstellen (und einige wenige Drittmittelstellen) für psychosoziale MitarbeiterInnen. Im Abschlussbericht der Begleitforschung wurde die geförderte Maßnahme insgesamt als sehr positiv bewertet.

1986: Gründung der Berufsgruppe Musik- und Kunsttherapie in der pädiatrischen Onkologie

1989: Übernahme der PSAPOH als Arbeitsgemeinschaft der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH)

1990: Übernahme der psychosozialen Versorgung in die Regelversorgung der Krankenkassen durch eine Erhöhung der Pflegesätze

1991: Empfehlung der GPOH zur Ausstattung pädiatrisch-onkologischer Zentren: 1 psychosoziale Vollzeit-Stelle per 13 Neuaufnahmen/pro Jahr. Dieser Stellenschlüssel wurde allerdings nie erreicht.

1993: erste bundesweite Stellenumfrage der PSAPOH: Die 52 teilnehmenden Kliniken melden nun bereits 152 Stellen. Nach dem Ende des Modellprojekts gab es mithin weiteren Zuwachs an Stellen.

1992 bis 1995: Gründung verschiedener Arbeitsgruppen der PSAPOH

1997: Gründung der PSAPOH-Arbeitsgruppe „Entwicklung und Erprobung von Leitlinien in der psychosozialen Versorgung in der pädiatrischen Onkologie”, später „Fachgruppe Qualitätssicherung“

2001: Publikation eines gemeinsamen Positionspapiers zur Familienorientierten Rehabilitation für krebskranke Kinder und deren Familien durch GPOH, PSAPOH, DLFH und Spitzenverbände der Krankenkassen, durch das eine langfristige Finanzierung dieser Maßnahmen sichergestellt wurde.

2002: Multizentrische Studie an 26 pädiatrisch-onkologischen Zentren: Qualitative und quantitative Erfassung patientenbezogener psychosozialer Tätigkeiten; finanziert von der Deutschen Kinderkrebsstiftung

2003: Publikation „Berufsbild der Kunst- und Musiktherapeuten in der pädiatrischen Onkologie”

2004: Positionspapier von PSAPOH, GPOH und DLFH zur psychosozialen Versorgung pädiatrisch-onkologischer und pädiatrisch-hämatologischer Patienten in der Akutklinik

2006: Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) definiert in der Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung für die stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit hämato-onkologischen Krankheiten, dass jedes Zentrum einen Psychosozialdienst für eine angemessene Versorgung der Familien bereithalten muss. Leider wurde nicht definiert, was „angemessen“ bedeutet. Dieses Papier bleibt bis heute wichtige Grundlage integrativer psychosozialer Versorgung an pädiatrisch-onkologisch/hämatologischen Zentren.

2008: Publikation der S3-Leitlinie „Psychosoziale Versorgung in der pädiatrischen Onkologie“

2012: Publikation der Module zur psychosozialen Basisversorgung als Mindeststandard für alle krebskranken Kinder/Jugendlichen. Die Basisversorgung wird in den Modulen übersichtlich beschrieben und gibt einen tabellarischen Überblick zu Belastungen, Reaktionen, Interventionen und Zielen psychosozialer Versorgung sowohl allgemein, als auch für spezifische Diagnosegruppen (beispielsweise bei Hirntumoren, Knochentumoren).

2013: erstes Update der Leitlinie

2016: Für die Zertifizierung als kinderonkologisches Zentrum durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) ist ein Stellenschlüssel von mindestens 2 Vollzeitkräften Psychlologie und Sozialarbeit (beide Berufsgruppen müssen vertreten sein) pro 44 Zentrumsfällen erforderlich. Diese Vorgabe führte bereits in einigen Kliniken, die das Zertifikat erwerben wollten, zu einem Zuwachs an psychosozialen Stellen. Die Art und Weise der Finanzierung dieser Stellen ist allerdings auch weiterhin nicht geklärt. OnkoZert übernimmt mit den Anforderungen im Erhebungsbogen (beispielsweise müssen 95% aller Familien nachweislich eine psychosoziale Versorgung erhalten haben) die von der PSAPOH erarbeiteten Qualitätskriterien zu Umfang, Ausstattung und Inhalten psychosozialer Versorgung.

2018: Analog zum Zertifikat „Psychoonkologie” der DKG bringt der Vorstand der PSAPOH ein eigenes Zertifikat “Pädiatrische Psychoonkologie” auf den Weg, mit dem auf Grundlage verschiedener Fortbildungsinhalte die Versorgungsqualität sichergestellt werden soll.

2019: zweites Update der S3-Leitlinie: Die Ergebnisse einer umfangreichen Literaturrecherche mit anschließender Evidenzbewertung sowie zahlreiche internationale Leitlinien fanden Eingang in die neue Fassung. Von fast 20.000 gefundenen Publikationen wurden 1600 Artikel für die genaue Analyse und Evidenzbewertung identifiziert, auf Relevanz geprüft und gegebenenfalls in die Leitlinie aufgenommen.

2019: Beginn eines von der Deutschen Kinderkrebsstiftung geförderten Projekts zur Erstellung neuer Seiten zur psychosozialen Versorgung bei kinderkrebsinfo. Diese Seiten haben die Funktion einer „PatientInnenversion der Leitlinie“.

2020: Start des Projekts „Mein Logbuch”: Die Bausteine zu verschiedenen Themen entlang des Behandlungsverlaufs dienen dazu, psychosoziale Standards und Leitlinien in die Praxis zu übersetzen. So soll künftig gewährleistet werden, dass evidenzbasierte Empfehlungen die betroffenen Kinder und Jugendlichen erreichen. Die Themenhefte von „Mein Logbuch” stellen Orientierungs-, Bearbeitungs- und Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung: Sie sind ressourcenorientiert aufgebaut, kreativ, interaktiv und für Kinder etwa ab dem Grundschulalter geeignet. Derzeit werden die Materialien im Rahmen einer psychosozialen Therapieoptimierungsstudie geprüft und fortlaufend weiterentwickelt.

Literatur

  1. Schreiber-Gollwitzer BM, Schröder H, Grießmeier B, Labouvie H, Lilienthal S: Quantitative und qualitative Erfassung patientenbezogener psychosozialer Tätigkeiten in der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie. Klin Pädiatr 2003; 215(3): 171 [DOI: 10.1055/s-2003-39377] SCH2003m
  2. Göbel U, Kornhuber B, Schellong G, Winkler K: Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung Pädiatrisch-Onkologischer Zentren. Klin Pädiatr. 1991; 203 [DOI: 10.1055/s-2007-1025430] GOE1991
  3. Ebeling A: Untersuchung zur psychosozialen Problemlage leukämiekranker Kinder und ihrer Familien. Philos Diss Universität Hamburg 1981 EBE1981
  4. Wolff G, Brix J: Bericht über eine Arbeitstagung zum Thema: "Psychosoziale Betreuung onkologisch erkrankter Kinder und ihrer Familien" in Heidelberg vom 3. 10. bis 5. 10. 1980. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 30 3, S. 100 - 103 [URI: https://doi.org/ 10.23668/ psycharchives.10462] WOL1981

Literatur mit Links

  1. ONKOZERT: Kinderonkologische Zentren. aufgerufen am 6.12.2023 [URI: https://www.onkozert.de/ organ/ kinder/ ] ONK2023
  2. Gemeinsamer Bundesausschuss: Richtlinien zur Kinderonkologie. Stand 01/2023 aufgerufen am 6.12.2023 [URI: https://www.g-ba.de/ richtlinien/ 47/ ] GBA2023
  3. Leiss U et al.: Psychosoziale Basisversorgung in der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie 2. 0. 2022 [URI: https://www.gpoh.de/ sites/ gpoh/ kinderkrebsinfo/ content/ e1676/ e176475/ e176588/ e258368/ PsychosozialeBasisversorgung_2.0_2022-08-30_ger.pdf] LEI2022
  4. Berufsgruppe Kunst- und Musiktherapeuten in der PSAPOH: Berufsbild der Kunst- und Musiktherapeuten in der pädiatrischen Onkologie. November 2004, 1. Aktualisierung: November 2016 [URI: https://www.gpoh.de/ sites/ gpoh/ kinderkrebsinfo/ content/ e1676/ e176475/ e176509/ e176536/ Berufsbild_Kunst_und_Musiktherapeuten2016-11-21_ger.pdf] PSA2004
  5. Leidig E, Maier S (Hrsg): Positionspapier zur familienorientierten Rehabilitation bei krebskranken Kindern. 2001 [URI: https://www.gpoh.de/ sites/ gpoh/ kinderkrebsinfo/ content/ e1676/ e176475/ e176625/ e176633/ POSITP2_ger.pdf] LEI2001