Spätfolgen durch den Tumor

Autor:  Dr. med. habil. Gesche Tallen, Redaktion:  Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 23.04.2020 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e52423

Tumorbedingte Spätfolgen können zunächst dadurch entstehen, dass der Tumor Raum innerhalb des Schädels einnimmt, dabei auf benachbarte Gehirn- oder Rückenmarksstrukturen drückt und sie dadurch schädigt. Außerdem können Kleinhirntumoren wie Medulloblastome (MB) zu Abfluss-Störungen von Nervenwasser aus den Hirnkammern (Hirnventrikeln) führen. In der Folge erweitern sich diese (Hydrocephalus) und erzeugen dann ebenfalls einen erhöhten Druck im Gehirn, der Störungen verursachen kann.

Die Art und Ausprägung von tumorbedingten Spätfolgen sind vor allem abhängig von:

Die wichtigsten Spätfolgen sind im Folgenden, bezogen auf die anatomische Lage des Tumors, aufgeführt.

Tumorlage: hintere Schädelgrube / Kleinhirn (Medulloblastom)

In der hinteren Schädelgrube befinden sich das Kleinhirn, Teile des Hirnstamms, die vierte Hirnkammer, und wichtige Hirnnerven (wie der Gleichgewichtsnerv sowie die Nerven, die für die Augenbewegungen verantwortlich sind). Diese Strukturen sind mit verschiedenen Regionen des Großhirns und mit dem Rückenmark verschaltet. Ihre Aufgaben bestehen besonders darin, gezielte Bewegungsabläufe und Denkprozesse zu koordinieren und für Gleichgewicht zu sorgen (siehe Text zu Aufbau und Funktion des Zentralnervensystems).

Mögliche Spätfolgen nach Schädigungen in der hinteren Schädelgrube

  • Sehstörungen, zum Beispiel Schielen, Doppelt-Sehen (Strabismus)
  • "Augenzittern" (Nystagmus)
  • Gleichgewichtsstörungen/Schwindel
  • Hörminderung
  • Sprech- und Sprachstörungen (Dysarthrie)
  • Lähmung von Kaumuskeln
  • Herabhängen einer Gesichtshälfte
  • breitbeiniger, unsicherer Gang, Schwierigkeiten, gerade zu stehen und/oder gerade zu sitzen (Gang-, Stand-, Rumpfataxie)
  • Schwierigkeiten bei gezielten Bewegungen von Armen und Beinen sowie bei der Planung und Ausführung von Handlungen (Dyspraxie)
  • Aufmerksamkeits-, Konzentrations-, Merkfähigkeits-, Gedächtnisstörungen (kognitive Störungen)

Wichtig für die Langzeitnachsorge

Die oben genannten Spätfolgen können dazu führen, dass die Entwicklung sowie die Alltagsteilhabe und Alltagsaktivität der Betroffenen eingeschränkt sind. Im Rahmen der Langzeitnachsorge spielen insbesondere die folgenden Beeinträchtigungen eine Rolle:

  • allgemeine Langsamkeit und Ungeschicklichkeit bei Routinehandlungen im Alltag (An- und Ausziehen, Waschen, Spielen, Malen, Schreiben, Essen und Trinken, ggf. kein Erhalt der Fahrerlaubnis)
  • Bewegungsstörungen, Fallneigung
  • Sehstörungen
  • Verzögerung der Sprachentwicklung
  • Lernstörungen, Schulversagen / allgemeines Leistungsversagen
  • psychosoziale Probleme
  • Komplikationen durch Hydrocephalus-Shunt

Anmerkung: Empfehlungen und Informationen dazu, was im Rahmen der Langzeitnachsorge bei Spätfolgen durch einen Tumor in der hinteren Schädelgrube getan werden kann (Vorbeugung und Behandlung), finden sich hier.

Tumorlage: Großhirn (embryonale ZNS-Tumoren)

Das Großhirn besteht aus zwei Hälften, den Hemisphären. Jede Hemisphäre enthält vier Hirnlappen (Frontal-, Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptlappen) mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben (siehe Text zu Aufbau und Funktion des ZNS).

An die Großhirnrinde ist das Bewusstsein geknüpft. Nur diejenigen Sinnesreize, welche bis zur Großhirnrinde weitergeleitet werden, werden bewusst wahrgenommen. Die Großhirnrinde empfängt über verschiedene Nervenfaserbahnen alle Sinnesreize aus dem Körper. Diese Reize werden als Informationen in den zuständigen Rindenregionen der Hirnlappen ausgewertet. Von dort werden Befehle über verschiedene Umschaltstellen in Zwischenhirn, Hirnstamm und Rückenmark zurück in die zuständige Körperumgebung gesandt, wo sie eine Antwort auf den Sinnesreiz auslösen. Somit kann ein embryonaler, nicht-rhabdoider ZNS-Tumor im Großhirn, je nachdem, wo es dort wächst, die Hirnlappen sowie wichtige Verschaltungen schädigen

Mögliche Spätfolgen nach Schädigung des Stirnlappens (Frontallappen)

  • Lähmungen von Gesichts-, Arm- und/oder Beinmuskulatur
  • Sprachstörungen: Schwierigkeiten, Worte zu formulieren und auszusprechen (motorische Aphasie)
  • Persönlichkeitsveränderungen (zum Beispiel Einschränkungen von Eigenschaften wie "Initiative ergreifen", "Zielstrebigkeit", "Konzentration", "Kritikfähigkeit", sowie "Anstands-", "Takt-" und "Schamgefühl")

Mögliche Spätfolgen nach Schädigung des Scheitellappens (Parietallappen)

  • verschiedene Formen der "Agnosie" (Sinneseindrücke werden zwar wahrgenommen, ihre Bedeutung aber nicht erkannt)
  • Wahrnehmungsstörungen (zum Beispiel für Berührung, Raumempfinden)
  • Denkstörungen mit Schreib-, Lese- und/oder Rechenunfähigkeit (als Folge eines Verlustes von Zahlen- und Buchstabenverständnis)
  • Störungen des Körperschemas (zum Beispiel Unvermögen, rechts und links zu unterscheiden)
  • Krampfleiden (Epilepsie)

Mögliche Spätfolgen nach Schädigung des Schläfenlappens (Temporallappen)

  • Störung des Wortverständnisses: Schwierigkeiten, verständlich zu formulieren und von anderen Gesagtes zu begreifen (sensorische Aphasie)
  • Hörminderung
  • Probleme beim (bewussten und unbewussten) Umgang mit der eigenen Vergangenheit und damit verbundenen Erfahrungen (darunter kann man sich zum Beispiel vorstellen, dass der Betroffene Schwierigkeiten hat, Erfahrungen zu verinnerlichen und aus ihnen zu lernen)
  • Störungen bei der Gedächtnisbildung (mit beeinträchtigter Merk- und Erinnerungsfähigkeit)
  • Halluzinationen
  • Krampfleiden (Epilepsie)

Mögliche Spätfolgen nach Schädigung des Hinterhauptlappens (Okzipitallappen)

  • so genannte "Rindenblindheit", das heißt, die Augen können zwar sehen, das Gesehene kann jedoch nicht gedeutet / erkannt werden

Wichtig für die Langzeitnachsorge

Die oben genannten Spätfolgen können dazu führen, dass die Entwicklung sowie die Alltagsteilhabe und Alltagsaktivität der Betroffenen eingeschränkt sind. Im Rahmen der Langzeitnachsorge spielen insbesondere die folgenden Beeinträchtigungen eine Rolle:

  • Lernstörungen, Probleme in der Schule / allgemeines Leistungsversagen
  • Orientierungsstörungen, Fehleinschätzung von Situationen
  • Bewegungsstörungen
  • Probleme durch langfristige Einnahme von Medikamenten gegen ein Krampfleiden (zum Beispiel vorläufig kein Erhalt der Fahrerlaubnis)
  • Verhaltensstörungen
  • psychosoziale Probleme

Anmerkung: Empfehlungen und Informationen dazu, was im Rahmen der Langzeitnachsorge bei Spätfolgen durch einen Tumor im Großhirn getan werden kann (Vorbeugung und Behandlung), finden sich hier.

Tumorlage: Rückenmarkskanal (intraspinale embryonale ZNS-Tumoren oder Metastasen)

Der Rückenmarks- oder Wirbelsäulenkanal liegt im Inneren der Wirbelsäule (intraspinal) und enthält das Rückenmark mit seinen Nervenwurzeln sowie den auf- und absteigenden Nervenbahnen zur Nachrichtenvermittlung zwischen Großhirn, Zwischenhirn, Hirnstamm und den anderen Körperorganen (siehe Text zu Aufbau und Funktion des ZNS). Bei Druck auf das Rückenmark, zum Beispiel durch einen embryonalen, nicht-rhabdoiden ZNS-Tumors des Rückenmarks oder durch große Metastasen eines Medulloblastoms oder embryonalen ZNS-Tumors in dieser Region, kann es zu Funktionsausfällen kommen [TAL2015] [SCH2015a] [PRA2012].

Mögliche Spätfolgen nach Schädigung des Rückenmarks

  • Störungen der Gefühlswahrnehmung (zum Beispiel "heiß", "kalt", "spitz", "stumpf", "weich", "hart"), Kribbel- oder Taubheitsgefühle
  • Störungen der Körperhaltung
  • Gleichgewichtsstörungen
  • Lähmungen von Muskeln: Je nachdem, wo im Wirbelkanal der Tumor lag und wie groß er war, können beispielsweise Arm-/Hand- oder Bein-/Fußmuskeln oder auch die Blasen- und Mastdarmfunktion betroffen sein.

Anmerkung: Empfehlungen und Informationen dazu, was im Rahmen der Langzeitnachsorge bei Spätfolgen durch einen Tumor im Wirbelkanal getan werden kann (Vorbeugung und Behandlung), finden sich hier.

Wichtig zu wissen: Nicht jeder Patient wird infolge des Tumors oder der Therapie später an jeder der genannten Komplikationen leiden. Wie groß das persönliche Risiko für bestimmte tumorbedingte Spätfolgen und deren Prognose ist und was vorbeugend und unterstützend getan wird, können Sie mit dem Behandlungsteam der Klinik sowie dem später für die Nachsorge zuständigen Fachpersonal besprechen.