Behandlung von Patienten mit Hepatoblastom gemäß Interims-Empfehlungen
Interims-Empfehlungen zur Behandlung von Patienten mit Hepatoblastom seit Beendigung der PHITT-Studie. Der Text thematisiert die Einteilung der Patienten in Risikogruppen in Abhängigkeit der jeweils vorliegenden Risikofaktoren sowie die Behandlung in den entsprechenden Risiko-/Therapiegruppen.
Autor: Maria Yiallouros, Freigabe: Prof. Dr. med. Irene Schmid, Zuletzt geändert: 04.07.2024 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e260093
Hepatoblastom-Patienten werden – abhängig von ihrer jeweiligen Krankheitssituation und dem damit verbundenen Rückfallrisiko – in einer von insgesamt vier Therapie- beziehungsweise Risikogruppen behandelt.
Unterschieden werden dabei:
- Hepatoblastome mit sehr niedrigem Risiko (very low risk HB)
- Hepatoblastome mit niedrigem Risiko (low risk HB)
- Hepatoblastome mit mittlerem Risiko (intermediate risk HB)
- Hepatoblastome mit hohem Risiko (high risk HB)
Die Risikogruppen-Einteilung erfolgt nach dem so genannten CHIC-System der CHIC-Gruppe (Childhood Hepatic tumour International Consortium), einem Konsortium für Lebertumoren, dem weltweit alle großen Studiengruppen (unter anderem die GPOH) angehören. Dieses komplexe Stratifizierungssystem berücksichtigt die Ausdehnung des Tumors in der Leber (PRETEXT-Stadium I-IV), das Vorliegen von Fernmetastasen, ergänzende anatomische Risikofaktoren (V+, P+, E+, F+, R+ oder N) sowie, stadienabhängig, auch den Alpha-1-Fetoprotein-Spiegel im Blut und das Alter des Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose (siehe hierzu auch Kapitel „Therapieplanung“). Je weniger ausgedehnt der Tumor ist, umso günstiger sind in der Regel die Heilungsaussichten und umso weniger intensiv die Behandlung. Ein niedriger AFP-Wert im Blut (bis 100 ng/ml) gilt als prognostisch ungünstig, ebenso ein Patientenalter ab 8 Jahren, beim PRETEXT-Stadium IV bereits ab 3 Jahren.
Bei Patienten mit „very low risk“-Hepatoblastom wird zudem auf die feingewebliche (histologische) Art des Tumors geachtet: Hepatoblastome aus gut ausgereiften (differenzierten) fetalen Tumorzellen (englisch: well-differentiated fetal“; kurz WDF) haben eine bessere Prognose als Hepatoblastome anderer feingeweblicher Art; dem wird bei der Behandlung Rechnung getragen (siehe Folgekapitel).
Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über die wichtigsten Kriterien der Risikogruppen-Einteilung.
HB-Risikogruppe |
Hauptkriterien |
---|---|
Sehr niedriges Risiko (very low risk) |
PRETEXT I-II, keine Fernmetastasen oder sonstigen anatomischen Risikofaktoren, Tumor zum Zeitpunkt der Diagnose operabel; bei PRETEXT II zusätzlich Alter unter 8 Jahre, AFP über 100 ng/ml |
Niedriges Risiko (low risk) |
PRETEXT I-III, keine Fernmetastasen oder sonstigen anatomischen Risikofaktoren, AFP über 100 ng/ml, Alter unter 8 Jahre, Tumor zum Zeitpunkt der Diagnose (noch) nicht operabel |
Mittleres Risiko (intermediate risk) |
PRETEXT I-III, keine Fernmetastasen, aber Vorliegen anatomischer Risikofaktoren (P+, V+, E+, F+, R+, oder N+), bei PRETEXT II zusätzlich Alter unter 8 Jahre und AFP über 100 ng/ml, bei PRETEXT III zusätzlich Alter unter 8 Jahre und AFP über 1000 ng/ml oder PRETEXT IV, ohne Fernmetastasen, mit oder ohne anatomische Risikofaktoren, , Alter unter 3 Jahre und AFP über 100 ng/ml Tumor zum Zeitpunkt der Diagnose nicht operabel |
Hohes Risiko (high risk) |
PRETEXT I-IV mit Fernmetastasen oder PRETEXT I ohne Fernmetastasen, aber mit zusätzlichen anatomischen Risikofaktoren (P+, V+, E+, F+, R+, oder N+) und Alter ab 8 Jahren oder PRETEXT II und III ohne Fernmetastasen, aber Alter ab 8 Jahren oder AFP-Wert bis 100 ng/ml, oder PRETEXT IV ohne Fernmetastasen, aber Alter ab 3 Jahren oder AFP-Wert bis 100 ng/ml |
Anmerkung zu den verwendeten Abkürzungen: P: Thrombose in Pfortader oder deren Ummauerung durch Tumor; V: Thrombose in Lebervenen oder unterer Hohlvene oder Ummauerung derselben durch Tumor; E: Ausdehnung außerhalb der Leber; F: multifokale Tumorausdehnung; R: Tumorruptur; N: Befall von Lymphknoten; AFP: Alpha-1-Fetoprotein (Tumormarker)
Behandlungsabläufe in den verschiedenen Therapiegruppen
Die internationalen Interims-Empfehlungen sehen innerhalb der vier Therapiegruppen für Patienten mit Hepatoblastom die folgenden Behandlungsoptionen vor, die wir Ihnen an dieser Stelle kurz vorstellen. Ihr Behandlungsteam wird Sie über die für Ihr Kind in Frage kommende Therapiegruppe sowie entsprechende Therapiemöglichkeiten und -abläufe informieren.
Therapiegruppe A: Hepatoblastom mit sehr niedrigem Risiko („very low risk“-HB)
Dieser Therapiegruppe werden Kinder und Jugendliche zugeordnet, deren Tumor aufgrund seiner geringen Ausdehnung und dem Fehlen sonstiger Risikofaktoren bei Diagnose schon vollständig operabel ist und die damit nur ein sehr geringes Rückfallrisiko haben.
Der erste Schritt der Behandlung besteht aus einer Operation zur Entfernung des Tumors. Im Anschluss wird – anhand der feingeweblichen (histologischen) Analyse des Tumorgewebes – entschieden, ob eine alleinige Operation ausreicht oder noch eine Chemotherapie erfolgen muss: Liegt ein Hepatoblastom aus gut ausdifferenzierten fetalen Tumorzellen vor (WDF-Typ), ist die Behandlung mit der Operation beendet. Bei Patienten mit einem anderen Hepatoblastom-Typ (keine WDF-Histologie) erfolgt nach der chirurgischen Tumorentfernung eine Chemotherapie aus zwei Zyklen Cisplatin, 5-Fluorouracil und Vincristin. Zur Verhinderung von Hörminderung wird nach jeder Cisplatin-Verabreichung die Gabe von Natriumthiosulfat (STS) empfohlen.
Therapiegruppe B: Hepatoblastom mit niedrigem Risiko („low risk“-HB)
In dieser Therapiegruppe werden Kinder und Jugendliche behandelt, deren Tumor aufgrund seiner Größe beziehungsweise Ausdehnung zum Zeitpunkt der Diagnose nicht operabel ist, bei denen aber keine weiteren Risikofaktoren vorliegen.
Patienten dieser Gruppe erhalten zunächst alle eine präoperative Chemotherapie aus vier Zyklen Cisplatin. Zur Verhinderung von Hörminderung wird nach jeder Cisplatingabe die Verabreichung von Natriumthiosulfat (STS) empfohlen. Wenn möglich, erfolgt im Anschluss eine chirurgische Tumorentfernung, gefolgt von einer postoperativen Chemotherapie aus zwei Zyklen Cisplatin. Insgesamt sollten nicht mehr als sechs Zyklen Cisplatin gegeben werden. Wird die Operation nicht nach dem vierten, sondern (spätestens) nach dem fünften Block durchgeführt, sollte im Anschluss an die Operation auf jeden Fall noch ein weiterer Cisplatin-Block verabreicht werden.
Therapiegruppe C: Hepatoblastom mit mittlerem Risiko („intermediate risk“-HB)
Dieser Therapiegruppe werden alle Kinder und Jugendlichen mit lokal fortgeschrittenem Hepatoblastom zugeordnet. Dazu zählen PRETEXT I-III Hepatoblastome mit zusätzlichen Risikofaktoren sowie einige PRETEXT IV-Hepatoblastome.
Die Behandlung besteht aus einer prä- und postoperativen Chemotherapie (siehe dazu ergänzende Anmerkung unten) und der Operation / Transplantation. Für die Planung des chirurgischen Eingriffs und/oder der Transplantation erfolgt bereits frühzeitig eine Überweisung an ein Transplantationszentrum. Der Operationszeitpunkt wird individuell festgelegt, erfolgt aber während der Chemotherapie, spätestens vor Beginn der letzten zwei Chemotherapiezyklen.
Im Rahmen der Interims-Empfehlungen erhalten die Patienten fünf Zyklen Chemotherapie aus einer Kombination von Cisplatin (am Tag 1) und Carboplatin/Doxorubicin (Tage 15–16). Auch hier wird Natriumthiosulfat (STS) nach jedem Cisplatinblock empfohlen, um chemotherapiebedingte Hörminderung zu verhindern.
Therapiegruppe D: Hepatoblastom mit hohem Risiko („high risk“-HB)
Das Vorliegen von Fernmetastasen (in der Regel Lungenmetastasen) zum Zeitpunkt der Diagnose bedingt prinzipiell eine Behandlung in der Hochrisiko-Gruppe – unabhängig von der lokalen Ausdehnung des Tumors in der Leber (PRETEXT-Stadium). Abgesehen davon sind – abhängig vom PRETEXT-Stadium – weitere Faktoren (wie anatomische Risikofaktoren, Alter des Patienten, AFP-Wert) ausschlaggebend für eine Behandlungsnotwendigkeit in der Hochrisikogruppe, auch dann, wenn keine Fernmetastasen vorliegen.
Alle Patienten dieser Therapiegruppe erhalten zunächst eine Standard-Induktionstherapie aus drei Blöcken kombinierter Chemotherapie (mit Cisplatin und Doxorubicin). Für Patienten, die keine Metastasen haben, wird auch hier immer sechs Stunden nach Cisplatin die Gabe von Natriumthiosulfat (STS) empfohlen. Anschließend wird der Lebertumor vollständig operativ entfernt. Bilden sich die (Lungen-)Metastasen durch die Induktionstherapie zurück (Remission), erfolgt nach der Operation eine Konsolidierung aus drei Blöcken einer kombinierten Carboplatin-/Doxorubicin-Chemotherapie. Sind hingegen nach Induktionstherapie und eventueller Operation nach wie vor Metastasen vorhanden, so gibt es keine Standardempfehlung. Das Vorgehen sollte in einem nationalen oder internationalen Tumorboard festgelegt werden.
Der chirurgische Lebereingriff kann eine Lebertransplantation beinhalten. In aller Regel erfolgt daher für die Planung der Operation und/oder Transplantation bereits frühzeitig eine Überweisung an ein Transplantationszentrum. Falls eine Lebertransplantation notwendig ist, muss vor diesem Eingriff erst die Lunge saniert werden, entweder durch Chemotherapie oder durch eine Operation.