Therapieabweichungen bei Patienten mit akuter Promyelozytenleukämie (APL; AML vom Typ FAB-M3)
Autor: Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 15.02.2021 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e185977
Patienten mit einer akuten Promyelozytenleukämie (APL) haben generell sehr gute Heilungschancen, wenn sie eine Remission erreichen. Das höchste Risiko für diese Patienten besteht darin, dass sie – aufgrund einer krankheitsbedingt gestörten Blutgerinnung – bereits vor und zu Beginn der Therapie durch schwere Blutungskomplikationen gefährdet sind.
Um solche Komplikationen zu verringern, erhalten die Patienten sofort nach der Diagnosestellung (unter Umständen noch vor der molekulargenetischen Bestätigung der Diagnose) und im Verlauf der Therapie das Medikament All-trans-Retinsäure (ATRA). Die Gabe von ATRA führt zu einer verbesserten Blutgerinnung und vermindert dadurch das Blutungsrisiko, das zu Beginn der Therapie besonders groß ist. ATRA bewirkt außerdem eine Ausreifung (Differenzierung) der Leukämiezellen und dient daher auch – gemeinsam mit Zytostatika oder dem Medikament Arsentrioxid (ATO) – der Bekämpfung der Leukämie. Arsentrioxid trägt, wie sich gezeigt hat, ebenfalls zur Differenzierung der Leukämiezellen bei und kann bei hohen Dosen eine Apoptose, das heißt, den selbstprogrammierten Selbstmord der Zellen, auslösen. [ABL2016] [CRE2019] [CRE2018a] [CRE2012a] [MAN2001].
Aktuelle Studien bei Erwachsenen konnten zeigen, dass eine Kombinationstherapie aus ATRA und Arsentrioxid (ATO) zu sehr guten Therapieergebnissen und Heilungsraten führt. Gleichzeitig sind, verglichen mit der Kombination aus ATRA und Zytostatika, die Nebenwirkungen, insbesondere Komplikationen durch Infektionen, deutlich geringer [COC2013] [EST2006] [PLA2017]. Ähnliche Erfahrungen gibt es bei Kindern und Jugendlichen mit akuter Promyelozytenleukämie (APL) [CRE2018a] [CRE2010]. Aus diesem Grund wird inzwischen empfohlen, dass auch Kinder und Jugendliche mit APL, sofern sie zu den Standardrisikopatienten gehören, mit einer Kombination aus ATRA und ATO behandelt werden. Ein solches Standardrisiko liegt bei Patienten mit weniger als 10.000 Leukozyten pro Mikroliter (µl) bei Diagnosestellung vor.
Bei APL-Patienten der Hochrisikogruppe (über 10.000 Leukozyten/µl) reicht eine alleinige Therapie mit ATRA und ATO nicht aus. Sie erhalten daher zu Beginn der Behandlung zunächst eine Chemotherapie mit Cytarabin und Idarubicin, um die Zahl der Leukämiezellen zu verringern (so genannte Zytoreduktion) (siehe auch Kapitel „Induktionstherapie“ oben). Parallel dazu beginnt die ATRA-ATO-Therapie.
Patienten aller Risikogruppen erhalten darüber hinaus alle vier Wochen (insgesamt sieben Mal) Cytarabin direkt in den Nervenwasserkanal (intrathekale Chemotherapie), um einen eventuellen oder nachgewiesenen Befall des Zentralnervensystems mit Leukämiezellen besser zu kontrollieren. Die verabreichten Dosen hängen vom Alter des Patienten ab. [CRE2019] [CRE2018] [CRE2018a] [CRE2017]
Therapieüberwachung
Für Patienten mit Promyelozytenleukämie gelten außerdem besondere Regeln hinsichtlich der Therapieüberwachung: So wird empfohlen, dass in den ersten vier Monaten der Behandlung alle vier Wochen eine molekulargenetische Untersuchung des Knochenmarks (mittels Polymerasekettenreaktion, PCR) durchgeführt wird, um das Ansprechen der Erkrankung auf die Therapie zu überprüfen. Eine weitere Untersuchung findet zu diesem Zweck vor dem vierten ATO-Block und am Ende der Behandlung statt.
Auch nach Therapieende erfolgen regelmäßig alle drei Monate entsprechende Kontrollen, allerdings nicht anhand von Knochenmarkproben, sondern anhand von Blutproben. Standardrisikopatienten werden insgesamt 12 Monate, Hochrisikopatienten 18 Monate überwacht. Auf diese Weise sollen eventuelle Restleukämiezellen (minimale Resterkrankung, MRD) im Körper aufgespürt werden, denn diese können zu einem Krankheitsrückfall führen. Dieses so genannte MRD-Monitoring ermöglicht es, früh einen Rückfall zu erkennen und rechtzeitig mit einer Behandlung zu beginnen. [CRE2018] [CRE2018a]
Mögliche Nebenwirkungen
Die neue Therapieoption mit ATRA und ATO wird nach bisherigen Erfahrungen generell gut vertragen. Allerdings kann es im Laufe der Therapie (ein bis vier Wochen nach Therapiebeginn) zu einer übermäßig hohen Zahl an weißen Blutzellen (Hyperleukozytose), und einem so genannten Differenzierungssyndrom (ATRA-Syndrom) kommen. Dabei handelt es sich um eine schwere Komplikation, die sich unter anderem durch Fieber, Gewichtszunahme, Atembeschwerden (Dyspnoe) und zu niedrigem Blutdruck äußert.
Um solchen Komplikationen vorzubeugen, werden in der Regel in der Anfangsphase der Behandlung bestimmte Medikamente verabreicht (zum Beispiel Prednison). Tritt ein Differenzierungssyndrom auf, lässt sich dieses durch Unterbrechung der ATRA-ATO-Therapie und einer ersatzweisen Gabe von Dexamethason behandeln. Durch die Gabe von Hydroxyharnstoff (Hydroxyurea) und/oder niedrigdosiertem Cytarabin kann einer Zunahme der Leukozytenzahlen entgegengewirkt werden. [CRE2018a]