Schmerzbehandlung mit Medikamenten

Autor:  Dr. med. Gesche Riabowol (nee Tallen), Redaktion:  Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 23.02.2024 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e172625

Die medikamentöse Behandlung von Schmerzen richtet sich danach, wie diese vom Patienten empfunden werden, das heißt, sie basiert letztlich auf Stärke, Ort, Zeitpunkt und Dauer der Schmerzen, die anhand der Schmerzmessung erfasst und bewertet werden (siehe Kapitel „Schmerzmessung“). Diese Schmerzen sollen beseitigt oder zumindest so stark wie möglich gelindert werden. Dazu müssen die Medikamente altersentsprechend und ausreichend dosiert sein und ihre Einnahme rechtzeitig erfolgen, am besten nach einem festen Zeitplan. Außerdem muss auf mögliche unerwünschte Nebenwirkungen der Medikamente geachtet werden.

Wichtig zu wissen: Auswahl und Dosierung der Schmerzmittel (Analgetika), richten sich zum einen nach den verschiedenen Eigenarten der Schmerzen (siehe oben), zum anderen nach dem individuellen Zustand des Patienten.

Der Arzt orientiert sich dabei meist an dem allgemein anerkannten Stufenschema der Schmerzbehandlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (siehe Grafik im Anschluss). Darüber hinaus gibt es Medikamente für den Extrabedarf, zum Beispiel bei plötzlich stärker werdenden Schmerzen.

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Abbildung: © kinderkrebsinfo.de

Behandlung von schwachen Schmerzen

Die Behandlung von Schmerzen, die als schwach empfunden werden, erfolgt gemäß WHO-Stufe I mit einem sogenannten Nicht-Opioid. Schmerzmedikamente aus der Gruppe der Nicht-Opioide die Aufnahme von Schmerzreizen in den Nervenbahnen. Einzelheiten zu ihren Wirkmechanismen werden derzeit noch erforscht. Die meisten Nicht-Opioide können als Tablette, Saft, Zäpfchen oder auch intravenös (i.v.) verabreicht werden. Nicht-Opioide, die bei der Schmerzbehandlung krebskranker Kindern und Jugendlicher zum Einsatz kommen, werden im Folgenden beispielhaft (das heißt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit!) aufgeführt.

Paracetamol

Paracetamol wird regelmäßig zur Behandlung von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen verabreicht. Die Nebenwirkungen von Paracetamol sind bei fachgerechter Anwendung gering.

Wichtig zu wissen: Paracetamol-Überdosierungen sind die häufigste Ursache von Leberversagen bei Kindern. Da die Leberfunktion bei Kindern und Jugendlichen mit Krebserkrankungen oft eingeschränkt ist, sollte eine Schmerzbehandlung mit diesem Medikament nur vom zuständigen Arzt veranlasst und überwacht werden.

Ibuprofen und Diclofenac

Ibuprofen und Diclofenac gehören zur Gruppe der nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR), so benannt, weil sie (wie Glukokortikoide) besonders bei der Behandlung von rheumatischen Schmerzen Anwendung finden. Kinder und Jugendliche mit Krebserkrankungen, bei denen die Zahl der Blutplättchen erniedrigt und/oder die Nieren-und Leberfunktion eingeschränkt ist, sollten NSAR nicht oder nur in angepassten Dosierungen erhalten. Eine häufige unerwünschte Nebenwirkung von NSAR sind Magenschmerzen.

Metamizol

Metamizol wird häufig mit schwachen oder starken Opioiden (siehe Folgekapitel) kombiniert. Man geht davon aus, dass auf diese Weise die Menge an Opioiden und folglich deren Nebenwirkungen minimiert werden können. Metamizol wirkt besonders gut gegen krampfartige Bauchschmerzen. Wichtige unerwünschte Nebenwirkungen sind Überempfindlichkeitsreaktionen, Allergien und, wenn auch selten, ein Knochenmarksversagen (Agranulozytose) sowie Beeinträchtigungen der Kreislauffunktion. Patienten mit instabilem Kreislauf erhalten deshalb kein Metamizol zur Schmerztherapie.

Wichtig zu wissen: Keine Acetylsalicylsäure (ASS) für Kinder und Jugendliche mit Krebserkrankungen! Eine Schmerzbehandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS) wird bei Kindern wegen der Gefahr der Auslösung eines Reye-Syndroms grundsätzlich nicht durchgeführt. Außerdem erzeugt ASS bei jedem Menschen eine tagelange Störung der Blutstillung. Da viele krebskranke Kinder auch in der Palliativsituation durch die vorangegangene Chemotherapie anhaltend zu wenige Blutplättchen aufweisen können, sollte ASS bei ihnen auf keinen Fall eingesetzt werden.

Ist die Schmerzlinderung mit Nicht-Opioiden nicht ausreichend, ist eine Behandlung nach WHO-Stufe II, bei manchen Patienten auch gleich nach WHO-Stufe III (siehe Abbildung oben) angezeigt.

Behandlung von mittelstarken und starken Schmerzen mit Opiaten/Opioiden

Zur Behandlung von mittelstarken und starken Schmerzen werden Opioide und Opiate eingesetzt; sie hemmen die Schmerzleitungen im Gehirn und im Rückenmark. Die meisten von ihnen können geschluckt, über ein spezielles Pflaster oder intravenös (i.v.) verabreicht werden. Bekannte schwache beziehungsweise starke Opioide/Opiate, mit denen bei der Schmerzbehandlung von krebskranken Kindern und Jugendlichen bereits viel Erfahrung besteht, sind beispielsweise Tramadol und Morphin.

Umgang mit unerwünschten Nebenwirkungen

Das Nebenwirkungsprofil einzelner Opioide/Opiate kann von Patient zu Patient sehr verschieden sein. Auch die Häufigkeit, mit der Nebenwirkungen auftreten, variiert. Zu den unerwünschten Opioid-Nebenwirkungen, die häufiger vorkommen, gehören insbesondere:

  • Verstopfung (Obstipation): Verstopfung ist die häufigste unerwünschte Nebenwirkung einer Opioid-Behandlung. Die regelmäßige Gabe von Abführmitteln (zum Beispiel in Zäpfchenform) hilft dabei, einer Obstipation vorzubeugen oder diese zu behandeln.
  • Übelkeit und Erbrechen (Nausea): Diese Beschwerden kommen hauptsächlich in der Anfangszeit einer Schmerztherapie mit Opioiden vor. Für ältere Kinder (über 12 Jahren) besteht die Möglichkeit, der Übelkeit mit bestimmten Medikamenten (sogenannten Antiemetika) vorzubeugen, die zeitnah mit dem Opioid verabreicht werden.
  • Harnverhalt: Ein Harnverhalt kommt, außer bei ganz kleinen Kindern, insgesamt eher selten vor, kann jedoch bei den Betroffenen zu Panik führen. Oft helfen beruhigende Worte, ein nasser Waschlappen auf der Haut über der Harnblasenregion oder das Geräusch eines laufenden Wasserhahns. Bleiben diese Maßnahmen erfolglos, kann der Harnverhalt bei Jugendlichen medikamentös (zum Beispiel mit Distigminbromid) oder, insbesondere bei jüngeren Kindern, durch eine einmalige Katheterisierung mittels Blasenkatheter behandelt werden.
  • Opioid-bedingte Müdigkeit (Sedierung): Eine Sedierung durch Opioide tritt meist zu Beginn, manchmal jedoch auch während der Dauertherapie oder bei Dosisanpassungen auf. Das Risiko für eine solche Sedierung ist bei Patienten mit eingeschränkter Nieren- und/oder Leberfunktion erhöht. Bei ihnen werden andere starke Opioide (zum Beispiel Buprenorphin) dem Morphin vorgezogen.
  • Gesteigerte Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie): Eine Hyperalgesie kann bei manchen Patienten nach einiger Zeit der Morphinbehandlung auftreten. Die Betroffenen geben dann mit jeder Steigerung der Opioid-Dosis mehr Schmerzen an oder werden stark berührungsempfindlich. Bei diesen Patienten ist dann eine Verringerung der Opioid-Dosis, eine andere Verabreichungsform oder ein Wechsel des Opioids angezeigt.

Selten und hauptsächlich nach intravenösen Verabreichungen starker Opioide/ Opiate kommt es zu niedrigem Blutdruck, Juckreiz, Störungen der Atmung (Atemdepression) und, bei Allergikern, zu Asthmaanfällen. Ebenfalls nicht häufig im Rahmen einer Opioid-Schmerztherapie bei Kindern sind psychische Veränderungen, wie Hochstimmung (Euphorie), Verwirrtheit, Albträume oder Halluzinationen, sowie Mundtrockenheit oder Schwitzen. Kommt es jedoch zu solchen Nebenwirkungen, ist es zum Beispiel möglich, die aktuelle Opioid-Dosis zu verringern, das Medikament in anderer Form zu verabreichen oder ein anderes Opioid (beispielsweise Methadon oder Hydromorphon) einzusetzen.

Körperliche Gewöhnung an Opioide/Opiate

Viele Eltern, größere Kinder und Jugendliche sowie manchmal auch Mitglieder im Behandlungsteam scheuen die Behandlung mit Morphin, weil sie Sorge haben, dass der Patient davon drogensüchtig wird. Diese Angst ist jedoch unbegründet.

Gut zu wissen: Morphinpräparate können Schmerzen bei krebskranken Kindern und Jugendlichen erfolgreich lindern und meist sogar komplett beseitigen. Dabei ist die Angst vor einer Suchtentwicklung unbegründet, weil der Organismus von Schmerzpatienten ganz anders auf Opioide reagiert als der Organismus von Menschen, die nicht an Schmerzen leiden: Bei fachgerechtem Einsatz gegen Schmerzen erzeugen Morphinpräparate keinen Rausch und demnach auch nicht den Drang zum Substanzmissbrauch.

Quelle: Elternbroschüre "Weniger Schmerzen bei Krebserkrankungen"

Nach einer gewissen Behandlungszeit mit Opioiden/Opiaten kann es allerdings zu einer vorübergehenden körperlichen Gewöhnung kommen. In der Folge nehmen bestimmte Nebenwirkungen dieser Substanzen (wie beispielsweise Übelkeit) ab, nicht jedoch deren schmerzlindernde Wirkung. Diese bleibt bei einer fachgerechten Behandlung während der gesamten Behandlungsdauer gleich.

Aufgrund der körperlichen Gewöhnung darf eine Opioid-Behandlung allerdings nicht abrupt beendet werden. Stattdessen werden die täglichen Gaben schrittweise verringert, sofern die Schmerzursache beseitigt ist. Auf diese Weise kommt es nicht zu Komplikationen wie Durchfall und/oder Zittrigkeit.

Behandlung mit unterstützenden Medikamenten (Adjuvanzien)

Krebskranke Kinder und Jugendliche in der Palliativphase können im Zusammenhang mit ihren Schmerzen auch noch andere Beschwerden entwickeln, zum Beispiel Schlaflosigkeit und Angst oder auch ganz spezielle Schmerzsyndrome (wie Knochenschmerzen, neurogene Schmerzen, Kopfschmerzen). Bei diesen Patienten können bestimmte Medikamente (sogenannte Adjuvanzien oder Co-Analgetika) die Schmerztherapie effektiv unterstützen, zum Beispiel indem sie mittels anderer Wirkmechanismen Schmerzzustände durchbrechen oder vermindern beziehungsweise sonstige Nebenwirkungen lindern.

Zu den Adjuvanzien in der Schmerztherapie gehören beispielsweise:

  • Stimmungsaufheller (trizyklische Antidepressiva): Stimmungsaufheller haben eine dämpfende Wirkung auf neurogene Schmerzen (zum Beispiel nach Chemotherapie mit Vincristin oder bei fortschreitendem Tumorwachstum in umgebendes Gewebe).
  • Beruhigungsmittel (Sedativa, Hypnotika): Beruhigungsmittel wirken bei starken Schlafstörungen und Krampfanfällen.
  • Psychopharmaka (Neuroleptika): Psychopharmaka helfen bei schwerer Übelkeit und Erbrechen.
  • Antiepileptika (Antikonvulsiva): Ein Antiepileptikum verhindert nicht nur Krampfanfälle, sondern wirkt auch bei plötzlich einschießenden, starken Nervenschmerzen.
  • Steroidhormone wie Glukokortikoide verringern Übelkeit und Erbrechen sowie Schmerzen, die durch den Druck eines Tumors auf das umgebende Gewebe entstehen (zum Beispiel Kopfschmerzen durch einen großen Hirntumor oder Knochenschmerzen durch aggressives Tumorwachstum im Knochengewebe).

Wichtig zu wissen: Schmerz ist ein nützliches Warnzeichen, sowohl hinsichtlich der Grunderkrankung, ihrer Behandlung und möglicher Probleme (wie Infektionen) als auch im Hinblick auf Komplikationen der Schmerztherapie selbst. Durch den Einsatz von Schmerzmitteln verlieren Schmerzen ihre Warnfunktion. Auf Nebenwirkungen ist deshalb besonders zu achten!