Prognosefaktoren: Wichtige Kriterien für die Behandlungsplanung
Autor: Maria Yiallouros, Dr. med. habil. Gesche Tallen, Zuletzt geändert: 29.04.2020 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e85900
Inhaltsverzeichnis
Weitere wichtige Faktoren, die die Prognose der Erkrankung beeinflussen (sie werden daher als Risikofaktoren oder Prognosefaktoren bezeichnet), sind zum Beispiel:
- Die Lage des Tumors im Zentralnervensystem (Tumorlokalisation)
- Das Ausmaß der chirurgischen Tumorentfernung (Ausmaß der Resektion)
- Der Schweregrad der tumorbedingten Symptome
- Fortschreitendes Tumorwachstum (Progression)
- Das Alter des Patienten
- Das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen einer Neurofibromatose Typ I (NF I)
Die oben genannten Prognosefaktoren dienen als Hauptkriterien bei der Planung der Therapie: Die Tumorlokalisation bestimmt im Wesentlichen die Operabilität eines Tumors, während alle weiteren prognostischen Faktoren wichtige Kriterien für die Behandlungsplanung nach oder an Stelle einer Operation darstellen. Sie entscheiden darüber, ob und, wenn ja, welche Form der nicht-chirurgischen Therapie bei nicht vollständiger oder nicht durchführbarer Tumorentfernung in Frage kommt [GNE2018] [GNE2012] [OPO2006] [STO2010] [WIS2011].
Lage des Tumors im Zentralnervensystem (Tumorlokalisation)
Die Lage des Tumors im Zentralnervensystem ist, abgesehen von seinem Wachstumsverhalten und seiner Größe, einer der wichtigsten Prognosefaktoren, denn er ist ausschlaggebend dafür, ob der Tumor operiert werden kann und wenn ja, ob durch die Operation eine vollständige oder nur eine teilweise Tumorentfernung (Resektion) erzielt werden kann.
Niedrigmaligne Gliome kommen in allen Bereichen des Zentralnervensystems vor. Je nach Tumorsitz unterscheidet man vor allem niedrigmaligne Gliome der Großhirnrinde, des Kleinhirns, des Zwischenhirns, der Sehbahn, des Thalamus, des unteren Hirnstamms und des Rückenmarks. Es kommt auch vor, dass ein Tumor von seinem Ursprungsort aus in andere Bereiche des Zentralnervensystems streut (Disseminierung) oder dass von Anfang an Tumoren in unterschiedlichen Hirnarealen vorliegen (multifokales niedrigmalignes Gliom).
Durch die genaue Kenntnis des Tumorsitzes ist es möglich, den Erfolg eines chirurgischen Eingriffes und die Notwendigkeit anderer Behandlungsmaßnahmen bereits im Vorfeld einschätzen. Tumoren des Groß- und Kleinhirns lassen sich oft vollständig entfernen, während Tumoren in anderen Hirnbereichen meist nur teilweise oder gar nicht operativ entfernt werden können und infolgedessen häufig mit Chemotherapie oder Strahlentherapie behandelt werden müssen.
Ausmaß der chirurgischen Tumorentfernung (Resektion)
Das Ausmaß einer chirurgischen Tumorentfernung (Resektion) ist im Wesentlichen von Lage, Größe und Wachstumsverhalten des Tumors abhängig und stellt einen wichtigen Prognosefaktor und somit auch ein Kriterium für die Planung der Behandlung im Anschluss oder an Stelle einer Operation dar.
Eine vollständige Tumorentfernung, wie sie bei einem Großteil der Patienten mit Tumoren der Großhirnrinde und des Kleinhirns erfolgen kann, ist – ohne weitere Behandlungsnotwendigkeit – mit einer guten Prognose verbunden. Unvollständige Tumorentfernungen in diesen Hirnbereichen führen hingegen besonders in den ersten Jahren zu einem fortschreitenden Tumorwachstum (Progression), wobei sich die Größe des Resttumors auf die Geschwindigkeit dieses Tumorwachstums auswirkt. Die Wahrscheinlichkeit für die Notwendigkeit einer nicht-chirurgischen Therapie nimmt hier also mit der Größe des verbliebenen Tumors zu.
Tumoren in anderen Hirnbereichen können meist nicht vollständig entfernt werden und bedürfen daher auch in der Regel häufiger einer nicht-chirurgischen Behandlung. Die Größe des (Rest-)Tumors spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Schweregrad tumorbedingter Symptome und fortschreitendes Tumorwachstum (Progression)
Das Auftreten schwerer neurologischer und klinischer Symptome sowie ein fortschreitendes Tumorwachstum (Tumorprogression) bei einem nicht (vollständig) entfernten Tumor sind in der Regel ausschlaggebend für den Beginn einer nicht-chirurgischen Therapie (Strahlentherapie oder Chemotherapie). Ein Tumor, der keine Zeichen eines Tumorwachstums beziehungsweise keine behandlungsbedürftigen Symptome zeigt, kann vorerst nur beobachtet werden.
Alter des Patienten
Das Alter des Patienten ist ein wichtiges Kriterium bei der Entscheidung, ob im Anschluss oder an Stelle einer Operation eine Strahlentherapie durchgeführt werden kann oder nicht.
Es hat sich nämlich gezeigt, dass jüngere Patienten aufgrund der noch nicht vollständig abgeschlossenen Gewebeentwicklung in Gehirn und Rückenmark besonders empfindlich gegenüber einer Bestrahlung sind: Neben Funktionsausfällen des Gehirns, Entwicklungsstörungen und einer Intelligenzminderung besteht auch das Risiko, einen Zweittumor zu entwickeln. Dieses Wissen wird bei der Planung der nicht-chirurgischen Therapie berücksichtigt: Für Patienten unter fünf Jahren ist eine Strahlentherapie in aller Regel nicht vorgesehen, wobei in verschiedenen Therapiestudien unterschiedliche Altersangaben gelten.
Gemäß den aktuellen Empfehlungen der Studienzentrale, die sich an den bewährten Therapiestandards der abgeschlossenen Therapieoptimierungsstudie SIOP-LGG 2004 orientieren, erhalten Patienten unter acht Jahren im Rahmen der Erstbehandlung in aller Regel keine Strahlentherapie, sondern eine Chemotherapie. Die Wahl dieser Behandlungsform dient vor allem der Vermeidung irreversibler Folgeschäden und somit der Erhaltung der Lebensqualität des Patienten. Patienten über acht Jahren erhalten in der Regel eine Strahlentherapie. Sonderregelungen gelten für Patienten mit einer Neurofibromatose Typ I (siehe unten).
Vorliegen oder Nicht-Vorliegen einer Neufibromatose Typ I (Neurofibromatose-Status)
Patienten mit einer Neurofibromatose Typ I (NF I) werden in der Regel als therapeutische Sondergruppe angesehen.
Erfahrungen haben nämlich gezeigt, dass sich niedrigmaligne Gliome bei Patienten mit einer Neurofibromatose Typ I (NF I) häufig anders verhalten als niedrigmaligne Gliome bei Patienten ohne Neurofibromatose. Dies betrifft sowohl den natürlichen Verlauf der Erkrankung als auch das Ansprechen des Tumors auf Behandlungsformen wie Strahlentherapie und Chemotherapie.
So werden bei Patienten mit NF I zum Beispiel gehäuft Gliome der Sehbahn (Optikusgliome) diagnostiziert, die sehr oft progressionsfrei verlaufen, das heißt, nur ein begrenztes Wachstum aufweisen und daher auch bei nicht vollständiger Tumorentfernung über lange Zeit stabil bleiben können. In Einzelfällen werden sogar spontane Tumorrückbildungen beobachtet. Vorläufige Studienergebnisse deuten darüber hinaus darauf hin, dass bei Patienten mit NF I mit einer Chemotherapie besonders günstige Ergebnisse erreicht werden. Hingegen reagieren diese Patienten besonders empfindlich auf eine Strahlentherapie. Da häufig bereits infolge der Grunderkrankung geistige Entwicklungsverzögerungen auftreten, sind die Spätfolgen einer Bestrahlungsbehandlung bei diesen Patienten besonders schwerwiegend. Bei ausgedehnten Sehbahngliomen wird aus diesem Grund meist auf eine Strahlentherapie bei der Erstbehandlung verzichtet.
Im Rahmen der aktuellen Therapieempfehlungen wird bei der Behandlungsplanung immer berücksichtigt, ob beim Patienten eine Neurofibromatose Typ I vorliegt oder nicht: Patienten mit NF I erhalten, sofern eine nicht-chirurgische Behandlung notwendig werden sollte, zunächst immer eine Chemotherapie. Auf diese Weise sollen die Strahlentherapie und die damit verbundenen Spätfolgen und Komplikationen vermieden werden.
Gut zu wissen: Welche der oben genannten Prognosefaktoren bei der Einteilung der Patienten in Behandlungsgruppen (Stratifizierung) und, damit einhergehend, bei der Therapieplanung berücksichtigt werden, hängt vom jeweiligen Behandlungsplan (Therapieprotokoll) ab, nach welchem der Patient behandelt wird.
Ein Großteil der Patienten mit niedrigmalignem Gliom wird im Rahmen von Therapie(optimierungs)studien behandelt. Die im Rahmen der derzeitigen Empfehlungen gemäß Studienzentrale berücksichtigten Prognosefaktoren sowie die sich daraus ergebenden Patientengruppen und Behandlungszweige (die auf der Studie SIOP-LGG 2004 basieren) finden Sie im Kapitel "Therapiestudien / Register".