Spätfolgen am Herzen

Autor:  Christine Vetter, Maria Yiallouros, Redaktion:  Maria Yiallouros, Freigabe:  Prof. Dr. med. Thorsten Langer, Zuletzt geändert: 23.04.2025 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e131735

Einleitung

Die Aufgabe des Herzens besteht vor allem darin, kontinuierlich Blut durch das Kreislaufsystems des Körpers zu pumpen. Auf diese Weise werden einerseits Organe und Gewebe mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, andererseits Kohlendioxid und Stoffwechsel-Schlacken abtransportiert.

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Das Herz vollbringt dabei eine nahezu unvorstellbare Leistung: Im Durchschnitt schlägt es 60 bis 80 Mal pro Minute und befördert dabei vier bis sechs Liter Blut durch die Gefäße. Das sind rund 7.500 Liter pro Tag. Das ist nur möglich dank einer starken Muskulatur in den unterschiedlichen Herzbereichen (linker und rechter Vorhof sowie linke und rechte Hauptkammer), die sich in regelmäßigen Abständen zusammenzieht und erschlafft und dadurch das Blut aus den Herzkammern in die Lunge und in den Körper pumpt.

Mögliche Ursachen und Krankheitsbilder

Sowohl eine Chemotherapie mit bestimmten Medikamenten als auch eine Strahlentherapie im Brustbereich können das Herz schädigen. Wenn beide Therapieformen in Kombination eingesetzt werden, erhöht sich das Risiko einer Herzschädigung.

Zu den Spätfolgen für das Herz zählen zum Beispiel koronare Herzerkrankungen, Herzrhythmusstörungen, Herzmuskelerkrankungen (Kardiomyopathien) und strukturelle Veränderungen des Herzens. Besonders „ältere" Patienten mit einer seit Langem zurückliegenden intensiven Therapie haben ein hohes Risiko für Herzerkrankungen [SCH2017d‎].

Chemotherapie

Bestimmte Medikamente, die bei der Chemotherapie verwendet werden, können die Herzmuskelzellen zerstören oder schädigen. In erster Linie sind hier die so genannten Anthrazykline zu nennen, eine Gruppe hochwirksamer Zytostatika, die in der Kinderkrebsheilkunde vor allem bei Leukämien, Lymphomen und Sarkomen erfolgreich eingesetzt werden.

Bei einem kleinen Teil der Patienten kommt es nach einer Behandlung mit Anthrazyklinen zu Erkrankungen des Herzmuskels, so genannten Kardiomyopathien, die im Laufe der Zeit zu einer nachlassenden Funktion des Herzens führen können. Dies gilt vor allem dann, wenn hohe Anthrazyklin-Dosen bei der Therapie eingesetzt wurden. Am häufigsten ist hier das Krankheitsbild der so genannten dilatativen Kardiomyopathie.

Die dilatative Kardiomyopathie ist eine Herzmuskelerkrankung, die mit einer Erweiterung der Herzkammern und somit einer Vergrößerung des Herzens einhergeht. Ein derart vergrößertes Herz kann sich nicht mehr wie ein gesundes Herz zusammenziehen, so dass die Pumpleistung des Herzens abnimmt und der Körper nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt wird. Man spricht dann auch von einer Herzschwäche oder Herzinsuffizienz. Eine solche Herzinsuffizienz entwickelt sich meist nicht von heute auf morgen und zeigt sich in der Regel auch nicht unmittelbar nach der Therapie, sondern erst 10 bis 20 Jahre später.

Das Herz ist besonders empfindlich, solange es sich noch im Wachstum befindet. Aus diesem Grund sind junge Kindern besonders betroffen. Mädchen erkranken häufiger als Jungen. Die schädigende Wirkung der Anthrazykline für das Herz (Kardiotoxizität) hängt von der genetischen Veranlagung des Patienten sowie von der Dosis, Verabreichungsform und chemischen Struktur der eingesetzten Substanzen ab. Eine Bestrahlung im Bereich der Lunge oder des Mediastinums kann die Wirkung der Anthrazykline verstärken.

Neben den Anthrazyklinen können auch einzelne andere Zytostatika Schäden am Herzen verursachen, vor allem wenn sie in hoher Dosierung verabreicht werden. Das gilt zum Beispiel für Cyclophosphamid, wenn es hoch dosiert im Rahmen einer Hochdosis-Chemotherapie vor Stammzelltransplantation verabreicht wird. Auch das Medikament Arsentrioxid kann Störungen hervorrufen (Herz-Rhythmus-Störungen). Es wird bei der akuten Promyelozytenleukämie (APL) eingesetzt, einer Unterform der akuten myeloischen Leukämie (AML). Cisplatin sowie Proteinkinaseinhibitoren, welche die Blutgefäßneubildung (Angiogenese) in und um einen Tumor herum blockieren, können langfristig zu erhöhtem Blutdruck führen; Proteinkinaseinhibitoren können auch an der Entstehung einer Kardiomyopathie beteiligt sein.

Strahlentherapie

Eine Bestrahlung im Brustbereich ist – je nach Strahlendosis – ebenfalls mit einem Risiko für langfristige Spätfolgen verbunden. Denn sie kann zu Entzündungen des Herzbeutels, des Herzmuskels und der Blutgefäße des Herzens führen.

Die Herzgefäße (zum Beispiel die Halsschlagader oder Herzkranzgefäße) können aufgrund solcher entzündlichen Prozesse langfristig anfälliger für arteriosklerotische Veränderungen [siehe Arteriosklerose] und folglich für Durchblutungsstörungen und Thrombosen sein. Dadurch ist das spätere Herzinfarktrisiko leicht erhöht. Durch strahlenbedingte Entzündungen kann es außerdem zu Veränderungen („Vernarbungen“) der Herzklappen und zu Störungen der Erregungsleitung (Herzrhythmusstörungen) kommen [SCH2010d].

Das Risiko von kardiovaskulären (das heißt, das Herz und Gefäßsystem betreffenden) Erkrankungen erhöht sich bei gleichzeitiger Chemotherapie, insbesondere in Kombination mit Anthrazyklinen.

Symptome einer Herzschädigung

Veränderungen des Herzmuskels und entsprechende Störungen der Herzfunktion zeigen sich oft erst nach einer gewissen Zeit und auch dann oft langsam und schleichend. Aus diesem Grund kann eine beginnende Herzmuskelerkrankung bei vielen Patienten zunächst unbemerkt bleiben. Mit Fortschreiten der Erkrankung machen sich allerdings verschiedene Beschwerden bemerkbar. Charakteristische Symptome einer dilatativen Kardiomyopathie beispielsweise sind Müdigkeit (Fatigue), Atemnot (insbesondere nach körperlicher Anstrengungen), Bluthochdruck und Wassereinlagerungen im Gewebe (Ödeme). Auch zu Herzrhythmusstörungen kann es kommen; das ist aber nur sehr selten der Fall.

Auch eine Schädigung des Herzbeutels, der Herzklappen oder Durchblutungsstörungen des Herzens durch verengte Herzkranzgefäße (koronare Herzerkrankung) können sich unter anderem durch Müdigkeit und Schwäche, Husten und Atemnot bemerkbar machen. Eine koronare Herzerkrankung kann auch mit Schmerzen im Brustbereich, Herzrhythmusstörungen und Schwitzen einhergehen.

Risikofaktoren auf einen Blick

Wie hoch das Risiko einer Herzschädigung als Folge der Krebstherapie ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ein erhöhtes Risiko besteht zum Beispiel:

  • bei einer Behandlung mit bestimmten Zytostatika, insbesondere den Anthrazyklinen [Doxorubicin = Adriamycin, Daunorubicin, Epirubicin, Mitoxantron, Idarubicin und Amsacrin], aber auch bei Behandlung mit Cyclophosphamid, Arsentrioxid (eingesetzt bei der akuten Promyelozytenleukämie), Cisplatin und Proteinkinase-Inhibitoren
  • bei einer hohen Dosierung dieser Zytostatika
  • bei einer Strahlentherapie im Brustbereich, die das Herz miterfasst (vor allem bei Strahlendosen ab 25 Gray)
  • bei Patienten, die bei der Tumorbehandlung jünger als fünf Jahre alt sind
  • bei Vorliegen eines angeborenen Herzfehlers
  • bei Übergewicht
  • bei Rauchern

Ein Blick in die Forschung: Die Zusammenhänge zwischen Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter und Spätfolgen für das Herz-Kreislauf-System wurden im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte weiter untersucht (Beispiel CVSS-Studie der Uni Mainz und die europäische PanCareSurFup-Studie) [FAB2018] [FEI2021]. Das Ziel dieser Studien war es, die Kenntnisse über das Zusammenwirken der verschiedenen Risikofaktoren besser zu verstehen und dadurch zu einer Verbesserung der Nachsorgeempfehlungen und, soweit möglich, auch zur Entwicklung nebenwirkungsärmerer Therapien beizutragen.

Bei welchen Krebskrankheiten kann es therapiebedingt zu Spätfolgen am Herzen kommen?

Patienten, die im Rahmen ihrer Krebsbehandlung eine Chemotherapie mit Anthrazyklinen, hoch dosiertem Cyclophosphamid, Arsentrioxid (selten) und/oder eine Strahlentherapie im Brustbereich erhalten, müssen auf lange Sicht unter Umständen mit einer Herzschädigung rechnen. Die genannten Therapien werden derzeit vor allem bei folgenden Krebserkrankungen angewandt:

Wichtig zu wissen: Jeder Patient wird individuell behandelt, das heißt, nicht in jedem der genannten Krankheitsfälle werden Anthrazykline, hoch dosiertes Cyclophosphamid und/oder Bestrahlung gegeben. Auch führt nicht jede Strahlentherapie und jede Anthrazyklin- beziehungsweise Cyclophosphamidbehandlung notgedrungen zu Spätfolgen. Die Höhe der Medikamenten- und Strahlendosis spielt dabei eine entscheidende Rolle. Auch die persönliche Konstitution und Veranlagung des Patienten kann von Bedeutung sein.

Fragen Sie Ihr Behandlungsteam, ob bei Ihnen beziehungsweise Ihrem Kind durch die Therapie ein erhöhtes Risiko für eine Herzerkrankung besteht.

Nachsorgeempfehlungen

Überlebende einer Krebserkrankung, die eine Behandlung mit Anthrazyklinen, eine Strahlentherapie im Brustbereich oder eine Kombination beider Therapien erhalten haben, sollten im Auge behalten, dass das Risiko für eine Herzmuskelerkrankung und andere Beeinträchtigungen der Herzfunktion erhöht sein können.

Störungen der Herzfunktion zeigen sich manchmal schon während oder kurz nach Ende der Tumortherapie. Meist entwickeln sie sich jedoch erst eine gewisse Zeit nach Abschluss der Behandlung. Da sich die Veränderungen oft langsam und schleichend ergeben, sind im Bedarfsfall regelmäßige Untersuchungen des Herzens und seiner Funktion im Rahmen der Nachsorge wichtig.

Ob eine regelmäßige Überwachung des Herzens erforderlich ist und wenn ja, in welchen Abständen, hängt vor allem von der Art und Intensität der Therapie (Zytostatika-/Strahlentherapiedosen, Kombinationstherapie) und somit von Art und Risiko einer Herzerkrankung ab. Je höher das Risiko für eine Herzmuskelerkrankung (Kardiomyopathie) oder eine andere Herzkrankheit (beispielsweise Schädigung der Herzklappen / des Herzbeutels oder eine koronare Herzerkrankung) ist, umso häufiger finden in der Regel Nachsorgeuntersuchungen statt; bei geringem Risiko werden Untersuchungen nur im Bedarfsfall, also zum Beispiel bei Auftreten von Symptomen, empfohlen.

So sollte, beispielsweise, bei Patienten mit einem hohen Risiko für eine Kardiomyopathie die erste Herzuntersuchung spätestens zwei Jahre nach Ende der Therapie und anschließend lebenslang alle zwei Jahre stattfinden. Bei Patienten mit moderatem Kardiomyopathie-Risiko reicht, nach der Erstuntersuchung, eine anschließende lebenslange Kontrolle im Abstand von jeweils fünf Jahren. Für Patienten mit geringem Risiko hingegen ist eine regelmäßige Überwachung im Rahmen der Nachsorge nicht erforderlich. Ausführliche Informationen zur Definition der Risikoklassen und zu entsprechenden Nachsorgeempfehlungen erhalten Sie in der Leitlinie der International Guideline Harmonisation Group (IGHG-Leitlinie) zum Thema Kardiomyopathie im Anschluss [EHR2023].

Cardiomyopathy surveillance recommendation 2022 (IGHG) (302KB)
Empfehlungen zur Kardiomyopathie-Nachsorge der IGHG (englischsprachig)

Auch bei anderen Herzerkrankungen (wie Schädigung der Herzklappen oder des Herzbeutels, koronarer Herzerkrankung) finden Nachsorgeuntersuchungen, abhängig von der Intensität der Behandlung und dem daraus resultierenden Krankheitsrisiko, in Abständen von drei bis fünf Jahren statt beziehungsweise nach Bedarf bei Symptomen.

Achten Sie auf die Einhaltung der empfohlenen Kontrolltermine!

Nachsorgeuntersuchungen

Zu den wichtigsten Diagnosemethoden gehören die Elektrokardiographie (EKG) und die Echokardiographie, also eine Ultraschalluntersuchung des Herzens (oft auch Herzecho genannt). Beide Untersuchungen sind nicht schmerzhaft, belasten den Organismus nicht und sind ihrerseits nicht mit gesundheitlichen Risiken verbunden.

Um eine Herzmuskelerkrankung bei ehemaligen Krebspatienten möglichst frühzeitig zu erkennen, werden neben den erwähnten Standard-Diagnoseverfahren teilweise weitere Untersuchungsmethoden angewendet. Dazu gehören beispielsweise Gewebedoppler-Untersuchungen des Herzmuskels. Es handelt sich dabei um eine neue und sensitive Ultraschalltechnik, die eine sehr genaue und direkte Untersuchung des Herzmuskels ermöglicht und auf diese Weise Funktionsstörungen früh erkennbar macht. Auch bestimmte Substanzen im Blut (so genannte Biomarker wie die Eiweiße Troponin T und Brain Natriuretic Peptide, kurz BNP) können frühzeitig und verlässlich auf Herzerkrankungen hinweisen, wenn sie in erhöhter Konzentration vorliegen.

Nach einer Bestrahlung im Brustbereich kann auch eine Röntgenuntersuchung der Lunge angezeigt sein. Weitere Untersuchungen können hinzukommen.

Vorbeugung von Spätfolgen am Herzen

Gut zu wissen: Patienten, die aufgrund ihrer Behandlung ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung haben, sollten darauf achten, dass sie zusätzliche Risikofaktoren vermeiden. Dazu zählen zum Beispiel das Rauchen, Übergewicht und zu wenig Bewegung.

Ratsam sind eine gesunde Ernährung und regelmäßige sportliche Betätigung, allerdings kein Leistungssport. Wer auf Leistungssport nicht verzichten möchte, sollte vorab auf jeden Fall einen Arzt konsultieren. Eine ärztliche Konsultation empfiehlt sich auch vor einer Geburt, die so schonend wie möglich verlaufen soll. Darüber hinaus sollten Krankheiten wie Diabetes, erhöhter Blutdruck oder erhöhte Cholesterinwerte konsequent behandelt werden.

Mit all diesen Maßnahmen lässt sich das Gesamtrisiko für Herz-​ und Gefäßkrankheiten nach einer Krebsbehandlung vermindern.

Behandlung von Spätfolgen am Herzen

Wenn trotz vorbeugender Maßnahmen und regelmäßiger ärztlicher Kontrollen eine Herzmuskelerkrankung oder gar eine Herzinsuffizienz (Herzschwäche) auftritt, können verschiedene Medikamente unter Umständen zu einer Besserung beitragen. Zum Einsatz kommen zum Beispiel Beta-Blocker, ACE-Hemmer, Diuretika und Digitalispräparate. Offizielle Therapieempfehlungen gibt es derzeit noch nicht.

Basisliteratur

  1. Schuster S, Hahn B, Beck JD, Calaminus G, Timmermann B, am Zehnhoff-Dinnesen A, Gebauer I, Langer T: Langzeit-Nachsorge von krebskranken Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – Vermeiden, Erkennen und Behandeln von Spätfolgen. AWMF online 025/003, 4/2021 [URI: https://register.awmf.org/ assets/ guidelines/ 025-003l_S1_Langzeit-Nachsorge-von-krebskranken-Kindern-Jugendlichen-jungen-Erwachsenen%E2%80%93Vermeiden-Erkennen-Behandeln-Spaetfolgen_2021-05.pdf] SCH2021
  2. Langer T, Meitert J, Dörr H-G, Beck J-D, Paulides M: Langzeitfolgen von onkologischen Erkrankungen bei Kindern - Erkennen, Vermeiden und Behandeln von Spätfolgen. Im Focus Onkologie 7-8, 2011 [URI: http://www.nachsorge-ist-vorsorge.de/ wp-content/ uploads/ 2013/ 06/ Erkennen-Vermeiden-und-Behandeln-von-Spätfolgen.pdf] LAN2011