Wie wirkt die Strahlentherapie?

Autor:  Ingrid Grüneberg, Zuletzt geändert: 01.10.2019 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e211326

Die Wirkung von Strahlen beruht auf deren Eigenschaft, in bestimmte Abläufe und Strukturen von Körperzellen (Zellbiologie) einzugreifen. Dieses erfolgt durch eine bestimmte Wirkungsweise von sehr energiereichen Strahlen auf das Erbgut von Zellen. Eine solche Strahlung wirkt ionisierend, das heißt, sie verwandelt neutrale Atome in geladene Teilchen (Ionen) und dieses betrifft den Zielort, in diesem Fall das menschliche Gewebe [KID2019].

Ionisierende Strahlung

Ionisierende Strahlung ist eine Bezeichnung für jede Teilchen- oder elektromagnetische Strahlung, die energiereich genug ist, um negativ geladene Elektronen aus Atomen oderMolekülen abzuspalten, sodass positiv geladene Ionen oder Molekülreste übrigbleiben (Ionisation). Bei der Strahlentherapie macht man sich diesen Effekt beim Auftreffen der Strahlen auf menschliche Zellen zunutze. Denn auch diese bestehen aus Atomen und werden durch die Bestrahlung in ihrer inneren Struktur, ihrem Erbgut, beschädigt. Die Ionisation betrifft jedes bestrahlte Gewebe, sowohl das Tumor- als auch das gesunde Nachbargewebe. Um gesundes Nachbargewebe möglichst auszusparen und um angrenzende Organe zu schonen, sind die Bestrahlungstechniken im Laufe der Zeit verfeinert worden. Strahlentherapeuten benutzen heutzutage hoch komplexe Computermodelle, um genaue Berechnungen für das Bestrahlungsfeld durchführen zu können.

Bei ionisierenden Strahlen laufen chemische Prozesse ab, die zu Veränderungen an der DNA, also dem Erbgut der Zelle, führen.

Die Folgen einer veränderten DNA sind Störungen des Zellstoffwechsels, der Zellfunktion und der Zellteilung. Diese Störungen können in den sogenannten Zelltod münden. Allerdings wird in der Strahlentherapie unter „Zelltod“ nicht der (natürliche) Untergang einer Zelle (Apoptose) verstanden, sondern der Verlust ihrer unbegrenzten Teilungsfähigkeit. Eine solche begriffliche Unterscheidung ist wichtig, denn therapeutische Bestrahlungen machen es sich zunutze, dass gesunde Zellen und Tumorzellen anderen Zellteilungsmechanismen unterliegen. Bei der gesunden Zelle läuft ein Programm ab, das von ihrer Entstehung über die geordnete Teilung und Vermehrung bis hin zu ihrem Untergang und Abbau führt. Krebszellen hingegen tragen die Merkmale der ungeordneten Teilung und Vermehrung in sich [TIM2018a].

Zell-Reperaturmechanismen

Bei einer Bestrahlung werden sowohl Krebszellen als auch gesunde Zellen von Strahlen getroffen. Letzteres versucht man möglichst bereits im Vorfeld durch die sorgfältige Planung und Berechnung der Strahlentherapie zu begrenzen. Dennoch lassen sich Schädigungen an gesunden Zellen nicht komplett vermeiden.

Bestrahlungen zielen vorrangig darauf, die Teilungsfähigkeit von Zellen zu beschädigen, also weitere Zellteilungen zu unterbinden. Generell gilt, dass Zellen, die sich schneller teilen, empfindlicher auf Bestrahlungen reagieren als sich langsam vermehrende Zellen. Dies trifft vorrangig auf Krebszellen zu, aber auch auf gesunde Zellen wie beispielweise in Knochenmark oder Schleimhäuten, die sich ebenfalls relativ schnell teilen.

Wie macht man sich die zellbiologischen Vorgänge in der Strahlentherapie zunutze?

Die Planung der Strahlentherapie erfolgt unter Berücksichtigung dieser zellbiologischen Vorgänge. Man möchte einerseits Krebszellen so effektiv wie möglich kontrollieren und andererseits gesunde Zellen bestmöglich schonen. Deshalb wird die zu verabreichende Gesamt-Strahlendosis nicht auf einmal verabreicht, sondern in kleinere Einzeldosen eingeteilt, die in mehreren Therapiesitzungen über einen bestimmten Zeitraum gegeben werden. Dieses Vorgehen bezeichnet man in der Strahlentherapie als „Fraktionierung“. Der Mindestabstand zwischen zwei Sitzungen beträgt sechs Stunden, das ist die Zeit, die gesunde Zellen zur Erholung benötigen [TIM2018a] [TIM2010].

Wichtig zu wissen: Fraktionierung bedeutet das Aufteilen einer Gesamt-Strahlendosis auf mehrere Sitzungen. Die zeitlichen Abstände zwischen den Sitzungen berücksichtigen die Tatsache, dass sich gesunde Zellen schneller von Bestrahlungen erholen als Krebszellen. Gesunde Zellen benötigen dafür sechs Stunden.

Verschiedene Arten von Fraktionierung

Auf welche Art die Fraktionierung im Einzelfall erfolgt, richtet sich nach der Art des Tumors und dem Behandlungsansatz. Standard in der Strahlentherapie bei Kindern und Jugendlichen sind tageweise Abstände zwischen den Strahlengaben. Das heißt, die meisten Kinder werden einmal täglich bestrahlt (zum Beispiel mit 1,5 bis 2 Gray), fünf Tage die Woche (ohne Wochenende), und dies über mehrere Wochen insgesamt. In der Fachsprache wird diese Art der Fraktionierung auch als normofraktionierte Bestrahlung oder konventionelle Bestrahlung bezeichnet.

Dieser Standard kann bei manchen Patienten durch mehr als eine Bestrahlung pro Tag (meist zwei) ersetzt werden, man spricht dann auch von hyperfraktionierter Bestrahlung. Obwohl die einzelnen Strahlendosen in diesem Fall niedriger sind als bei der konventionellen Strahlenbehandlung (zum Beispiel 1 Gray pro Sitzung), ist die Behandlung dennoch intensiver, weil den Krebszellen weniger Zeit bleibt, sich von der Bestrahlung zu erholen. Die hyperfraktionierte Bestrahlung hat so das Potenzial, die biologische Wirksamkeit der Bestrahlung gegenüber dem Tumorgewebe zu erhöhen und gleichzeitig das Normalgewebe zu schonen. Solche kürzeren Bestrahlungsabstände werde eher selten eingesetzt.

Auch bei der so genannten hypofraktionierten Bestrahlung verlässt man die Standard-Fraktionierung, indem man die betroffene Tumorregion mit höheren Einzeldosen (über 2 Gray) als üblicherweise bestrahlt. Die Hypofraktionierung kann zum Beispiel in der palliativen Strahlentherapie von Bedeutung sein. Hier geht es vor allem darum, möglichst effektiv ein Tumorwachstum einzudämmen, die Rücksichtnahme auf gesundes Gewebe ist in diesem Fall zweitrangig [TIM2010] [TIM2018a].

Man unterscheidet zwischen normofraktionierter Bestrahlung (Sitzung einmal täglich an 5 Tagen in der Woche, Normaldosis), hyperfraktionierter Bestrahlung (Sitzung zweimal täglich, niedrigere Einzeldosis) und hypofraktionierter Bestrahlung (erhöhte Einzeldosis).

Weitere Informationen zur Wahl der Behandlungsintensität finden Sie im Kapitel „Strahlendosis“.