Angst

Autor:  Dr. med. Gesche Riabowol (nee Tallen), Redaktion:  Julia Dobke, Freigabe:  Prof. Dr. med. U. Creutzig, Zuletzt geändert: 23.02.2024 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e172438

Um Kindern und Jugendlichen in der Palliativversorgung die bestmögliche Lebensqualität zu schaffen, muss ihnen dabei geholfen werden, Ängste beziehungsweise Stress abzubauen. Dazu ist es vor allem wichtig, die unterschiedlichen Ursachen und Anzeichen für Angst zu erkennen.

Ursachen von Angst

Die eingeschränkte Aktivität, Schmerzen, das Gefühl, seines Körpers enteignet worden zu sein, weil so viele andere Menschen nun über ihn bestimmen: All das verursacht und schürt Ängste bei den Betroffenen. Auch die damit verbundene Hilflosigkeit, der Verlust des normalen Tagesablaufs und des gewohnten sozialen Umfelds, die Konfrontation mit dem Tod und viele andere Probleme können Angst bei den Betroffenen hervorrufen.

Unabhängig von ihrer Entwicklungsstufe denken die Kinder- und Jugendlichen über die Art und Ursachen ihrer Krankheit nach. Dabei kommen sie auf ganz eigene Ideen. Oft fühlen sie sich schuldig und empfinden ihre Krankheit als Strafe. Regelmäßig erleben sie Gefühlskrisen, die die bisherigen Sorgen noch größer machen. Auch spezielle körperliche Probleme und Beschwerden sowie Nebenwirkungen von Medikamenten können Ursachen für Angst sein.

Dazu gehören beispielsweise:

  • Hirntumoren
  • Stoffwechselstörungen (zum Beispiel Flüssigkeitsmangel, Mangel oder Überschuss an bestimmten Mineralien im Blut)
  • Schmerzen
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Blutungen
  • bestimmte Medikamente (zum Beispiel Glukokortikoide).

Wichtig zu wissen: Die meisten Kinder und Jugendlichen drücken ihre Angst nicht direkt mit Worten aus. Stattdessen reagieren sie mit Abwehr. Diese Abwehrmechanismen können, abhängig vom Krankheitsverlauf und vom Entwicklungsstadium des Patienten, unterschiedlicher Art sein und Ängste kaschieren.

Zeichen der Angst in unterschiedlichen Krankheitsstadien

Während viele Kinder und Jugendliche zu Beginn einer lebensbedrohlichen Erkrankung, das heißt etwa zum Zeitpunkt der Diagnosestellung, diese zunächst erfolgreich verdrängen, reagieren sie bei fortgeschrittener Krankheit oft eher überempfindlich auf die meisten Ereignisse in ihrer Umgebung. Meistens ziehen sich dabei unbewusst in ein früheres Entwicklungsstadium zurück, was in Fachkreisen als „Regression“ bezeichnet wird. Ein solcher Rückzug kann beispielsweise durch ein gesteigertes Trotzverhalten, (verstärktes) aggressives Verhalten gegenüber der Umwelt und sich selbst, durch erneutes Einnässen und/oder wiederholte Ausbrüche von Wut und Verzweiflung auffallen.

Zum Lebensende hin kommt es immer seltener zu solchen intensiven Abwehrreaktionen. Für die Angehörigen und Versorgenden ist es daher nicht immer einfach zu ergründen, ob nach wie vor Angstgefühle bestehen oder nicht. Erhält der Patient in dieser Phase keinen ausreichenden emotionalen und psychologischen Schutz, kann es sein, dass er sich innerlich vollständig abkapselt. Damit eine solche Isolation nicht eintritt, brauchen die Patienten ganz besonders in dieser Zeit sowohl die lindernde Therapie für bestehende Beschwerden als auch eine kontinuierliche, intensive emotionale Unterstützung.

Zeichen der Angst in unterschiedlichen Altersgruppen

Je nachdem, zu welcher Altersgruppe der Patient gehört, äußert sich Angst häufig durch charakteristische Verhaltensweisen beziehungsweise Abwehrmechanismen, die ernst genommen werden müssen:

  • Kleinkinder sind oft lustlos, zunehmend inaktiv, nässen wieder ein und ziehen sich innerlich zurück.
  • Kinder im Vorschulalter zeigen häufig Trennungsängste, eine verminderte Frustrationstoleranz (das heißt, sie fangen eher an zu weinen oder werden schneller wütend als sonst), Traurigkeit und Gleichgültigkeit.
  • Schulkinder (7–11 Jahre) verleugnen ihre Krankheit oft, indem sie sie ignorieren, verlieren gleichzeitig an Selbständigkeit und suchen verstärkt nach Aufmerksamkeit, Zuwendung und Versorgung. Sie fürchten vor allem um die Unversehrtheit ihres Körpers (sogenannte „Verstümmelungsangst“).
  • Jugendliche verhalten sich oft rebellisch und aggressiv. Ihre Ängste beziehen sich häufig auf das Verlieren ihrer Selbständigkeit (Autonomie) und das Ausgegrenzt-Sein aus dem Freundeskreis.

Maßnahmen zum Abbau von Ängsten

Bevor das Versorgungsteam entscheidet, welche Art der Behandlung für den Abbau von Angstgefühlen angezeigt ist, wird es zunächst die mögliche(n) Ursache(n) der Angst (siehe oben) erfassen und versuchen, diese zu beheben. Zur Behandlung stehen sowohl nicht-medikamentöse als auch medikamentöse Maßnahmen zur Verfügung.

Allgemeine und psychologische Methoden

Beim Abbau von Angst können folgende nicht-medikamentöse Maßnahmen hilfreich sein:

  • für uneingeschränkten Kontakt zwischen Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen und Patient sorgen
  • eine Umgebung schaffen, die den emotionalen und medizinischen Bedürfnissen des Patienten bestmöglich entspricht (für die meisten Betroffenen ist es das eigene Zuhause)
  • offen und sensibel mit dem Patienten umgehen (ausreichend informieren, ehrlich auf alle Fragen antworten)
  • mangelnden Gesprächsbedarf seitens des Patienten über dessen Angst respektieren / möglichst keine aktiven Gespräche über die Angst veranlassen (dies kann oft noch mehr Abwehr auslösen)

Oft ist es förderlich, den Patienten selbst entscheiden zu lassen, wann und wem er sich anvertrauen möchte. Die meisten schwerkranken Kinder und Jugendlichen sprechen nicht gerne mit ihren Eltern über ihre Sorgen. Deshalb ist es besonders wichtig, ihnen die Möglichkeit zu geben, mit anderen, neutralen Beteiligten (zum Beispiel einem Psychologen) zu sprechen. Darüber hinaus können bestimmte Entspannungsmaßnahmen wie Atemtherapie oder auch beschäftigungs- und verhaltenstherapeutische Methoden dabei helfen, den Patienten von Ängsten zu befreien.

Behandlung mit Medikamenten

Werden die Ängste so stark, dass sie wichtige Aspekte der Lebensqualität, zum Beispiel selbständiges Handeln und Kommunikation, deutlich einschränken, können auch bestimmte angstlösende Medikamente (sogenannte Anxiolytika) verabreicht werden. Dabei wird der Kinderarzt gemeinsam mit dem Patienten und seinen Eltern den Nutzen sowie unerwünschte Nebenwirkungen dieser Medikamente sorgfältig gegeneinander abwägen. Sind alle einverstanden mit einer Behandlung mit Anxiolytika (beispielsweise Benzodiazepinen), wird diese dennoch meist nur für kurze Zeit durchgeführt. Sie sollte immer durch nicht-medikamentöse Maßnahmen (siehe vorheriges Kapitel) ergänzt werden.