Ausbreitungsstadien des Retinoblastoms

Autor:  Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 12.05.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e96643

Das Ausbreitungsstadium des Tumors ist ein wesentliches Kriterium bei der Wahl der für den einzelnen Patienten am besten geeigneten Behandlungsmethode. Ein Retinoblastom wird daher – je nach Ausdehnung – in verschiedene Stadien unterteilt.

Für die Prognose des Patienten und somit für die Behandlungsplanung entscheidend ist zunächst die Frage, ob der Tumor nur das Auge (beziehungsweise die Augen) betrifft oder ob sich die Erkrankung bereits auf Gewebe oder Organe außerhalb des Auges / der Augen ausgebreitet hat. Die Tumorausdehnung wird immer für beide Augen getrennt beurteilt.

Entsprechend erfolgt eine Unterteilung des Retinoblastoms in die beiden folgenden Stadien:

  • intraokulares Retinoblastom: Der Tumor ist auf das Auge beschränkt, das heißt, er hat kein Gewebe außerhalb des Auges oder in anderen Teilen des Körpers befallen.
  • extraokulares Retinoblastom: Der Tumor hat sich außerhalb des Auges ausgebreitet, entweder in Nachbargewebe hinein oder in das Zentralnervensystem oder andere Teile des Körpers.

Für die Stadieneinteilung des intra- und extraokularen Retinoblastoms existieren mehrere Klassifizierungssysteme; die derzeit gebräuchlichsten (die ICRB- und IRSS-Klassifikation) werden im Anschluss vorgestellt. Eine weitere Einteilung, die TNM-Klassifikation für Retinoblastome, verbindet Informationen zur intra- und extraokularen Erkrankung.

Klassifikation von intraokularen Retinoblastomen

Liegt ein intraokulares Retinoblastom vor, erfolgt eine weitere Einteilung der Erkrankung meist nach der so genannten ABC-Klassifikation [MUR2005] [SHI2006]. Diese international gebräuchliche Klassifikation (International Classification of Retinoblastoma, ICRB, Philadelphia-Version) berücksichtigt Größe und Lage des Tumors sowie das Vorhandensein und Ausmaß einer Glaskörperaussaat (siehe auch Kapitel "Krankheitsverläufe"). Daraus ergibt sich eine Unterteilung des Retinoblastoms in fünf Krankheitsstadien (A bis E), die in der folgenden Tabelle, gemeinsam mit den jeweils in Frage kommenden Therapieoptionen, dargestellt werden.

Ausbreitungsstadien beim Retinoblastom nach der „International Classification of Retinoblastoma“ (ICRB, Philadelphia-Version) und Therapieoptionen
Stadien
Spezifische Merkmale
Therapieoptionen
A
Retinoblastom bis maximal 3 mm im Durchmesser und
ausreichend entfernt von zentralen Strukturen wie der Sehgrube (Ort des schärfsten Sehens) und der Sehnervenpapille (Austrittsstelle des Sehnervs aus dem Augapfel)
Laserkoagulation
Thermotherapie
Kryotherapie
Brachytherapie
B
Retinoblastom größer als 3 mm im Durchmesser oder
- Abstand zwischen Retinoblastom und Sehgrube 3 mm oder weniger
- Abstand zwischen Retinoblastom und Sehnervenpapille 1,5 mm oder weniger
- Netzhautablösung durch tumorbedingte Flüssigkeitsansammlung unterhalb der Netzhaut (maximal 3mm vom Tumorrand aus)
Laserkoagulation
Thermotherapie
Kryotherapie
Brachytherapie
Systemische Chemotherapie
Intraarterielle Chemotherapie
C
Abgrenzbare umschriebene Tumoren mit minimaler, lokalisierter Aussaat (unterhalb Netzhaut und/oder Richtung Glaskörper)
Systemische Chemotherapie
Intraarterielle Chemotherapie
Intravitreale Chemotherapie
(anschließend Konsolidierung)
D
große, nicht abgrenzbare Tumoren mit diffuser Ausbreitung,
Aussaat unterhalb der Netzhaut und/oder in den Glaskörper (mehr als 3 mm Durchmesser),
teilweise oder vollständige Netzhautablösung
Systemische Chemotherapie
Intraarterielle Chemotherapie
Intravitreale Chemotherapie
(anschließend Konsolidierung)
Enukleation
E
massive Tumoren, die über 50 % des Augapfels ausfüllen und/oder
krankheitsbedingtes Sekundärglaukom (grüner Start), Kontakt zur Linse, Blutung, Augapfelschrumpfung etc.
(Intraarterielle Chemotherapie)
Enukleation mit adjuvanter
systemischer Chemotherapie
bei Hochrisikofaktoren

Die ABC-Klassifikation dient vor allem der Feststellung, ob eine Augapfel-erhaltende Behandlung möglich ist oder ob der Augapfel entfernt werden muss (Enukleation). Während das Tumorstadium E meist einer Enukleation bedarf, sind/ist bei Retinoblastomen der Stadien A bis C der Einsatz lokaler Therapieformen (wie Lasertherapie, Kryotherapie oder Brachytherapie) und/oder einer Chemotherapie erfolgversprechend. Beim Tumorstadium D hängt es von bestimmten Faktoren ab (wie ein- oder beidseitiges Retinoblastom), ob eine Chemotherapie unter Erhalt des Augapfels möglich ist oder eine Enukleation durchgeführt werden muss [SHI2006] [SHI2006a].

Klassifikation von extraokularen Retinoblastomen

Hat sich die Erkrankung über die Netzhaut (Retina) hinaus ausgedehnt, erfolgt im Anschluss an die Tumorentfernung (Enukleation) eine Einteilung nach dem Internationalen Retinoblastom Staging System (IRSS) [CHA2006]. Dabei werden insbesondere die feingewebliche Diagnose der Aderhaut- und Sklerainvasion, die Infiltration des Sehnervs, eine Ausbreitung des Tumors in die Augenhöhle und das Vorliegen von Fern-Metastasen oder die Metastasierung ins Zentralnervensystem (Meningeosis) berücksichtigt. Ein Retinoblastom, das nicht enukleiert wird, entspricht dem Stadium 0 (siehe Tabelle im Anschluss).

Einteilung nach dem „International Retinoblastoma Staging System (IRSS)
Stadien
Definition
0
Patient mit konservativer Behandlung, d.h. keine Enukleation
I
Auge enukleiert, feingewebliche Untersuchung zeigt vollständige Tumorentfernung
II
Auge enukleiert, mikroskopischer Resttumor vorhanden
III
Regionale Ausbreitung:
a: in die Augenhöhle
b: in die regionalen Lymphknoten
IV
Metastasenbildung:
a: über den Blutweg (ohne ZNS-Beteilung)
b: ins Zentralnervensystem

Die IRSS-Klassifikation dient vor allem als Grundlage für Wahl der im Anschluss an die Enukleation erforderliche adjuvante Therapie.