Wie erfolgen Therapieplanung und Behandlung von Patienten mit AML-Rezidiv?
Autor: Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 15.06.2021 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e57311
Inhaltsverzeichnis
Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Rückfall (Rezidiv) einer akuten myeloischen Leukämie (AML) erfolgt in Deutschland in der Regel ausschließlich im Rahmen von Studien (siehe auch Kapitel "Therapiestudien" im Anschluss).
Als Behandlungsmaßnahmen stehen Chemotherapie und anschließende allogene Stammzelltransplantation zur Verfügung. Um mögliche Zytostatikaresistenzen zu überwinden, werden zum Teil neue Substanzen oder Hochdosis-Chemotherapie-Blöcke eingesetzt, die in der Erstbehandlung noch nicht gegeben wurden. Für Patienten mit Rezidiv einer akuten Promyelozytenleukämie (APL) gelten abweichende Therapieempfehlungen (siehe Abschnitt zu Rezidivbehandlung weiter unten).
Europaweites Therapiekonzept
Seit 2001 wird in Europa ein gemeinsames Rezidivkonzept für Kinder mit AML verfolgt. Damals wurde die internationale Studie Relapsed AML 2001/01 eröffnet, an der bis zu ihrem Abschluss im Jahre 2009 europaweit zahlreiche pädiatrisch-onkologische Behandlungseinrichtungen beteiligt waren. Von Anfang 2016 bis Ende 2018 war die die internationale Nachfolgestudie Pediatric Relapsed AML 2010/01 aktiv; sie basierte auf der bewährten Standardtherapie und sollte von dieser ausgehend die Wirksamkeit eines zusätzlichen Wirkstoffes prüfen. Die Studie musste aufgrund der Nicht-Verfügbarkeit eines anderen Medikamentes vorzeitig abgebrochen werden, so dass keine abschließende Bewertung des zu prüfenden Therapiekonzepts möglich war (siehe auch Folgekapitel zur Studie Pediatric Relapsed AML 2010/01).
Derzeit gelten folgende Standard-Therapieempfehlungen:
- Induktionstherapie: Zu Beginn der Behandlung erhalten alle Patienten zwei intensive Chemotherapie-Blöcke. In beiden Blöcken werden die Medikamente Fludarabin (FL) und hochdosiertes Cytarabin (ARA-C) eingesetzt (FLA). Im ersten Block werden diese beiden Zytostatika zusätzlich mit Idarubicin kombiniert. (Letzteres ersetzt das an dieser Stelle zuvor verwendete liposomale Daunorubicin (L-DNR), das seit 2017/2018 nicht mehr lieferbar ist.)
- Allogene Stammzelltransplantation: Möglichst bald nach Ende der Induktionsphase erfolgt eine allogene Stammzelltransplantation. Die Zeit bis zur Transplantation kann durch weitere Zytostatikagaben überbrückt werden [CRE2012a].
Bei Patienten, deren Erkrankung auf die Chemotherapie nicht gut anspricht, also bei denen keine Remission erreicht werden kann, ist eine anschließende Stammzelltransplantation eher nicht angezeigt. In diesen Fällen bleibt die Möglichkeit einer experimentellen Behandlung mit neuen Substanzen (zum Beispiel im Rahmen einer Phase-I- oder Phase-II-Studie) und – falls ein Ansprechen auf die Therapie, also ein Blastenrückgang erreicht wird – anschließender Stammzelltransplantation oder eine Palliativtherapie zur Linderung von Beschwerden und zur Verbesserung der Lebensqualität. [CRE2018] [KAS2013] [SAN2010]
Welche Art der Therapie für den einzelnen Patienten in Frage kommt ist und welche Heilungsaussichten (Prognose) er somit hat, wird in besonderem Maße durch den Zeitpunkt des Rezidivauftretens und dem Ansprechen der Erkrankung auf die Rezidivbehandlung bestimmt. In aller Regel ist die Prognose des Patienten umso günstiger, je später ein Rezidiv auftritt [SAN2010] [STA1998]:
- Bei Patienten, die erst spät einen Rückfall erleiden (das heißt frühestens ein Jahr nach Abschluss der Erstbehandlung), kann mit der Chemotherapie in über 70 % der Fälle eine zweite komplette Remission erreicht werden, die wiederum Voraussetzung für die Durchführung der Stammzelltransplantation und somit für eine reelle Heilungschance ist. Die Überlebenswahrscheinlich bei diesen Patienten wird auf 46 % geschätzt [CRE2018] [SAN2010].
- Tritt ein Rezidiv (insbesondere ein Knochenmarkrezidiv) dagegen noch während der Erstbehandlung auf, verringert sich die Chance auf eine zweite Remission und somit auf eine kurative Behandlung deutlich.
Behandlung im Rahmen der Therapiestudie Pediatric Relapsed AML 2010/01
Wichtig vorab: Die Studie ist seit Dezember 2018 für die Aufnahme neuer Patienten geschlossen. Sie musste aufgrund der dauerhaften Nicht-Verfügbarkeit eines Medikamentes (liposomales Daunorubicin, L-DNR) abgebrochen werden.
Im Rahmen der Therapieoptimierungsstudie Pediatric Relapsed AML 2010/01 wurde geprüft, ob der Einsatz eines neuen Medikamentes (Gemtuzumab Ozogamicin, GO, Mylotarg®) zusätzlich zur ehemaligen Standard-Chemotherapie mit liposomalem Daunorubicin (DaunoXome®), Fludarabin (FL) und hochdosiertem Cytarabin (ARA-C) (abgekürzt: DX-FLA, siehe auch oben) die Therapieergebnisse bei Patienten mit Krankheitsrückfall verbessern kann.
Gemtuzumab ozogamicin ist ein synthetisch hergestellter, veränderter Antikörper, der – mit einem Zellgift (Calicheamicin) verbunden – direkt und sehr selektiv an bestimmten Oberflächenstrukturen (Antigenen) der Leukämiezellen angreift und diese damit vernichtet. GO ist ein so genannter Anti-CD33-Antikörper, das heißt, er bindet an das Antigen CD33, das man bei über 90 % der Kinder und Jugendlichen mit AML auf den leukämischen Zellen findet [NIK2019] [ZWA2010].
Um die Wirksamkeit der zusätzlichen GO-Verabreichung im Vergleich zur alleinigen Standardtherapie zu ermitteln, wurden die Patienten – nach Einwilligung der Angehörigen / Patienten – einem von zwei möglichen Behandlungsarmen zugeordnet (Prüfarm beziehungsweise Kontrollarm). Die Zuordnung erfolgte nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) [siehe Randomisierung]. Patienten im Prüfarm wurde im ersten Therapieblock der Induktion (auch Reinduktion genannt) Gemtuzumab ozogamicin in Kombination mit liposomalem Daunorubicin, Fludarabin und Cytarabin (DX-FLA) verabreicht, während Patienten im Kontrollarm im entsprechenden Therapieblock nur DX-FLA erhielten.
Behandlung bei Patienten mit Rezidiv einer akuten Promyelozytenleukämie (APL)
APL-Patienten, die einen Krankheitsrückfall erleiden oder nicht auf die Ersttherapie ansprechen (refraktäre APL), erhalten eine von der oben beschriebenen Standard-Rezidivtherapie abweichende Behandlung. Das individuelle Therapiekonzept hängt von verschiedenen Faktoren ab, vor allem vom Zeitpunkt des Rezidivauftretens und von der Art der Vortherapie. Ein wichtiges Kriterium ist hierbei vor allem, ob der Patient im Rahmen der Ersttherapie bereits mit Arsentrioxid behandelt wurde oder nicht. Für die weitere Therapieentscheidung spielt auch das Ansprechen auf die ersten Rezidivblöcke (Induktion und Konsolidierung) eine Rolle.
Als mögliche Behandlungselemente stehen die Medikamente Arsentrioxid (ATO) und All-trans-Retinsäure (ATRA), Gemtuzumab ozogamicin (Antikörper kombiniert mit Zytostatikum), andere Zytostatika sowie eine allogene oder autologe Stammzelltransplantation zur Verfügung [ABL2016].