Molekulare Diagnostik

Autor:  Dr. med. habil. Gesche Tallen, Zuletzt geändert: 20.03.2019 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e204260

Der Begriff “molekulare Diagnostik” beschreibt alle diagnostischen Methoden und Tests, die Informationen über die Erbsubstanz (Desoxyribonukleinsäure, DNA beziehungsweise Ribonukleinsäure, RNA) einer Krebserkrankungen liefern.

In der molekularen Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen mit Krebserkrankungen kommen mittlerweile “High-Tech”-Methoden zum Einsatz mit dem Ziel

  • die Krebsmerkmale (siehe Grundlagenforschung) besser zu verstehen
  • das Erkrankungsfortschreiten und Rückfälle frühzeitig zu erkennen (“Monitoring”)
  • die Eigenschaften der Krebserkrankung eines einzelnen Patienten bis ins kleinste Detail zu analysieren und auf diese Weise zielgerichtete Behandlungen zu entwickeln, die für die ganz individuellen Eigenschaften der Erkrankung sozusagen maßgeschneidert (risikoadaptiert) sind (siehe unten).
  • die herkömmliche Diagnosestellung zu präzisieren und zu ergänzen, wie zum Beispiel mit DNA-Methylierungsarrays (siehe unten).

Monitoring - Therapieüberwachung und Rückfall-Früherkennung

Molekulare Diagnostik hilft dabei, Krebszellen, die der herkömmlichen Behandlung standhalten und überleben, so genannte resistente Klone, frühzeitig zu entdecken und dadurch einem Fortschreiten oder Rückfall der Erkrankung vorzubeugen. Ein Beispiel dafür ist die Diagnostik für minimale Resterkrankung (MRD): Das Knochenmark von Kindern und Jugendlichen mit bestimmten Formen von Blutkrebs (akute lymphoblastische Leukämie) wird heutzutage zu festgelegten Zeitpunkten während und nach der Therapie routinemäßig mit hochentwickelten molekularen Methoden untersucht. Diese Methoden sind in der Lage, bestimmte molekulare Eigenschaften von resistenten Klonen (zum Beispiel typische Strukturen auf deren Zellwand) nachzuweisen und auf diese Weise eventuell verbliebene bösartige Zellen zu entdecken und frühzeitig zu behandeln.

Derzeit arbeiten die Experten daran, dass eine solche “Rückfall-Früherkennung” beziehungsweise MRD-Diagnostik auch für Kinder und Jugendliche mit anderen Krebserkrankungen möglich wird. Man weiß mittlerweile, dass sich bei zahlreichen Patienten frei treibende Krebszellen im Blut finden lassen, die sich zuvor vom Haupttumor entfernt haben. Die modernen molekularen Tests helfen dabei, sicherzustellen, dass diese abgelösten Zellen auch wirklich vom Haupttumor stammen. Dazu sollen Patienten in Zukunft regelmäßig Blutproben entnommen und auf frei treibende Krebszellen hin untersucht werden (so genannte “Flüssige Biopsie”, englisch: “Liquid Biopsy”).

Wichtig zu wissen: In der Pädiatrischen Onkologie befinden sich die meisten molekularen Diagnoseverfahren, darunter auch die “Flüssigkeitsprobe” (Liquide Biopsie), und deren Aussagekräftigkeit noch im Forschungsstadium. Werbung für eine (nach wie vor teure) Liquide Biopsie, die anderes verspricht, ist nicht als vertrauenswürdig anzusehen.

Große Herausforderungen in der Pädiatrischen Onkologie stellen heute die Rückfälle dar, denn bei etwas mehr als einem Drittel der Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland jährlich neu an Krebs erkranken (bei ca. 600 von 2000 Patienten), kehrt die Erkrankung später zurück. Zum Zeitpunkt des Rückfalls sind die herkömmlichen Therapien oft schon weitgehend ausgereizt. Die Analyse der molekularen Eigenschaften eines jeden Tumors eröffnet die neue Möglichkeit, individuell „passende“ Medikamente auszuwählen und den möglichen Effekt dieser gezielten Therapie zu überprüfen.

Präzisierung der Diagnose durch Bestimmung der Aktivität bestimmter Gene

Neben bestimmten Veränderungen in der DNA (Mutationen), die bekanntlich zur Entstehung einer Krebserkrankung beitragen sowie deren Ansprechen auf eine Behandlung beeinflussen können, sucht man heute bei der molekularen Diagnostik auch nach Veränderungen auf der DNA (epigenetische Veränderungen). Epigenetische Veränderungen können dazu führen, dass bestimmte Gene nicht ausreichend beziehungsweise zu stark aktiviert werden. Auf diese Weise kann es zu Störungen des Zellzyklus kommen.

Wichtig zu wissen: Zu schwache oder zu starke Aktivierung eines Gens führt zwar nicht wie eine Mutation zu einer fehlerhaften Erbinformation, jedoch zu einer zu schwachen beziehungsweise zu starken Informationsvermittlung.

Eine der häufigsten Formen epigenetischer Vorgänge an der DNA ist die so genannte DNA-Methylierung. Dabei handelt es sich im allgemeinen um eine gesunde chemische Reaktion, genaugenommen die unentwegte Übertragung bestimmter Atomanordnungen (Methylgruppen) an bestimmten Stellen auf der DNA, den Nukleobasen. Diese Methylierung verändert die räumliche Struktur der DNA: Sie dreht an der methylierten Stelle in ihrer kordelartigen Struktur (Doppel-Helix) auf. So kommt das betroffene Gen zum Vorschein (Genexpression) und ist jetzt aktiviert, sowie seine gespeicherte Information zur Ablese (Gen-Transkription) und Weitergabe (Gen-Translation) bereit. Gerät die Übertragung der Methylgruppen (so genannter epigenetischer Code) jedoch aus unterschiedlichen, zum Teil noch unbekannten Gründen ins Ungleichgewicht, werden manche Gene zuviel und andere zu wenig aktiviert beziehungsweise abgelesen und die Information entsprechend fehlerhaft weitergegeben. [GRO2018]

So kann es beispielsweise sein, dass aufgrund einer übermäßigen Methylierung (so genannte Hypermethylierung) eines wachstumsfördernden Gens die Botschaft „wachsen!“ „zu laut“ zum Ausdruck kommt, und daraufhin die betroffenen Zellen die Information erhalten, sich ungehemmt zu teilen. Ebenso kann zu wenig Methylierung (Hypomethylierung) und dadurch die fehlende Aktivierung eines Gens, das normalerweise für Wachstumshemmung zuständig ist, dazu führen, dass die Botschaft „nicht wachsen!“ nicht „gehört“ wird. Auch in dieser Situation ist ungehemmtes Wachstum die Folge.

Wichtig zu wissen: Man weiß heute, dass Veränderungen des DNA-Methylierungsmusters (Methylierungsstatus) einer Zelle Ursachen für Fehlregulationen im Zellzyklus sein können, die eine Zelle bösartig entarten lassen.

Deshalb hilft die Kenntnis von bestimmten epigenetischen Veränderungen, insbesondere dem Methylierungsstatus, in Tumorzellen oft dabei, mehr über einen Tumor zu erfahren und so eine genauere Diagnose zu stellen. Insbesondere Tumoren, die unter dem Mikroskop gleich aussehen, aber klinisch ein unterschiedlich aggressives Verhalten zeigen (unterschiedlich auf die Behandlungen ansprechen), können hiermit im Vorfeld zuverlässig unterschieden und die Therapie entsprechend individueller geplant werden.

Gut zu wissen: Zur präziseren Einteilung von Hirntumorerkrankungen wurde ein DNS-Methylierungsarray erfolgreich entwickelt, das ab 2019 auch bei der Behandlungsplanung für Kinder und Jugendliche mit Hirntumoren routinemäßig zum Einsatz kommen wird. Dieselbe Technologie befindet sich für die Klassifizierung von anderen bösartigen Erkrankungen, zum Beispiel von Sarkomen, im Aufbau.