Vincristin (VCR)

Der folgende Text informiert über Anwendung, Wirkung und mögliche Nebenwirkungen des Vincristins sowie darüber, welche Wechselwirkungen mit anderen Substanzen auftreten können und in welchen Fällen Vincristin nicht oder nur eingeschränkt verabreicht werden darf.

Autor:  Julia Dobke, Redaktion:  Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 15.11.2017 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e143379

Anwendung: Wie wird Vincristin angewendet?

Vincristin wird in Kombination mit weiteren gegen Krebs wirksamen Arzneimitteln bei der Behandlung von Blutkrebs (Leukämien), Lymphomen und Tumoren verwendet. Es wird ausschließlich als Kurzinfusion‎ [siehe Infusion] in eine Vene (intravenös, i.v.) verabreicht.

Wirkung: Wie wirkt Vincristin?

Vincristin gehört zu der Substanzgruppe der Vincaalkaloide. Vincaalkaloide kommen in immergrünen Pflanzen vor und verhindern, dass sich bei der Zellteilung der Spindelapparat funktionsfähig aufbaut. Dadurch kann sich das bereits verdoppelte Erbmaterial nicht mehr auf die beiden neu entstandenen Zellen verteilen und die Ursprungszelle stirbt ab, ohne sich erfolgreich geteilt zu haben. Heute werden Vincaalkaloide hauptsächlich synthetisch hergestellt.

Nebenwirkungen: Welche Begleiterscheinungen können während oder nach der Behandlung mit Vincristin auftreten?

Wir beschränken uns im Folgenden auf die Darstellung der sehr häufig bis häufig und gelegentlich auftretenden Nebenwirkungen. (Definition : Aufgetretene Fälle pro Anzahl der Behandelten)

Sehr häufig: mehr als 1 von 10; häufig: mehr als 1 von 100; gelegentlich: mehr als 1 von 1000; selten: mehr als 1 von 10 000; sehr selten: weniger als 1 von 10 000.

Dabei gehen wir organweise vor. Für mehr Informationen zu den selten bis sehr selten auftretenden Nebenwirkungen informieren Sie sich bitte in den Fach- und Gebrauchsinformationen des jeweiligen Herstellers.

Sehr häufige Nebenwirkungen

Haut

Es kommt unter der Behandlung mit Vincristin sehr häufig zu Haarausfall (Alopezie). Das Haar wächst nach Ende der Therapie wieder nach.

Häufig auftretende Nebenwirkungen

Nervensystem

Das Nervensystem ist am häufigsten von unerwünschten Nebenwirkungen des Vincristins betroffen, meist in Abhängigkeit von der verabreichten Dosis, der Dauer der Anwendung und vom Alter des Patienten. Eine bereits bestehende neuromuskuläre Erkrankung (z.B. hereditäre Neuropathie vom Typ Charcot-Marie-Tooth oder hereditäre motorisch-sensible Neuropathie) kann eine Gegenanzeige für die Verwendung von Vincristin darstellen.

Zu Beginn zeigen sich diese Nebenwirkungen oft als Störungen der Hautsensibilität und als eine unangenehme, manchmal schmerzhafte Körperempfindung mit Kribbeln, Taubheit, Einschlafen der Glieder und/oder Störungen der Kälte- und Wärmewahrnehmung.

Wenn Hirnnerven betroffen sind, kann es zu einer Schwäche der Kehlkopfmuskulatur, Heiserkeit und Stimmbandlähmung kommen. Es können Gesichtslähmungen (hängender Mundwinkel) oder Sehstörungen (verschwommenes Sehen, Doppelbilder) auftreten.

Als Folge der Nervenschädigung, die auch die Nerven des Darms betreffen kann, kommt es häufig zu Verstopfungen. Während der Therapie mit Vincris-tin ist unbedingt auf regelmäßigen – das heißt täglichen –Stuhlgang zu achten. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem Darmverschluss (paralytischer Ileus), insbesondere bei jüngeren Kindern.

Sind Nerven der Blasenmuskulatur betroffen, kann es zu Störungen bei der Harnentleerung kommen; dies ist bei Kindern allerdings extrem selten (siehe auch Abschnitt "Harnwege")

Bei den meisten Patienten bilden sich die neurologischen Nebenwirkungen nach Ende der Vincristin-Therapie wieder zurück.

Magen-Darmtrakt

Häufig kommt es zu Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung (siehe Nervensystem) und Bauchschmerzen.

Geschlechtsdrüsen / Zeugungsfähigkeit (Fertilität)

Bei männlichen Patienten: Wenn Vincristin zusammen mit anderen Zytostatika wie Prednison, Cyclophosphamid oder Procarbazin verabreicht wird, ist damit zu rechnen, dass Störungen der Samenbildung auftreten, die mit einer anhaltend verminderten Spermienzahl (Oligospermie) oder einem gänzlichen Fehlen von Spermien in der Samenflüssigkeit (Azoospermie) einhergehen.

Zum Teil lassen sich diese Störungen nicht mehr rückgängig machen. Männliche Jugendliche sollten sich daher, wenn möglich, vor Beginn der Therapie über die Möglichkeit einer Spermakonservierung beraten lassen. Weitere Informationen zu therapiebedingten Fruchtbarkeitsstörungen finden Sie hier.

Gelegentlich auftretende Nebenwirkungen

Knochenmark

Nach der Gabe von Vincristin kommt es nur gelegentlich zu schweren Knochenmarkstörungen (Knochenmarkdepression), die eine Blutarmut (Anämie), einen Mangel an weißen Blutkörperchen (Leukozytopenie) und einen Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) zur Folge haben können. Eine Leukozytopenie ist mit einer erhöhten Infektanfälligkeit, eine Thrombozytopenie mit einer Neigung zu blauen Flecken und Blutungen verbunden.

Harnwege

Vincristin kann gelegentlich zu Schwierigkeiten bei der Entleerung der Harnblase führen (schmerzhaftes, häufiges oder erschwertes Wasserlassen). Ursache hierfür ist eine Nervenschädigung (siehe Nervensystem).

Magen-Darmtrakt

Durch die Behandlung mit Vincristin kann es gelegentlich zu Appetitlosigkeit (Anorexie), Gewichtsabfall, Durchfall (Diarrhö) und verminderter Darmfunktion aufgrund einer Lähmung kommen (paralytischer Ileus, siehe Nervensystem oben ), insbesondere bei jüngeren Kindern.

Gehör

Es ist gelegentlich zu Taubheit nach der Therapie mit Vincristin gekommen.

Nervensystem

Vereinzelt wurde bei Kindern nach der Gabe von Vincristin über das Auftreten von Krampfanfällen mit anschließendem Koma berichtet.

Zweittumoren (Zweitmalignome)

Nach der Behandlung mit Vincristin in Kombination mit anderen Zytostatika kann es auch viele Jahre nach der Behandlung zum Auftreten von Zweittumoren kommen. Mehr zu therapiebedingten Zweittumoren erfahren Sie hier.

Das Deutsche Kinderkrebsregister erfasst alle Zweiterkrankungen bei Kindern, die im Alter von unter 15 beziehungsweise 18 Jahren zum ersten Mal an Krebs erkrankt sind. Dort finden Sie auch nähere Informationen.

Wechselwirkungen: Mit welchen anderen Medikamenten / Substanzen kann Vincristin interagieren?

Vincristin kann mit anderen, im Rahmen der Therapie eingesetzten Substanzen in Wechselwirkung treten und unerwünschte Folgen haben, die bei der Behandlung entsprechend berücksichtigt werden müssen. Die wichtigsten Substanzen und ihre Wechselwirkungen mit Vincristin sind im Folgenden aufgeführt. Die Erläuterung der Wechselwirkungen beschränkt sich auf Substanzen, die in der Kinderheilkunde angewendet werden können:

  • Erythromycin, Itraconazol (Sempera) und Cyclosporin: Diese Medikamente können aufgrund ihrer Wirkweise eine langsamere Verstoffwechselung von Vincristin im Körper bewirken. Das kann zu einer Verstärkung der Nebenwirkungen führen.
  • Phenytoin: Die Krampfanfallvorbeugung mit dem Medikament Phenytoin wird bei gleichzeitiger Gabe von Vincristin beeinträchtigt. Deswegen wird empfohlen, diese Kombination zu vermeiden beziehungsweise eine regelmäßige Kontrolle des Phenytoinspiegels im Blut durchzuführen.
  • Asparaginase sollte mindestens 12 bis 24 Stunden vor Vincristin gegeben werden, da die Leber sonst nicht in der Lage ist, das Vincristin ausreichend schnell abzubauen.
  • Digoxin: Bei gleichzeitiger Gabe von Digoxin (zum Beispiel bei chronischer Herzschwäche) kann der Digoxinspiegel im Blut vermindert werden. Eine Anpassung der Digoxindosis kann daher notwendig sein.
  • Bestrahlung: Eine gleichzeitig stattfindende Strahlentherapie kann die neurologischen Nebenwirkungen des Vincristin verstärken.
  • Andere Zytostatika: Bei gleichzeitiger Anwendung von Vincristin und anderen Zytostatika (Kombinations-Chemotherapie) muss mit einer Wirkungsverstärkung sowie mit verstärkten Nebenwirkungen gerechnet werden.

Gegenanzeigen: Wann darf Vincristin nicht angewendet werden?

Vincristin darf nicht angewendet werden:

  • bei bekannter Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einer seiner sonstigen Bestandteile.
  • bei bestehender nervenbedingter Muskelerkrankung (zum Beispiel Myasthenia gravis, Spastik).
  • bei ausgeprägter Knochenmarkdepression (nach Erholung kann die Therapie fortgesetzt werden).
  • bei einer bestehenden schweren Verstopfung oder bei Vorliegen eines Darmverschlusses.
  • bei Patienten, die eine Strahlentherapie unter Einbeziehung der Leber erhalten.
  • bei einer bestehenden Schwangerschaft, denn Vincristin kann erbgut- und fruchtschädigend wirken. Bei lebensnotwendiger Indikation zur Behandlung einer schwangeren Frau sollte eine medizinische Beratung über das mit der Behandlung verbundene Risiko einer schädigenden Wirkung auf das Kind erfolgen. Männern und Frauen wird empfohlen, während und bis zu sechs Monate nach der Behandlung kein Kind zu zeugen beziehungsweise nicht schwanger zu werden.

Quellen: Fach- und Gebrauchsinformationen der Hersteller; Stiftung Warentest: Medikamente im Test: Krebs