Langerhanszell-Histiozytose (LCH) – Kurzinformation

Die Langerhanszell-Histiozytose (LCH) ist eine seltene neoplastische Erkrankung, die meist im Kindes- und Jugendalter auftritt. In diesem Text erhalten Sie Informationen zu Krankheitsbild, Symptomen, Ursachen, Diagnose, Therapie und Prognose dieser Tumoren.

Autor:  Dr. med. Anke Barnbrock, Prof. Dr. med. Thomas Lehrnbecher, Maria Yiallouros, Redaktion:  Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 12.10.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e242647

Krankheitsbild

Die Langerhanszell-Histiozytose (LCH) ist eine seltene neoplastische Erkrankung, die meist im Kindes- und Jugendalter auftritt. Sie geht, nach heutigem Wissen, von bestimmten Vorläuferzellen der weißen Blutzellreihe, den so genannten myeloischen Vorläuferzellen, aus. Manche der Patienten bedürfen keiner Behandlung, während bei anderen eine Chemotherapie notwendig ist; die Therapieentscheidung wird dabei durch Ort und Ausbreitung der Erkrankung bestimmt.

Die Erkrankung kann fast jedes Organ beziehungsweise jede Körperregion befallen. Die am häufigsten beteiligten Organe sind das Skelett (in 80 % der Fälle), die Haut (30 % der Fälle) und die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse, mit bis zu 25 %). Ein Knochenbefall kann fast an allen Stellen des Skeletts vorliegen; am häufigsten betroffen sind jedoch der Schädel und die langen Röhrenknochen der Arme und Beine. Andere relativ häufig betroffenen Organe sind die Leber, die Milz, das blutbildende System und die Lunge (mit jeweils 15 %). Darüber hinaus können auch die Lymphknoten (mit 5 – 10 %) sowie das Zentralnervensystem (mit 2 – 4 %) beteiligt sein.

Eine LCH kann unterschiedlich verlaufen und auch unterschiedliche Schweregrade aufweisen. In diesem Zusammenhang ausschlaggebend ist vor allem, ob nur ein oder mehrere Organe beziehungsweise Organsysteme betroffen sind und um welche es sich dabei handelt. Patienten, bei denen nur ein Organ/Organsystem befallen ist – zum Beispiel nur der Knochen oder nur die Haut (so genannte Monosystemische LCH) – haben in der Regel eine günstigere Prognose als Patienten, bei denen mehrere Organe/Organsysteme befallen sind (Multisystemische LCH).

Häufigkeit

Die Langerhanszell-Histiozytose (LCH) ist eine seltene Erkrankung. Nach Angaben des Deutschen Kinderkrebsregisters (Mainz) erkranken in Deutschland jährlich circa 45 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (das sind drei bis fünf pro Million) neu an einer LCH. Allerdings entspricht – aufgrund möglicher Spontanheilungen – die Zahl der gemeldeten Neuerkrankungen nicht jener der tatsächlich aufgetretenen Fälle.

Die LCH kann prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten; sie wird aber überwiegend im Kindesalter diagnostiziert, am häufigsten bei Säuglingen und Kleinkindern bis zu vier Jahren. Mit zunehmendem Alter nimmt Häufigkeit der Erkrankung ab. Jungen sind insgesamt etwas häufiger betroffen als Mädchen (Geschlechterverhältnis: 1,5:1).

Krankheitszeichen

Da die Langerhans-Zell-Histiozytose (LCH) fast jedes Organ beziehungsweise jede Körperregion befallen kann (siehe Kapitel „Krankheitsbild“), ist die Bandbreite der möglichen Krankheitszeichen (Symptome) groß. Sie richten sich vor allem nach der Lage und der Ausdehnung der Erkrankung.

Manche Patienten sind beschwerdefrei und die Diagnose beruht auf einem Zufallsbefund, wie es manchmal bei einzelnen Krankheitsherden (Läsionen) am Schädelknochen beobachtet wird. Andere Patienten weisen Hautveränderungen unterschiedlichen Ausmaßes auf (einzelne Hautläsionen bis hin zu flächenhaften oder den ganzen Körper betreffenden Ausschlägen), und einige Patienten zeigen ein schweres Krankheitsbild mit Multiorganbefall.

Darüber hinaus kann die Erkrankung auch mit allgemeinen Krankheitssymptomen wie Fieber, Schwäche, Appetitlosigkeit, mangelnde Gewichtszunahme, allgemeine Gedeihstörung und/oder Schmerzen einhergehen.

Zu den häufig vorkommenden Symptomen zählen zum Beispiel:

  • Knochenschmerzen, teilweise auch Schwellungen und/oder Bewegungseinschränkungen (durch Befall der Knochen).
  • Weichgewebeschwellungen („Beulen“) im Kopf-Hals-Bereich
  • hartnäckige Hautveränderungen/Hautausschläge (Exantheme) unterschiedlicher Art (zum Beispiel knotig, schuppend, nässend, geschwürartig oder krustenbildend), beispielsweise auf der Kopfhaut, im Windelbereich oder an Armen, Beinen und Rumpf (bei Befall der Haut)
  • Schleimhautveränderungen im Mund- und äußeren Genitalbereich, zum Beispiel in Form von Schwellungen, Geschwüren (durch Befall der Schleimhäute)
  • Atembeschwerden wie Husten, Atemnot, Schmerzen im Brustbereich (durch Befall der Lunge und/oder Luftansammlungen im Bereich des Brustkorbs)
  • Vergrößerte Leber, Milz und/oder Lymphknoten, die sich zum Beispiel durch einen hervorgewölbten Bauch und/oder Lymphknotenschwellungen bemerkbar machen oder vom Arzt ertastet werden können (bei Befall dieser Organe).
  • Hormonausfälle, die sich unter anderem durch starken Durst und häufiges Wasserlassen (Hinweis auf Diabetes insipidus) oder durch Wachstumsstörungen / Störungen der Geschlechtsentwicklung (verzögerte Pubertät) bemerkbar machen können (durch Befall der Hypophyse)
  • Selten: neurologische Symptome wie beispielsweise Seh- und/oder Hörstörungen, Gangunsicherheit, Konzentrations- oder Verhaltensstörungen (durch Befall des Zentralnervensystems)

Gut zu wissen: Die Symptome einer LCH können individuell sehr verschieden stark ausgeprägt sein. Wichtig zu wissen ist auch, dass das Auftreten eines oder mehrerer der genannten Krankheitszeichen nicht unbedingt bedeuten muss, dass eine LCH vorliegt. Viele dieser Symptome treten bei vergleichsweise harmlosen Erkrankungen auf, die mit dieser Erkrankung nichts zu tun haben. Bei Beschwerden ist es jedoch ratsam, so bald wie möglich einen Arzt zu konsultieren, um deren Ursache zu klären.

Ursachen

Die Ursachen der Langerhanszell-Histiozytose (LCH) sind noch weitgehend ungeklärt. Bekannt ist, dass die Krankheit durch die Veränderung einer unreifen myeloischen Zelle und deren anschließende Vervielfältigung entsteht. Die veränderten Zellen machen dabei manchmal weniger als 10 % aller Zellen in den LCH-Tumorherden aus, die ansonsten überwiegend aus Entzündungszellen des Immunsystems (T-Zellen, Granulozyten und so genannten multinukleären Riesenzellen) bestehen.

Die beobachteten Zellveränderungen beruhen, wie man weiß, auf genetischen Abweichungen (Mutationen) im Erbgut. So können zum Beispiel bei circa zwei Drittel der erkrankten Patienten Genveränderungen in bestimmten Signalwegen der LCH-Zellen nachgewiesen werden, welche für die Steuerung von Zellwachstum, Zellentwicklung und Zellüberleben von Bedeutung sind. Bei den Genveränderungen in den LCH-Zellen handelt es sich überwiegend um die so genannte BRAF V600E-Mutation, seltener um eine MAP2K1-Mutation. Beide Mutationen verursachen eine Daueraktivierung der oben genannten Signalübertragungswege und begünstigen somit die Krankheitsentwicklung.

Anmerkung: Das Auffinden solcher Mutationen hat nicht nur zu einem besseren Verständnis der Erkrankung beigetragen, es eröffnet auch diagnostisch und therapeutisch völlig neue Ansätze für die Zukunft (siehe Kapitel "Behandlung – Neue Therapieansätze). Nichtsdestrotrotz ist bei der LCH noch vieles nicht geklärt.

Diagnose

Findet der (Kinder-)Arzt durch Krankheitsgeschichte (Anamnese) und körperliche Untersuchung des Patienten Hinweise auf eine Langerhanszell-Histiozytose (LCH), wird er zunächst bildgebende Verfahren, meist eine Magnetresonanztomographie (MRT), veranlassen. Zur Sicherung der Diagnose ist jedoch zusätzlich eine Entnahme von Gewebe (Biopsie) notwendig. Zu diesem Zweck und für eventuell sich anschließende Untersuchungen sowie eine mögliche Therapie wird der Arzt den Patienten in aller Regel in ein Krankenhaus überweisen, das auf Krebs- und Bluterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen spezialisiert ist (Klinik für Pädiatrische Onkologie/Hämatologie).

Gewebeentnahme und -untersuchung

Die sichere Diagnose einer LCH beruht auf der mikroskopischen Untersuchung von Gewebe aus dem von der Erkrankung betroffenen Bereich(en) (mittels konventionellem Lichtmikroskop) sowie auf dem immunhistochemischen Nachweis von besonderen Molekülen (so genannten Markern) auf der Oberfläche der LCH-Zellen (CD1a-Antigen und/oder Langerin (CD207)). Eine zusätzliche molekulargenetische Untersuchung im Hinblick auf häufig vorkommende Genveränderungen (Mutationen), wie BRAF V600E, wird insbesondere für Patienten mit Multisystembefall empfohlen, ist aber für die Therapieentscheidungen zunächst nicht notwendig. Die Diagnose der LCH sollte auf jeden Fall durch einen weiteren Experten (Referenzexperte der LCH-Studienzentrale) abgesichert werden.

Falls eine Gewebeentnahme (Biopsie) aufgrund der Lage des Tumorherdes (beispielsweise im Bereich des zweiten Halswirbels oder im Hypophysenstiel) eine Gefährdung des Patienten darstellt oder mit der Gewinnung von ausreichendem Gewebematerial nicht gerechnet werden kann, wägt das Behandlungsteam das Nutzen-Risiko-Verhältnis beim jeweiligen Patienten sorgfältig ab. Wird auf eine Biopsie verzichtet, ist die Sicherstellung einer sorgfältigen Verlaufsbeobachtung besonders wichtig.

Anamnese und körperliche Untersuchung

Nach der Diagnosesicherung erfolgen eine genaue Anamneseerhebung und eine umfassende körperliche Untersuchung. Dabei legt der untersuchende Arzt oder die untersuchende Ärztin besonderes Augenmerk unter anderem auf Schmerzen, Schwellungen, Bewegungseinschränkungen, Hautausschläge und Schleimhautveränderungen, Ausfluss aus dem Ohr, Fieber, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Durchfall, Gewichtsverlust oder mangelnde Gewichtszunahme sowie Wachstumsverzögerungen. Zudem wird auf Auffälligkeiten bezüglich des Trinkverhaltens (extrem große Trinkmenge) und/oder der Urinbildung (extrem viel Urinproduktion), Zeichen der Atemnot sowie auf neurologische Auffälligkeiten geachtet.

Blutuntersuchungen und bildgebende Diagnostik

Im Moment gibt es keine aussagekräftigen Blutwerte, um Hinweise auf eine LCH erhalten oder die Krankheitsaktivität abschätzen zu können. Die Erfassung der Ausbreitung der Krankheit („Staging“) erfolgt daher, neben verschiedenen standardmäßig durchgeführten Blutuntersuchungen, vor allem durch bildgebende Verfahren (radiologische Diagnostik) zum Zeitpunkt der Diagnose (sowie später auch zur Verlaufsbeurteilung und zur Nachkontrolle).

Im Rahmen der Blutanalyse werden das Blutbild, die Leber- und Nierenwerte sowie die Gerinnungswerte untersucht. Die bildgebenden Verfahren beinhalten eine Ultraschalluntersuchung des Bauches (Abdomen) und eine Röntgenuntersuchung der Lunge beziehungsweise des Skelettsystems, denn die LCH betrifft vorzugsweise die Knochen. Um die Strahlenbelastung möglichst gering zu halten, verwenden manche Kliniken das Ganzkörper-MRT; bei Unsicherheiten hinsichtlich der Bewertung ist aber manchmal dennoch ein Röntgenbild oder eine Computertomographie (CT) notwendig.

Neben dieser Basisdiagnostik können bei spezieller Indikation, also in manchen Krankheitssituationen, zusätzliche Untersuchungen notwendig sein, zum Beispiel ein Sehtest, ein Hörtest (Audiogramm), eine Lungenfunktionsprüfung, Hormontestungen, bestimmte MRT-Untersuchungen oder eine Endoskopie.

Gut zu wissen: Nicht alle Untersuchungen sind bei jedem Patienten notwendig. Andererseits können eventuell Untersuchungen hinzukommen, die hier nicht erwähnt wurden. Ihr Behandlungsteam wird Sie darüber informieren, welche diagnostischen Verfahren bei Ihnen oder Ihrem Kind zur Therapieplanung erforderlich sind.

Therapieplanung

Bestätigt sich der Verdacht auf eine Langerhanszell-Histiozytose (LCH), erfolgt die Therapieplanung. Um eine möglichst individuelle, auf den Patienten zugeschnittene (risikoadaptierte) Behandlung durchführen zu können, berücksichtigt das Behandlungsteam bei der Planung bestimmte Faktoren, die die Prognose des Patienten beeinflussen (sie werden daher auch Risiko- oder Prognosefaktoren genannt).

Wichtige Prognosefaktoren sind das Ausmaß der Erkrankung (monosystemisch, multisystemisch, unifokal, multifokal) sowie die Art der von der Erkrankung betroffenen Organe (unter Berücksichtigung so genannter Risikoorgane und der genauen Lage des Krankheitsherdes in einem Organ, siehe Ausführung im Anschluss). Darüber hinaus spielt auch das Ansprechen der Erkrankung auf therapeutische Maßnahmen (vor allem die Chemotherapie) eine Rolle für die Prognose des Patienten.

Einteilung der LCH nach Ausbreitungsgrad und Art der betroffenen Organe

Bei der Einteilung der Langerhanszell-Histiozytose (LCH) im Rahmen internationaler Studien wird zunächst berücksichtigt, ob nur ein Organ/Organsystem von der Erkrankung betroffen ist oder ob die Krankheit zwei oder mehrere Organe/Organsysteme umfasst. Im ersteren Fall spricht man von einer Monosystemischen LCH (englisch: single-system LCH, abgekürzt: SS-LCH), im zweiten von einer Multisystemischen LCH (englisch: multi-system LCH, kurz: MS-LCH).

Monosystemische LCH

Liegt eine monosystemische LCH vor, ist für die Therapieplanung von Bedeutung, ob das Organ/Organsystem nur an einer Stelle (unifokal) oder an mehreren Stellen (multifokal) befallen ist. So werden zum Beispiel bei einem Knochenbefall unifokale Knochenherde („single bone“) von einer multifokalen Knochenerkrankung (mehr als 1 Knochen) abgegrenzt, wobei auch die Lage des Knochenbefalls sowie die Größe der Krankheitsherdes eine Rolle spielen (siehe hierzu Abschnitt „Organbeteiligung – special sites“). Eine monosystemische LCH kann, neben Knochen, auch Haut, Lunge, die Hypophysen-Hypothalamus-Region, das Zentralnervensystem sowie andere Organe (wie Schilddrüse, Thymusdrüse) betreffen.

Multisystemische LCH

Im Falle einer multisystemischen LCH wird berücksichtigt, ob so genannte „Risikoorgane“ von der Erkrankung betroffen sind oder nicht. Als Risikoorgane gelten das blutbildende (hämatopoetische) System sowie die Milz und die Leber. Ein Befall dieser Organe ist, wie (Therapie-)studien gezeigt haben, mit einer schlechteren Prognose verbunden als der Befall anderer Organe und muss daher im Rahmen der Therapie berücksichtigt werden. Die Lunge, die früher ebenfalls als Risikoorgan galt, wird im Rahmen der internationalen LCH-Studien inzwischen nicht mehr als solches definiert.

Organbeteiligung – „special sites“

Unabhängig davon, ob eine monosystemische oder multisystemische LCH vorliegt: Krankheitsherde in ganz bestimmten Organen beziehungsweise Organlagen gelten als so genannte „special sites“ ("besondere Orte"), die gesondert berücksichtigt werden. Es handelt sich dabei um Krankheitsherde, die aufgrund ihrer Lage entweder für einen operativen Eingriff nur schwer oder nicht zugänglich sind oder eine Bedrohung für das Leben darstellen (zum Beispiel bestimmte Wirbelkörper) oder die, nach älteren Studiendaten, mit einem höheren Risiko für schwere Hormonstörungen wie einem Diabetes insipidus verbunden sind (bestimmte Gewichts-/Schädel-Knochen). Sind im Rahmen der LCH-Erkrankung solche „special sites“ betroffen, erfordert dies eine systemische Therapie, das heißt, eine Chemotherapie.

Behandlung

Die Behandlung von Kindern mit Langerhanszell-Histiozytose (LCH) sollte nur von einem in der Erkrankung erfahrenen Arzt durchgeführt werden und/oder in enger Absprache mit dem zuständigen Referenzzentrum erfolgen. Je nach Ausbreitung und Schweregrad der Erkrankung gibt es unterschiedliche Therapieansätze.

Das mögliche Vorgehen bei Kindern mit LCH richtet sich unter anderem danach, ob ein oder mehrere Organsysteme (zum Beispiel Haut, Knochen, Leber, Milz) befallen sind und ob – im Falle eines Knochenbefalls – eine oder mehrere Stellen betroffen sind und in welcher Lage (siehe auch Kapitel „Therapieplanung“). Wichtig ist auch, ob es sich um eine Ersterkrankung oder um einen Rückfall der LCH handelt. In Abhängigkeit der genannten Kriterien sind prinzipiell folgende Vorgehensweisen möglich:

  • „Watch-and-wait“ Strategie
  • Lokaltherapie
  • Systemische Therapie

Aufgrund möglicher Spätschäden kann die Strahlentherapie im Allgemeinen nicht länger als geeignete Therapiemaßnahme empfohlen werden.

„Watch-and-wait“ Strategie

Bei der „watch-and-wait“-Strategie („schauen/beobachten und abwarten“) erfolgt unter engmaschigen Verlaufskontrollen eine abwartende Haltung und vorerst keine Behandlung. In den Verlaufskontrollen wird sorgfältig darauf geachtet, ein Voranschreiten einer örtlich begrenzten Erkrankung oder auch ein Voranschreiten in eine multisystemische Erkrankung möglichst früh zu erkennen. Dies ist insbesondere bei sehr jungen Patienten äußerst wichtig.

Lokaltherapie

Eine Lokaltherapie kann sowohl bei Patienten mit ausschließlichem Hautbefall als auch bei Patienten mit unifokalem Knochenbefall ohne Beteiligung weiterer Organe in Frage kommen beziehungsweise diskutiert werden.

Bei Patienten, bei denen lediglich eine lokaltherapeutische Strategie zum Einsatz kommt, sollten, wie im Falle einer „watch-and-wait“ Strategie, engmaschige Verlaufskontrollen erfolgen, um ein Voranschreiten der Erkrankung oder ein Wechsel in eine multisystemische Erkrankung möglichst frühzeitig zu erkennen.

Häufig ist bereits die Gewebeentnahme (Biopsie) als eine lokale Behandlung zu sehen, da es durch den operativen Eingriff in vielen Fällen zu einer Ausheilung des Krankheitsherdes kommt. Eine komplette oder weiträumige Operation des betroffenen Bereiches wird nicht empfohlen, da sie – im Falle eines Knochenbefalls – den Knochendefekt vergrößert, den Heilungsprozess verzögert und so eine dauerhafte Knochenschädigung verursachen kann.

Systemische Therapie

Bei vielen LCH-Patienten ist – aufgrund der Lage und Ausbreitung der Krankheitsherde – (auch) eine Chemotherapie erforderlich. Dies gilt generell im Falle einer multisystemischen Erkrankung, also einem Befall mehrerer Organe oder Organsysteme, kann aber auch bei Patienten mit monosystemischer LCH angezeigt sein, sofern (zum Beispiel) nicht ausschließlich ein lokaler Hautbefall oder eine unifokale Knochenläsion ohne Beteiligung weiterer Organe vorliegt (siehe Abschnitt „Lokaltherapie“).

Bei einer Chemotherapie werden Medikamente (so genannte Zytostatika) eingesetzt, die das Zellwachstum hemmen und so zur Vernichtung der LCH-Zellen beitragen. Da diese Therapie im ganzen Körper wirksam wird, wird sie auch als systemische Therapie bezeichnet. Um möglichst alle kranken Zellen zu vernichten, wird in der Chemotherapie in der Regel eine Kombination verschiedener zellwachstumshemmender Zytostatika‎ eingesetzt, die sich bei der Bekämpfung dieser Erkrankung als besonders wirkungsvoll erwiesen haben.

Im Rahmen der Chemotherapie zur LCH-Behandlung wird zwischen einer Erstlinientherapie und einer Zweitlinientherapie unterschieden. Die Zweitlinientherapie kommt nur zur Anwendung, wenn die Erstlinientherapie nicht angemessen greift.

Erstlinientherapie

Die Erstlinientherapie besteht bei Patienten mit LCH aus zwei größeren Therapiephasen: der so genannten Induktionstherapie und der Erhaltungstherapie. In beiden Phasen werden die Medikamente Vinblastin (VBL) und Prednison eingesetzt.

Im Rahmen der derzeitigen Standardtherapie erfolgt zunächst ein sechswöchiger Chemotherapie-Kurs, der insgesamt sechs Gaben des Zytostatikums Vinblastin (einmal pro Woche) und tägliche Prednison-Gaben beinhaltet. Im Anschluss an die sechswöchige Behandlung wird das Ansprechen der Erkrankung auf die Therapie (Therapieansprechen) untersucht. Bei gutem Therapieansprechen ist die Induktionstherapie beendet. Liegt hingegen nur ein teilweises Therapieansprechen vor und besteht, insbesondere, nach wie vor ein Befall von Risikoorganen, wird im Allgemeinen ein weiterer sechswöchiger Chemotherapie-Kurs empfohlen. Auch in diesem zweiten Kurs kommen wieder die Medikamente Vinblastin und Prednison zum Einsatz: Vinblastin wird einmal wöchentlich, insgesamt sechs Mal, verabreicht, Prednison jeweils an den Tagen 1 – 3 der sechswöchigen Behandlungszeit.

Nach Ende der sechs beziehungsweise zwölf Wochen dauernden Induktionstherapie schließt sich die Erhaltungstherapie an. Sie besteht aus dreiwöchigen Vinblastin-/Prednison-Pulsen (Vinblastin, Prednison, jeweils Tag 1 – 5).

Die derzeitige Gesamtdauer der Therapie gemäß Therapiestandard (Induktion und Erhaltungstherapie) beträgt sechs Monate für Patienten mit einer Monosystemischen LCH („single-system LCH“), also zum Beispiel mit uni- oder multifokalem Knochenbefall. Für Patienten mit Multisystemischer LCH („multi-system LCH“) beläuft sich die Standardtherapie auf insgesamt zwölf Monate. Sowohl die optimale Dauer als auch die optimale Intensität der Erhaltungstherapie werden derzeit im Rahmen von Studien untersucht.

Zweitlinientherapie („Salvage“-Therapie)

Wenn sich zum Zeitpunkt der sechsten Behandlungswoche zeigt, dass das Therapieansprechen nicht zufriedenstellend ist oder die Erkrankung gar in Risikoorganen voranschreitet, ist vor allem bei Patienten mit Befall des blutbildenden Systems oder der Leber eine frühe Therapieumstellung auf eine „Salvage“- („Zweitlinien“-) Therapie zu erwägen. Diese Patienten sollten in einem spezialisierten Zentrum behandelt werden.

Mögliche Therapieoptionen umfassen Chemotherapeutika wie Clofarabin, eine Kombination aus 2-Chlorodeoxyadenosine (2-CDA) und Cytarabin (Ara-C) und/oder eine hämatopoetische Stammzelltransplantation (Blut-Stammzelltransplantation).

Neue Therapieansätze

Durch die zunehmende Charakterisierung von krankheitsaktivierenden Signalwegen in den veränderten Zellen (zum Beispiel BRAF- oder MAPK2K1-Genveränderungen, siehe Kapitel „Ursachen") besteht ein wachsendes Interesse am Einsatz von Medikamenten, die diese Signalwege blockieren (so genannten Checkpoint-Inhibitoren). Individuelle Heilversuche mit Checkpoint-Inhibitoren (englisch „checkpoint inhibitors“) bei Kindern zeigen sehr vielversprechende Ergebnisse.

Allerdings sind Therapiestrategien und die optimale Therapiedauer mit diesen Substanzen noch unklar, und bei Absetzen der Medikamente kehrt die Erkrankung bei der überwiegenden Anzahl der Patienten zurück. Aus diesem Grund werden derzeit Studien konzipiert, die eine Kombination dieser Signalweg-Blockade mit einer Chemotherapie prüfen sollen.

Da die Langzeitnebenwirkungen solcher Medikamente einerseits noch unklar sind, andererseits die Chemotherapie bei den meisten Patienten gut wirkt, sollten diese Medikamente vorerst nur in akut lebensbedrohlichen Situationen oder bei fehlendem Therapieansprechen eingesetzt und das weitere Vorgehen mit Experten besprochen werden.

Therapieoptimierungsstudien und Register

Um die Behandlungsoptionen für Kinder und Jugendliche mit Langerhanszell-Histiozytose (LCH) kontinuierlich weiter zu verbessern, sollten alle Patienten mit dieser Erkrankung in eine laufende (Therapieoptimierungs-)Studie oder ein Register eingeschlossen werden.

Therapieoptimierungsstudien sind kontrollierte klinische Studien, die das Ziel haben, erkrankte Patienten nach dem jeweils aktuellsten Wissensstand zu behandeln und gleichzeitig die Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern und weiter zu entwickeln. Patienten, die an keiner Studie teilnehmen, entweder weil zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung keine Studie verfügbar ist oder weil sie die Einschlusskriterien einer bestehenden Studie nicht erfüllen, werden oft in einem so genannten Register dokumentiert.

Zurzeit steht in Deutschland für Patienten mit LCH das Register LCH-REG-DE 2013 zur Verfügung:

In das Register "LCH-REG-DE 2013" können sich – seit Beendigung der Patientenaufnahme in die Therapieoptimierungsstudie "LCH IV-G 2016 Ende 2022" – alle LCH-Patienten unter 18 Jahren erfassen lassen. Dies gilt sowohl für Patienten mit LCH-Ersterkrankung als auch für Patienten mit Krankheitsrückfall.

Therapievorgaben gibt es im Rahmen des Registers nicht; es wird jedoch empfohlen, dass der behandelnde Arzt die Unterlagen des Patienten durch einen weiteren Experten (Referenzexperten der LCH-Studienzentrale) beurteilen lässt, so dass mittels 4-Augen-Prinzip, basierend auf den bisherigen Studienergebnissen, die bestmögliche Diagnostik und Therapie für den einzelnen Patienten ausgewählt werden kann. Hinweis: Die Aufnahme in das Register ist seit 16.05.2023 vorübergehend ausgesetzt.

Die Studien-/Registerzentrale für die LCH befindet sich am Universitätsklinikum Frankfurt (Main) unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Lehrnbecher. Weitere Mitglieder der Studienzentrale sind PD Dr. Konrad Bochennek und Dr. Anke Barnbrock.

Behandlung bei Rückfall der LCH

Derzeit werden „prospektive“ (vorausschauende) Studien durchgeführt, welche die Wirksamkeit verschiedener Therapieansätze zur Behandlung von Rückfällen (Rezidiven) der Langerhanszell-Histiozytose (LCH) wissenschaftlich überprüfen sollen. Gegenwärtig beruhen alle Therapieempfehlungen auf Erfahrungen aus der klinischen Praxis sowie auf Expertenmeinungen. Die therapeutische Entscheidung hängt vom Zeitpunkt des Rückfalls und von der Ausbreitung der Erkrankung ab.

Ist nur ein Organ/Organsystem befallen („single-system LCH“), basiert die Entscheidung über die geeignete Behandlungsstrategie („Watch-and-wait-Strategie“, Lokaltherapie und/oder systemische Therapie / Chemotherapie) bei Krankheitsrückfall auf den gleichen Kriterien wie bei der Ersterkrankung. Auch bei einem einem Rückfall, der mehr als ein Organ/Organsystem betrifft („multi-system LCH“), kann im Rahmen der in diesem Fall erforderlichen Chemotherapie nach abgeschlossener Erstlinientherapie kann eine Wiederaufnahme der Therapie mit Vinblastin und Steroiden (Prednisolon) erfolgreich sein.

Bei Rückfällen im Bereich des Knochens wurden bei individuellen Heilversuchen auch Indomethacin oder Bisphosphonate als wirksame Medikamente zur Behandlung von LCH-Patienten beschrieben, wobei diese Strategien bisher nicht in randomisierten Studien geprüft wurden [siehe Randomisierung]. Bei Therapieversagen oder bei einem Rückfall während laufender Therapie wird über das weitere Vorgehen individuell entschieden. Die Studienleitung kann die behandelnde Einrichtung mit Therapieempfehlungen unterstützen.

Prognose und Verlauf

Bei der Langerhanszell-Histiozytose (LCH) handelt es sich um ein vielfältiges Krankheitsbild, das mit unterschiedlichen Krankheitsverläufen und Heilungsaussichten (Prognose) einhergehen kann. Sowohl Verlauf als auch Prognose hängen maßgeblich vom Ausbreitungsgrad der Erkrankung und von deren Ansprechen auf die Therapie ab. Es gibt einerseits Krankheitsverläufe, die mit Spontanheilungen einhergehen können. Andererseits kann es bei einer LCH auch zu einem chronischen Wiederauftreten der Erkrankung oder, selten, sogar zu einem rasch zunehmenden Verlauf mit gar tödlichem Ausgang kommen.

Literaturliste

  1. Lehrnbecher T, Minkov M: Leitlinie 025/015 - Langerhanszell-Histiozytose (LCH) im Kindes- und Jugendalter. S1-Leitlinie (Handlungsempfehlung) der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin AWMF online 2023 [URI: https://register.awmf.org/ assets/ guidelines/ 025-015l_S1_Langerhanszell-Histiozytose-LCH-Kinder-Jugendliche_2023-05.pdf] LEH2023a
  2. Erdmann F, Kaatsch P, Grabow D, Spix C: German Childhood Cancer Registry - Annual Report 2019 (1980-2018). Institute of Medical Biostatistics, Epidemiology and Informatics (IMBEI) at the University Medical Center of the Johannes Gutenberg University Mainz 2020 [URI: https://www.kinderkrebsregister.de/ typo3temp/ secure_downloads/ 42507/ 0/ 1c5976c2ab8af5b6b388149df7182582a4cd6a39/ Buch_DKKR_Jahresbericht_2019_komplett.pdf] ERD2020
  3. Lehrnbecher T, Minkov M: Histiozytosen inkl. Langerhans-Zell-Histiozytose. In: Niemeyer C, Eggert A (Hrsg.): Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2. vollständig überarbeitete Auflage 2018, 94 [ISBN: 978-3-662-43685-1] LEH2018a